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Was gluckst da? Es ist nur das Wasser unterm Ferienhaus. In der Marina Lauterbach auf Rügen liegen die Unterkünfte fest vertäut am Steg, abgetrieben wird niemand.

© Hanne Bahra

Deutschland: Mut zu kühler Größe

In Mecklenburg-Vorpommern investieren Hoteliers und Gastwirte in anspruchsvolle Architektur. Das zahlt sich aus.

Der alte Mann aus Zingst nimmt die Architektin Barbara Haß zur Seite und drückt leicht ihren Arm. „Mädel, das ist ja gar nicht so schlecht, was ihr da gebaut habt.“ Lärchenholzlamellen verkleiden den Neubau mitten im Ostseebad. Es gefällt nicht allen am Ort, doch Gleiches gilt für viele Neubauten in Mecklenburg- Vorpommern, wo moderne Architektur mit neuen Ideen frische Akzente setzt.

Farbige Vorhangfassaden mit integrierten LED-Leuchtstreifen wollen im Zingster Max-Hünten-Haus liegende Bücherrücken imitieren. Bibliothek und Touristinformation, ein kulturelles Zentrum, in dem sich alles um das Thema Fotografie dreht. Ein offenes Haus mit Holzwolle-Leichtbauplatten. Noch auf der Gemeindevertreterversammlung vor Baubeginn des 1,5 Millionen Euro teuren Projektes waren viele dagegen. Das viele Holz und so bunt. Barbara Haß hat sich den Mund fusselig geredet: Architektur müsse nicht folkloristisch sein, könne doch durchaus in Bauform gegossene Heimat sein. Wie eben dieser neue Gebäudekomplex mit seinen Rundungen und Kurven, der sich, wie einst die alten Fischerhäuser durch Holzverschalungen vor Wind und Wetter schützt.

„Die Architektur in Mecklenburg-Vorpommern entwickelt sich im Wesentlichen zwischen zwei Spannungspolen: der unbedingten Bewahrung eines über Jahrhunderte überkommenen baukulturellen Erbes und dem auch baulich markanten Aufbruch in ein neues Zeitalter“, schreibt Olaf Bartels in seinem „Architekturführer Mecklenburg-Vorpommern“ nun auch dem Bundesland der Backsteingotik, Bäderarchitektur und Herrenhäuser zu. Wer sich mit dem handlichen Buch auf Reisen begibt, dem eröffnet sich, was Bartels mit dem „neuen Selbstbewusstsein in der Architektur“ des Landes bezeichnet.

Die spannendsten baulichen Lösungen begnügen sich nicht mit dem Nachbau anachronistischer Gestaltungselemente. Architekten hinterfragen regionale Siedlungs- und Baustrukturen und bedienen sich in der zeitgemäßen Umsetzung sowohl traditioneller als auch moderner Materialien. So siegte unlängst in Ahrenshoop Moderne über Reetdachnostalgie. Das neue Kurhaus zeigt Mut zu kühler Größe.

Aufregender ist der Plan des Berliner Büros Volker Staab Architekten, das künftige Ahrenshooper Kunstmuseum samt Dach mit gefältelter Baubronze zu ummanteln. Das brave Hafenstädtchen Ribnitz-Damgarten am südlichen Ufer des Saaler Boddens, der die Halbinsel Fischland-Darß-Zingst vom Festland trennt, stellt einen puristischen Kubus mit bernsteinroten Glaswänden als Stadtinformation und Restaurant auf den Marktplatz.

Über fünf Kilometer Dachlatten aus Fichte hat der Tischler und Architekt Bodo Tick allein für sein Heizhaus und zukünftiges Saunagebäude in Hermannshagen bei Barth verbaut. Das ehemalige Gutshaus, die Scheune und den Bullenstall, bei Kauf eigentlich abrissreif, modernisierte Tick eigenhändig und machte ein kleines Hotel daraus. Er hat schnurgerade Wassergräben gezogen, Segeltuch als Wind- und Sichtschutz zwischen Backsteinmauer und Holzwand gespannt, neue Wege mit alten Steinen gepflastert und Bäume gepflanzt.

Experimentelles Bauen in der vorpommerschen Pampa, begleitet vom Rauschen des Windes und nächtlichem Froschkonzert. Seine Kreativität verdanke er wohl auch seiner Kindheit in der alten Wassermühle des ersten selbst organisierten Kinderladens von Bielefeld, sagt Tick, Jahrgang 1968. Hier in Hermannshagen hat er viele originale Details wie alte Zinkbadewannen, Giebelschalung und Stallfenster erhalten.

Zeitgenössische Baukultur in Gestalt von Pfahlhäusern spiegelt sich auch in den Wellen des Rügener Boddens. An zwei Stegen reihen sich die Ferienapartments mit Terrasse und eigenem Badesteg. Vor 17 Jahren kam Till Jaich aus Schleswig-Holstein. Heute verkündet er stolz, im Jachthafen von Lauterbach die ersten schwimmenden Häuser Deutschlands gebaut zu haben. Inzwischen kann man hier am, auf und neuerdings auch über dem Wasser wohnen. 14 Pfahlbauten, 40 Quadratmeter Wohnfläche, inklusive Terrasse, stehen zweieinhalb Meter über der Wasserfläche, auf Stelzen aus Stahl. „Willkommen in unserer Wasserferienwelt, hier haben wir maledivische Eindrücke mecklenburg-vorpommersch interpretiert“, scherzt Jaich. Ernst ist es ihm jedoch mit Umweltschutz.

