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Bei Fuß! Die beiden altdeutschen Hütehunde gehorchen Schäfer Carl Wilhelm Kuhlmann aufs Wort. V

© Dagmar Krappe

Lüneburger Heide: Alles in Wolle

Die Lüneburger Heide lockt mit ihren Schafen. Kaum jemand weiß: Ohne die Tiere wäre der Landstrich nicht lila.

„Es ist so still, die Heide liegt im warmen Mittagssonnenstrahle...“ Wäre nicht das Blöken der Schnucken von Schäfer Carl Wilhelm Kuhlmann zu hören, dann dränge tatsächlich „kein Klang der aufgeregten Zeit noch in diese Einsamkeit“. Das Gedicht „Abseits“ von Theodor Storm könnte so manchem Wanderer auf vielen Abschnitten des Heidschnuckenwegs in den Sinn kommen. Spätestens dann, wenn nichts mehr außer dem Summen der Bienen und Hummeln im süßlich duftenden lila Heidekraut zu hören ist

Der insgesamt 223 Kilometer lange Weg verbindet viele größere und kleinere Heideflächen der Region Lüneburger Heide zwischen Hamburgs Stadtteil Neugraben-Fischbek und der Fachwerkstadt Celle miteinander. Als „Qualitätsweg Wanderbares Deutschland“ verläuft er auf 14 unterschiedlich langen Etappen zwischen sieben und 27 Kilometern Länge über heidebedeckte Hügel, durch sanfte, von Wacholder bestandene Dellen, zwischen Getreidefeldern, grünen Wiesen oder entlang gurgelnder Bäche.

In der Südheide, rund um den kleinen Ort Müden an der Örtze, weidet Schäfer Kuhlmann seine 900 Köpfe zählende Schnuckenherde. Eine der verbliebenen zehn, die es in der gesamten Lüneburger Heide heute noch gibt. Ein Dutzend Kilometer ziehe er täglich mit seinen Tieren sowohl über eigene als auch über Gemeindeflächen, erzählt der 51-Jährige, während seine beiden altdeutschen Hütehunde Kira und Roody munter herumlaufen. Stets und ständig achten sie darauf, die emsig grasende Herde beisammenzuhalten.

Heidschnuckenfleisch ist eine fettarme Delikatesse

Die Heide ist keine Ur-, sondern eine Kulturlandschaft. Was heute von Touristen so gern besucht wird, entstand eigentlich durch Raubbau des Menschen. Im Mittelalter wurden große Mengen Holz zum Floß- und Schiffbau und zum Heizen der Salzsiedepfannen in der Lüneburger Saline benötigt. Also wurde in großem Stil abgeholzt. Und auf den Kahlschlägen entwickelte sich die Heide. Das soll wohl auch so bleiben.

„Seit Jahren ist Heidschnuckenhaltung in Deutschland nicht mehr rentabel. Doch ohne die Tiere gäbe es auch keine offenen Heideflächen mehr, da der Wald die Flächen zurückerobern würde“, erklärt Kuhlmann. „Im Gegensatz zu australischer, neuseeländischer oder südamerikanischer Wolle ist die unserer Tiere zu hart. Auch die Aufbereitung als Isoliermaterial ist zu teuer. Es entstehen sogar noch Kosten für die Entsorgung auf einer Deponie. Doch wir arbeiten an der Idee, sie mit Mist zu vermischen und dann als Dünger auszubringen.“

Heidschnuckenfleisch hingegen ist eine schmackhafte und dabei auch noch fettarme Delikatesse. Im Sommer fressen die vierbeinigen Landschaftspfleger vornehmlich Gras und verbeißen die unerwünschten Baumschösslinge von Birken und Kiefern. Im Winter ernähren sie sich vom Heidekraut und sorgen auf diese Weise dafür, dass dieses im folgenden Jahr wieder neu austreibt und blüht.

„Die Heidschnucke ist eine der kleinsten Schafrassen in Deutschland und sehr genügsam“, weiß der Schäfer. Während die Tiere um die Wette blöken, fügt er hinzu: „Die Rasse stammt vom Mufflon ab, dem aus Korsika und Sardinien stammenden Bergschaf.“ Der Kopf der grauen gehörnten Wiederkäuer ist auch das Symbol auf den Wegweisern des Heidschnuckenwegs. Ansonsten ist er mit einem weißen „H“ auf schwarzem Grund gekennzeichnet.

