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Der Burger Roland wacht über die Stadt.

© Peter Förster/dpa

Abstecher von der Autobahn: Entdeckungen im Städtchen Burg

Burg in Sachsen-Anhalt nennt sich stolz „Stadt der Türme“. Vieles wurde akribisch restauriert. Doch auf Touristen ist man kaum eingestellt.

Schon fünf Stunden auf der Autobahn, die Rückfahrt vom Westen nach Berlin dauert. „Lass uns in Burg eine Pause machen“, schlägt die Begleiterin vor. Burg bei Magdeburg? „Ja, die Stadt der Türme. Da wollte ich schon immer mal hin.“

Auf der Internetseite macht das Städtchen mächtig Wind: „hervorragende Lage an drei großen Verkehrsachsen“, heißt es; Autobahn, Bundesbahn, Wasserstraßen. Und dazu noch der Elberadweg.

Auf einem großen Parkplatz halten wir. Wie sich herausstellt, ist es der Marktplatz mit dem neu errichteten Roland an der Kopfseite. Burg zählt zu 13 Rolandstädten des Landes Sachsen-Anhalt. Und jenes Standbild da vor uns wurde nach Originalteilen von 1581 gestaltet. Über Jahrhunderte hinweg war ein Torso gerettet, in den neunziger Jahren dann vollständig rekonstruiert und als Kopie schließlich auf den Platz gestellt worden. Nun steht die Wiedergeburt ein wenig verwundert und verloren da, vor einem Rathausneubau der etwas spröden Art.

Kaum logeschlendert, haben wir die Orientierung verloren

Wir verweilen vor einer Übersichtskarte am Platz. Alles ganz überschaubar, denken wir. So schlendern wir froh gestimmt in die Fußgängerzone. Kaum im Städtchen, haben wir die Orientierung auch schon verloren. Wie nun weiter? An der ersten größeren Weggabelung, am Magdalenenplatz: nichts. Kein Schild, kein Hinweis, keine Karte. Wie war das nun? Linksrum oder rechtsrum zur Touristeninformation? Also fragen. Wir ernten ein Kopfschütteln, beim zweiten Mal ein: „Weeß ick nich!“, beim dritten Mal die freundliche Auskunft: „Ach, wissen Se, die ziehn ja ständig um! Wo die nu jetze sitzen – keene Ahnung!“

Wir schlendern drauflos. Richtung Osten. Vor uns die Oberkirche „Unser Lieben Frauen“, auf einem Hügel gelegen. Der Breite Weg dorthin strahlt im Sonnenlicht, die meisten Häuser zu beiden Seiten sind schön restauriert. Rechts, am Flüsschen Ihle, die Brigitte-Reimann-Promenade. Burg ist die Geburtsstadt der früh verstorbenen DDR-Schriftstellerin (1933–1973). Wir beginnen eine Spurensuche.

Hügelan geht es am blendend weißen alten Rathaus (aus dem 16. und 18. Jahrhundert) vorbei zur stattlichen Kirche. Ganz lauschig wirkt das Städtchen hier oben. Wir blicken auf einen trutzigen Turm im Sonnenlicht vor knallblauem Himmel. Der „Hexenturm“, 15. Jahrhundert. Später als „Criminalgefängnis für lüderliche Mädgens“ genutzt. Ende der 1990er Jahre restauriert, heute begehbar.

Alles ist hier vom Feinsten

Station 4 auf dem ausgewiesenen „Rundgang durch die historische Stadt Burg“, steht zu lesen. Die Stadt der Türme, richtig. Kaum umgedreht, grüßt schon der nächste: der „Kuh- oder Freiheitsturm“. 16. Jahrhundert. Durch den Torbogen soll früher das Vieh getrieben worden sein, heute befindet sich im Turm ein Heimatmuseum.

Vor rund 15, 20 Jahren ist in diesem Städtchen eine Menge Geld geflossen, alles ist hier vom Feinsten. Das alte Kopfsteinpflaster ist restauriert, die Türme stehen wie eine Eins, die Jahre sind ihnen nicht anzusehen. Teile der Stadtmauer sind rekonstruiert.

