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Unterwegs im Nationalpark Paklenica im Velebit-Gebirge.

© imago/Eibner

Wandern: Edo Popovic: "Am liebsten gehe ich alleine"

Der kroatische Schriftsteller wandte der Hektik der Moderne den Rücken zu und legt ein außergewöhnliches Wanderbuch vor. Es erzählt von der Einsamkeit und Stille im Velebit-Gebirge seiner Heimat.

Herr Popovic, nach Ihren anarchischen, rebellischen Texten haben Sie jetzt ein beinahe mildes Buch vorgelegt: „Anleitung zum Gehen“ heißt es. Ein poetisch-philosophischer Essay. Sie sagen, dies sei die Quintessenz Ihres Denkens. Ist das eine Abkehr von der Politik?

Ich denke nicht. Ich beschreibe ja auch unser gewöhnliches Leben in der Zivilisation. Unsere Hektik, unsere ewige Eile, unser Hasten nach der neuesten Mode, dem Konsum. Wir benehmen uns wie Hamster im Laufrad. Es ist absurd: Unsere Technologie wird immer perfekter, und wir erleichtern uns damit aber nicht das Leben, sondern arbeiten immer mehr. Die Belastungen nehmen zu. Und wir sprechen nicht mehr miteinander beim Zusammensein, sondern unterhalten uns über das Handy, in Abwesenheit. Verrückt, oder?

Sie schreiben über den Verdruss an den Medien und am Lärm der Werbung. Sie erwähnen unsere Süchte, den Autowahn, die Mauern, Stacheldrähte, Zäune um jeden Besitz. Und Sie wundern sich über die Langeweile und die angebliche Ausweglosigkeit in einer bleiernen Zeit. Also Zivilisationskritik?

Bist du in der Natur, ändern sich die Dinge. Die Natur ist entspannt. Der Mensch ist ständig auf der Jagd nach irgendetwas. Er dreht leicht durch. Tiere dagegen? Sie beeilen sich nur oder befinden sich im Stress, wenn sie in Gefahr sind.

Wie kamen Sie zum Wandern?

Bei mir wurde eine schwere, chronische Lungenkrankheit festgestellt. Eine schlimme Nachricht. Aber schlimme Dinge müssen nicht immer Schlimmes bedeuten. Ich gab zuerst einmal das Rauchen auf. Dann kehrte ich dem Journalismus den Rücken, mied kroatische Literaturkreise und anderen Unsinn. Mich hat die Krankheit in die Berge geführt. Und das war zu der Zeit sicherlich das Schönste, was mir passieren konnte.

Im September 2006 begaben Sie sich erstmals auf eine Wanderung und begannen die Bergregion Ihrer kroatischen Heimat, das Velebit-Gebirge, zu entdecken: die Natur, die Vielfalt von Pflanzen und Tieren, die Unendlichkeit des Himmels, das Verschwimmen der Wolken, die Zeitlosigkeit. Tröstet dieser Kreislauf über die eigene Vergänglichkeit hinweg?

Ich denke schon. Ich erwarte ja nichts von der Natur. Ich verweile einfach in ihr. Ich gehe und spüre die Erde unter meinen Füßen. Ich habe kein Ziel, wenn ich wandere. Es gibt dieses chinesische Sprichwort: Der Weg führt zu allen Orten, an denen man vorbeikommt. Ich atme und beobachte die Gegend. Das tut meiner Lunge, meinen Muskeln, meinem Kopf gut. Die Begegnung mit steinalten Felsen schärft mein Gespür für die eigene Vergänglichkeit. Ich werde demütig und bescheiden. Und erkenne dann plötzlich in der Einsamkeit, wenn ich durstig bin, die Kostbarkeit von Wasser, sobald ich eine Quelle finde.

"All das, was wir begehren, hat auf dem Berg keine Bedeutung."

Edo Popovic lebt in Zagreb. Sieben seiner Bücher liegen auf Deutsch vor.
Edo Popovic lebt in Zagreb. Sieben seiner Bücher liegen auf Deutsch vor.

© Berkholz

Sie schreiben auch über den täuschenden Begriff von Zeit…

In der Natur gibt es keine Jahre, Monate, Stunden. Ein Wurm, ein Ahorn, ein Luchs oder ein Lurch richten sich nach der Sonne. Wir haben die Uhr erfunden, um nicht zu spät zur Arbeit zu kommen. Unser Rhythmus wird von Verpflichtungen bestimmt und nicht von Bedürfnissen. Aber wir haben die Wahl, das zu ändern. In den Bergen erinnert nichts mehr an das Vergehen der Zeit, nichts außer Sonne und Mond, der urtümliche Rhythmus am Firmament. Wir haben vergessen, woher wir stammen.

Sie schreiben: „All das, was wir begehren, zum Beispiel Erfolg, Geld, Besitz, Ruhm, Ansehen und Macht, hat auf dem Berg keinen Wert und keine Bedeutung.“

Ja. Und wenn diese Dinge auf dem Berg keinen Wert haben, wenn sie also nicht an sich einen Wert haben, dann muss man sich doch fragen: Wer gibt ihnen einen Wert, und wer bestimmt ihren Wert? Und da landen wir dann bei den Verlockungen von Werbung, Fernsehen und anderen Ablenkungsinstrumenten. „,Glück‘ empfinden kann nur die Seele“, schreibt Hermann Hesse, „nicht der Verstand, nicht Bauch, Kopf oder Geldbeutel.“

Was nehmen Sie mit, wenn Sie wandern?

Alles, was in einen 40-Liter-Rucksack passt. Mehr braucht man unterwegs nicht. Wir sind ja ewig dabei, Dinge anzuhäufen: Geld, Kleidung, Töpfe, Teller, Bücher, einfach alles. Das erschwert das Leben und macht es unübersichtlich. Unterwegs braucht man davon sehr wenig. Wandern entlastet ungemein.

Ist es leichter, allein zu wandern? Oder in einer Gruppe, zu zweit?

Am liebsten gehe ich alleine, weil ich dann nicht dem Rhythmus einer anderen Person folgen muss. Dann kann ich mich am besten auf das, was um mich ist, einlassen – und loslassen. Ich gehe einfach, spüre den Boden, die Luft, ich atme. Und dann setzt wie von selbst die Entspannung ein.

Ist das Denken freier beim Wandern?

Gehen ist in erster Linie Meditation. Ich bemühe mich, beim Gehen nicht zu denken. Ich schreibe auch nicht, wenn ich in der Natur bin. Falls ich mich doch beim Denken ertappe, dann meist über das Wetter. Wenn ich sehe, dass sich etwas zusammenbraut, überlege ich, wo ich mich unterstellen kann.

Man muss sich selbst ertragen können, wenn man wandert, oder?

Das stimmt genau. Sie begegnen sich zunächst selbst. Auch den eigenen Befürchtungen und Ängsten, denen Sie sich stellen müssen. In den Bergen kann man sich ja auch leicht verlaufen. Aber Sie werden wieder zuversichtlich, sobald Sie nach einer ersten Verirrung den Weg wiedergefunden haben. „Folge nur der Sonne“, heißt es in einem Film, „und verliere deinen Schatten nicht aus dem Blick.“ Mehr benötigst du nicht in der Natur.

Edo Popovic: Anleitung zum Gehen. Aus dem Kroatischen von Alida Bremer. Luchterhand Literaturverlag, München 2015, 176 Seiten, 16,99 Euro

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