"Beuten" heißen die Bienenkästen in der Imkersprache

Auch an der Heidehonigproduktion sind die zotteligen Schnucken beteiligt. „Sie zerreißen die zahlreichen Spinnweben zwischen Besen- und Glockenheide, so dass unsere Bienen ungestört Nektar sammeln können“, berichtet Imker Klaus Ahrens. Er ist ein Meister seines Fachs. Mit Kennerblick hat er sofort die Königin zwischen hunderten schwarz-gelb gestreifter Honigbienen erspäht, die auf den Waben herumwuseln - Arbeiterinnen, die mit Brutpflege und Wabenbau beschäftigt sind, um die Behausung mit Honig und Pollen zu füllen.

Auf dem Wietzer Berg am Löns-Denkmal, das dem im Ersten Weltkrieg gefallenen Heidedichter gewidmet ist, stehen einige seiner „Beuten“, wie die Bienenkästen in der Imkersprache heißen. Längst sind es nicht mehr die typischen runden Bienenkörbe, die „Lüneburger Stülper“, sondern grüne Kästen aus Styropor. Darin hängen Holzrähmchen mit vorgefertigten Wachsmittelwänden.

Im Wildpark Müden, der direkt am Heidschnuckenweg liegt, hat der Imker einen Lehrbienenstand. „Ein Volk besteht aus 35 000 bis 50 000 Bienen und verteilt sich über mehrere Kästen“, erzählt der 47-Jährige. Rund 200 Völker gehören zu seiner „Familie“.

Von Faßberg aus wurde Berlin mit Kohle versorgt

Iris Schöndube kam über einen Ferienjob zum Kuschfahren.
Iris Schöndube kam über einen Ferienjob zum Kuschfahren.

© Dagmar Krappe

Der Heidschnuckenweg führt jedoch nicht nur durch die abwechslungreiche Natur, sondern auch zu einigen Heidedörfern und Kleinstädten. In Faßberg beispielsweise lohnt es sich, einen Stopp an der Erinnerungsstätte Luftbrücke Berlin einzulegen. In den Jahren 1948 und 1949 wurden von hier mehr als 500 000 Tonnen Kohle ins damalige West-Berlin geflogen. Ein original Luftbrückenflugzeug, ein sogenannter Faßberg-Flyer, sowie eine Ausstellung erinnern an die von der Sowjetunion verhängte Berlin-Blockade. Soltau, Bispingen, Schneverdingen, Handeloh. Auch Wilsede, der Inbegriff des Heidedorfs, mit dem Heidemuseum „Dat ole Huus“, und Undeloh sind weitere Orte auf dem Weg Richtung Norden, in denen der Besucher ein wenig Kultur schnuppern und seinen Gaumen mit Spezialitäten aus der Heide verwöhnen kann. Im „Heide-Erlebniszentrum in Undeloh“ erfährt der Besucher, wie die heutige Landschaft von Eis und Wind modelliert wurde und was notwendig ist, um sie weiterhin zu erhalten.

Vom Töps kann man bis nach Hamburg schauen

Doch um nach Undeloh zu gelangen, muss zunächst einmal die höchste Erhebung der Region erklommen werden. Der Wilseder Berg misst 169 Meter. „Zur Heideblütezeit im August und September reiht sich an manchen Tagen rund um den Berg Kutsche an Kutsche, um Spaziergänger und müde Wanderer durch das Radenbachtal zu schaukeln“, weiß Iris Schöndube. Deshalb lenkt die Natur- und Landschaftsführerin ihren Planwagen lieber etwas abseits des Trubels durch die Töpsheide.

Entspannt können sich Touristen auf dem Wagen zurücklehnen und sich ein Stück von den beiden Haflinger-Ponys Askana und Sandokan ziehen lassen. Seit fast 20 Jahren zuckelt die 44-jährige Iris Schöndube schon durch die Nordheide, zur Freude der ermatteten Wanderer.

Was als Semesterferienjob begann, wurde auf diese Weise allmählich zum Zweitberuf. Inzwischen ist sie auch ausgebildete „Fahrlehrerin für Kutschen“. Zwischen Wacholderheide und von Blaubeeren übersätem Mischwald verspricht Iris Schöndube ihren Gästen, einen Blick auf Hamburg werfen zu können. Vom 109 Meter hohen Töps, was so viel wie Anhöhe bedeutet, öffnet sich ein Panorama bis hin zum Treppenviertel von Blankenese am nördlichen Elbufer.