Unversehens stehen wir dann vor dem ältesten Wohnhaus der Stadt: Berliner Straße 38. Ein Schmuckstück aus Fachwerk. „Wer Gott vertraut, hat wohl gebaut“, lesen wir, „Daniel Schinne, 1589“. Vor acht Jahren wurde das Gebäude umgebaut und restauriert. Heute befindet sich die Stadtbibliothek namens „Brigitte Reimann“ darin – und nun auch die Stadtinformation. Erleichtert treten wir ein. Ob man uns den Weg zum Wohnhaus von Brigitte Reimann weisen könne?, fragen wir. Verständnislose Blicke. „Der Weg dorthin? Oh ..., schwierig! Keene Ahnung!“

Carl von Clausewitz war der berühmteste Sohn der Stadt

Schmuck stehen die Fachwerkhäuser am Breiten Weg. Auf dem Hügel darüber erhebt sich die Kirche „Unser Lieben Frauen“.
Schmuck stehen die Fachwerkhäuser am Breiten Weg. Auf dem Hügel darüber erhebt sich die Kirche „Unser Lieben Frauen“.

© Stefan Berkholz

Irgendwie finden wir es doch. Zuvor macht uns allerdings ein auffälliges Hinweisschild auf die „Erinnerungsstätte Carl von Clausewitz“ aufmerksam. Clausewitz war ein preußischer Generalmajor, Kriegstheoretiker – und Sohn der Stadt. In seinem Grundlagenwerk „Vom Kriege“, 1832 erstmals erschienen, entwickelte er seinen „Abschreckungsgedanken“, der bis heute modern geblieben ist. In Militärkreisen jedenfalls. Und Clausewitz behauptete auch, ein Krieg beginne erst mit der Verteidigung des Angegriffenen. Der preußische Generalmajor gilt als Vorbild für das Militär, deutsche Kasernen tragen noch heute seinen Namen.

Seine frühe Kindheit im 18. Jahrhundert verlebte Clausewitz in Burg. Er besuchte die Stadtschule und wurde auf dem Burger Ostfriedhof beerdigt. Nachträglich, muss man sagen. 1971 wurden die sterblichen Überreste aus Wroclaw (Breslau) in geheimer Kommandosache exhumiert und überführt. Auch die Nationale Volksarmee (NVA) der DDR stützte sich auf Clausewitz’ Lehren.

Kriege machen Leute...

Seit 2000 ist im Elternhaus in der Schulstraße eine Erinnerungsstätte eingerichtet. Auf einer Gedenktafel an der schön restaurierten Fassade erfährt man in groben Zügen: „Hier wurde am 1. Juli 1780 der spätere preußische General und Kriegsphilosoph Carl von Clausewitz geboren.“ Kriege machen Leute...

Das Wohnhaus der jungen Brigitte Reimann, in das die Eltern kurz nach der Geburt ihrer Tochter eingezogen waren, ist heute auch gut erhalten. Hell verputzt steht es in der Neuendorfer Straße 2. Aber es soll am liebsten übersehen werden. Die heutigen Besitzer wollten „eine Wallfahrtsstätte verhindern“, heißt es. So ist nur eine Gedenktafel im Bürgersteig eingelassen. „Wohnhaus der jungen Brigitte Reimann“, ist da zu lesen, „Schriftstellerin. Begründerin der Ankunftsliteratur“. Im „historischen Spaziergang“ der Stadt ist der Ort nicht erwähnt.

"In engen Straßen wachsen oft enge Anschauungen"

Es gibt die Brigitte-Reimann-Promenade, es gibt dort eine Informationstafel zu Leben und Werk, es gibt die Stadtbibliothek „Brigitte Reimann“. Aber das Brigitte-Reimann-Literaturhaus mit einer ständigen Ausstellung zu Leben und Werk befindet sich in Neubrandenburg. Dort wohnte die Schriftstellerin von 1968 bis zu ihrem frühen Tod im Februar 1973.

Dieses Wohnhaus sollte in den 1990er Jahren zum Literaturhaus umgebaut werden. Doch bei den Sanierungsarbeiten stürzte es ein und war offenbar nicht mehr zu retten. So wurde ein kühler Neubau errichtet.

In ihrer autobiografischen Erzählung „Reifeprüfung“ zeichnet Brigitte Reimann unter dem Buchstaben „G.“ ein wenig schmeichelhaftes Bild ihrer Geburtsstadt: „G. ist keine bedeutende Stadt, das muß gesagt werden; Fremde nennen sie sogar ein Nest (...). In engen Straßen wachsen oft enge Anschauungen, und der Gesichtskreis mancher Menschen umschließt nur das eigene Fenster und das des Nachbarn. (...) Das Oberste Gebot lautet: ,Du sollst nicht aus der Reihe tanzen!’“ Das kann sich ja bis heute geändert haben.

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