„Heute fördern wir nicht einfach nur noch Betten“

In und vor dem Trafohäuschen von Nakenstorf darf gespielt werden.
In und vor dem Trafohäuschen von Nakenstorf darf gespielt werden.

© Hanne Bahra

Energie kommt aus dem Blockheizkraftwerk und der Solaranlage. Jaich weist auf die begrünten Dächer und spricht von Verlandschaftlichung der Architektur. Unterm Dachfirst haben Schwalben Nester gebaut. „Eine Schwalbe fängt täglich 2000 Mücken“, schwört Jaich, der noch weitere 18 Pfahlbauten plant, im Süden der Insel, in den Wiesen der Gustower Wiek. Bis zu 120 Quadratmeter große Ferienhäuser im feuchten Vogelschutzgebiet. Sechs Jahre musste Jaich warten, bis alle Genehmigungen dafür eingeholt waren. Im kommenden Sommer sollen die neuen Häuser zum Verkauf fertig sein. Quadratmeterpreis voraussichtlich 3500 Euro. Etwa 15 Millionen Euro hat Jaich bisher in Lauterbach verbaut, und etwa drei Millionen an Fördermitteln.

„Heute fördern wir nicht einfach nur noch Betten. Baupolitische Unterstützung im Gastgewerbe ist verbunden mit besonderer Architektur“, betont Staatssekretär Stefan Rudolph. Die Pfahlhäuser von Lauterbach zählen ebenso wie das Max-Hünten-Haus in Zingst zu den 76 „aktuellen, gelungenen Bauwerken“ in Mecklenburg-Vorpommern.

„Architektur macht Gäste“, betitelt Pla’tou – ein in Wien ansässiges interdisziplinäres Expertennetzwerk – eine Studie über den Zusammenhang zwischen Architektur und Wirtschaftlichkeit im Tourismus. Sie belegt: Für 88 Prozent der insgesamt 300 befragten Hoteliers hat sich die Investition in anspruchsvolle Architektur gelohnt. Eine wichtige Erkenntnis für ein Land, in dem rund 170 000 Menschen vom Tourismus leben.

Das Neue soll das Alte schmücken. „Aber nicht mit computergestricktem Balkon-Zierwerk und Stilelementen der Bäderarchitektur aus Beton.“ Joachim Brennecke, der Präsident der Architektenkammer M-V träumt von einem landesweiten „Netzwerk Baukultur“, das Bausünden zu verhindern hilft. Wenn auch vielleicht 20 Jahre zu spät. Wie die Bebauung der letzten großen innerstädtischen Brache Stralsunds – das sogenannte Quartier 17 – gleich neben der mächtigen Nikolaikirche in ihrer postmodern simulierten Kleinteiligkeit der mittelalterlichen Stadt zu Gesicht stehen wird, ist umstritten. Diese Stadt stieg in den vergangenen beiden Jahrzehnten wie Phönix aus der Asche. Auch dank solcher Architekten wie Robert Mittelbach, der nach einem franziskanischen Leitsatz „Neues wächst dann, wenn es auf Altem aufbaut, ohne bei ihm stehen zu bleiben“, drei moderne Stadthäuser direkt am Chor der mittelalterlichen Jacobikirche errichtet hat.

Der Versuch, in zeitgemäßer Formensprache zu bauen, kann aber auch wie ein architektonischer Donnerschlag in die historische Bebauung niederfahren. So hofft Stralsund mit der auffälligen Gestaltung des Ozeaneums inmitten backsteinroter Speichergebäude auf den „Bilbao-Effekt“, der der baskischen Stadt durch sein von Frank O. Gehry entworfenes Guggenheim-Museum hohe Besucherzahlen beschert hat.

Der „teuerste Fußboden der Welt“ ist in einem Trafohäuschen in Nakenstorf verlegt. 104 Edelsteine. Der Berliner Architekt Gernot Nalbach sitzt auf einem Kinderstühlchen und wischt den Sand beiseite, den Kinderfüße über das kostbare Mosaik geschleppt haben. Eine schmale Treppe führt steil hinauf in den oberen Raum, wo unter gläsernem Himmel eine Camera Obscura die Welt auf den Kopf stellt. Wenn der Wind weht, gibt eine Fahrradleuchte dem kleinen Raum auch Licht. Dieses „Kinderhotel“ wurde im Rahmen des Landesbaupreises MV in der Kategorie „Kleine Bausumme“ ausgezeichnet.

Ein stiller Ort. Vogelgezwitscher, manchmal ein kurzer lustvoller Aufschrei eines erhitzten Saunabesuchers beim Sprung ins kühle Wasser. Kindergekicher aus dem Spielort Trafoturm.

Viele Jahre lang haben das Berliner Architektenpaar Gernot und Johanne Nalbach für andere Menschen Hotels gebaut. Mit dem Umbau des ehemaligen LPG-Hofes „Morgenröte“ in Nakenstorf, unweit von Wismar, begann für sie vor 20 Jahren ein neue Ära. Inzwischen geben zwei mit Lärchenholz verkleidete Neubauten als Badescheune und Wellness-Wohlfühlhaus dem nun dreiseitigen Ensemble Modernität mit Ortsbezug. Die Buchungen haben sich inzwischen mehr als verdoppelt. Das Seehotel am Neuklostersee schreibt schwarze Zahlen. Architektur macht eben Gäste.

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