Der Heidschnuckenweg jedoch endet südlich des großen Stroms. Mitten im Wohngebiet des Hamburger Stadtteils Fischbek. Und schon wird die eben noch inhalierte Stille wieder von vielen „Klängen der aufgeregten Zeit“ durchbrochen.

Tipps für die Lüneburger Heide: In der Kutsche durchs Radenbachtal schaukeln

ANREISE

Berlin–Hamburg–Lüneburg in zweieinhalb Stunden. Linienbus nach Celle: gut vier Stunden.

HEIDSCHNUCKENWEG

Wandern ohne Gepäck bietet: Kleins Wanderreisen, in Dillenburg, Telefon: 027 71 / 268 00, Internet: kleins-wanderreisen.de. Beispiel: acht Tage Heidschnuckenweg ab 494 Euro pro Person im Doppelzimmer; buchbar von März bis November (auch ab drei Nächte).

ENTLANG DES WEGES

Imkerei Ahrens in Müden/Südheide (imkerei-ahrens.de): Hier lässt sich der Imker über die Schulter schauen. Termine von April bis September.

Wildpark Müden: wildpark mueden.de.

Erinnerungsstätte Luftbrücke Berlin in Faßberg/Südheide (Luftbrueckenmuseum.de)

Heidemuseum in Wilsede, bis Oktober geöffnet

Kutschfahrten, Telefon: 041 84 / 88 96 28, Internet: travelwithhorses.de

ÜBERNACHTEN

Niemeyers Romantik Posthotel in Müden (Telefon: 050 53 / 989 00, Internet: niemeyers-posthotel.de); Einzelzimmer ab 85 Euro, Doppel ab 140 Euro inklusive Frühstück

ESSEN UND TRINKEN

Restaurant Wilseder Hof in Wilsede/Nordheide (Telefon: 041 75 / 311, Internet: wilseder-hof.de); große Sonnenterrasse, regionale Küche mit Heidschnuckengerichten und hausgemachtem Kuchen. Das Heidedorf Wilsede ist nur zu Fuß, per Fahrrad oder Kutsche zu erreichen.

AUSKUNFT

Lüneburger Heide, Telefon: 07 00 / 20 99 30 99, lueneburger-heide.de

Reisebuch: Mit Kindern auf Erlebnispfaden

Wer Brandenburg erradelt, Mecklenburg-Vorpommern durchpaddelt und die Strände zwischen Kühlungsborn und Heringsdorf mit Sandburgen vollgebacken hat, braucht eine neue Herausforderung. Die Lüneburger Heide liegt nicht um die Ecke, viel weiter als bis zur Ostsee hat es der Berliner trotzdem nicht. Zwischen Hamburg im Norden und Hannover im Süden erstreckt sich die schöne Heide-, Wald- und Moorlandschaft. Dass dort auch Familien prima Urlaub machen können, zeigt Kirsten Wagner in ihrem neuen Freizeitführer „Lüneburger Heide mit Kindern“.

Auf 256 Seiten gibt sie Tipps für spannende und entspannende Ausflüge – von Schwimmbädern und Waldseen über Rad- und Wanderwege bis zu Museen, Theatern, Naturlehrpfaden und Stadt-Erkundungstouren. Natürlich sind die drei großen Freizeitparks der Region dabei: der Weltvogelpark Walsrode, der Serengeti-Park in Hodenhagen und der Heide-Park in Soltau mit seinen spektakulären Achterbahnen.

Wertvoller sind aber die Tipps zu den kleinen Orten, die Urlauber sonst nur zufällig entdecken. Etwa die Kunststätte Bossard, im Wald nahe Jesteburg, in der Kinder malen, Mosaike legen oder töpfern können. Oder der Machandel-Erlebnispfad bei Wilsede mit seinen 23 Stationen zum Suchen, Fühlen und Rätseln. Kutsche fahren, Heidschnucken streicheln und zwischendurch in urigen Gasthöfen am Wegesrand einkehren – auch hierfür gibt es Tipps. Im Anhang findet man Adressen von Hotels, Jugendherbergen, Campingplätzen und Bauernhöfen, die Gäste beherbergen. (sizo)

Kirsten Wagner: Lüneburger Heide mit Kindern. Peter Meyer Verlag, Frankfurt am Main, 2015, 256 Seiten, 16 Euro

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