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Unverkennbar – Seemannsheim. Das Hamburger „Duckdalben“ ist mit Rettungsringen dekoriert, symbolisch für den Halt, den die Männer hier fern der Heimat finden.

© Dagmar Gehm

Deutsche Seemannsmission: Karaoke um Mitternacht

Schiffsleute aus rund 15 Nationen ankern zu Silvester in der Seemannsmission von Hamburg-Harburg.

Justin Jay D. Estacio aus Manila sitzt vor dem Laptop. Vor ihm auf dem Bildschirm erscheint via Skype seine gesamte Familie auf der anderen Seite des Erdballs: seine Frau, die zwölfjährige Tochter Presley und eine große Anzahl von Verwandten. „Daheim ist jetzt schon Mitternacht“, sagt der Filipino und holt tief Luft. „Da muss ich meinen Lieben Glück wünschen.“ Schließlich ist Silvester. Silvester im Hafen! Für Hamburger und Touristen ein ganz besonderer Platz, um das neue Jahr zu begrüßen. Doch für Seeleute, tausende Meilen von zu Hause entfernt, ist die Feier im Hafen fern von jeglicher Romantik eine Notwendigkeit, die sie hinnehmen wie Sturm und Wind, wie Ebbe und Flut.

Die meisten Schiffe verlassen zwar wegen der teuren Liegegebühren den Hafen schon vor dem Jahreswechsel. Doch um ein paar hundert „Gestrandeten“ die Wartezeit zu verkürzen bis die amtlich angeordnete Hafenruhe über Neujahr beendet wird, bietet die Deutsche Seemannsmission Hamburg-Harburg im „Duckdalben – international seamen’s club“ den Fahrensmännern einen Ankerplatz, der sich besonders zu Silvester in eine fröhliche Partylocation verwandelt.

Schiffskoch Justin Jay ist nicht zum ersten Mal im Duckdalben, das im vergangenen Jahr von Seemännern rund um den Erdball zum „besten Seemannsclub der Welt“ auserkoren wurde. In der Regel ein Mal pro Woche macht Justins Schiff, der 14 000-Tonnen-Frachter „Thetis“, in der Hansestadt fest, und jedes Mal lässt sich der Smutje in der Seemannsmission zu Füßen der rund zwei Kilometer langen Köhlbrandbrücke blicken. „Ich treffe Landsleute“, freut sich der 32-Jährige, „kann mit ihnen Tischfußball oder Billard spielen und ein Bier trinken.“ 1,50 Euro kostet die Flasche, so preiswert bekommt er sie kaum sonst irgendwo. „Außerdem hören mir die Leute hier wirklich zu.“

Eine der Zuhörerinnen ist Corinna Dohotariu. Seit sechseinhalb Jahren arbeitet die 29-Jährige hauptamtlich als Seemannsdiakonin in der Mission, bietet am Shoptresen von der Gitarre bis zu Hygieneartikeln alles an, was ein Seemann an Bord so braucht, schenkt an der Bar alles aus – außer Schnaps. Denn „blaue Jungs“ dürfen hier nicht blau sein. Corinna verkauft auch Wertkarten fürs Internet, und insgesamt 17 Telefone im Haus stellen eine Nabelschnur zur Heimat der Seeleute her.

Die riesige Tanne im Eingang ist noch geschmückt, die Räume sind allerdings bereits mit Luftschlangen und einer glitzernden Diskokugel dekoriert. Außerdem ist schon eine Seifenblasenmaschine im Einsatz, und ausnahmsweise sind sogar zwei Bars geöffnet. Die Mitarbeiter im Duckdalben – viele davon sind ehrenamtlich tätig – haben ein Büfett mit Würstchen und Kartoffelsalat aufgebaut, danach gibt es nach deutscher Sitte noch „Berliner“, also Pfannkuchen, und Sekt. „Wir wollen unseren Seeleuten zu Silvester immer eine richtig schöne Party bereiten“, sagt die Diakonin. „So zwischen 250 und 300 aus bis zu 15 Nationen feiern jedes Jahr bei uns.“

Nach dem Gebet fetzt er zur Liveband über den Tanzboden

Schiffskoch Justin ist Stammgast in der Mission von Diakonin Corinna Dohotariu.
Schiffskoch Justin ist Stammgast in der Mission von Diakonin Corinna Dohotariu.

© Dagmar Gehm

Wie der philippinische Schiffskoch Justin. Doch vor dem Frohsinn geht der Katholik in den „Raum der Stille“ im Obergeschoss, spricht ein kurzes Gebet und trägt seine Sehnsüchte und Wünsche ins „Prayer Book“ ein. Für alle großen Weltreligionen sind Nischen eingerichtet, offen und ohne Trennwände. „Danke, dass Du uns durch raue See geleitest“, hat einer auf Englisch ins Gebetbuch geschrieben, ein anderer bittet darum, dass Gott doch die gute Tradition weiterführen möge, die Seeleute zu beschützen.

Nach diesen Momenten der Besinnlichkeit ist Justin nicht mehr zu halten: Er fetzt zur Liveband über den Tanzboden. Weil nicht genügend Frauen da sind, tanzt er mit seinen Kumpeln – oder auch solo. Wenn ihm die Puste ausgeht, wechselt er in den Karaokeraum zum Singen. Das ist seine große Leidenschaft. Und es wird viel gelacht im Club. Dabei kann man die Sehnsucht und die Sentimentalität leichter vergessen. Gemeinsam mit Russen, Indern, Ceylonesen, Malaien, Holländern, Finnen und Schweden. Sprachbarrieren sind nicht existent, die gibt es schließlich auch an Bord nicht. Später stößt Justin auf das neue Jahr an mit Offizieren oder gar Kapitänen – in dieser Oase der Gestrandeten ist die Rangordnung für ein paar Stunden außer Kraft gesetzt.

Mitternacht im Duckdalben. Vor der Mission wird ein buntes Feuerwerk abgefackelt, es wird gezündelt, es kracht und immer noch wird gelacht. Die Stimmung schlägt hohe Wellen. Einige Besucher drücken den Seeleuten Wunderkerzen in die Hand. Ein bisschen verlegen schwenken die Filipinos damit herum: „Bei uns gibt man Wunderkerzen nur den Kindern.“ Noch einmal singt Justin im Karaokeraum ein Lied in seiner Muttersprache. Beflügelt vom Wein, begeistert angefeuert von Kameraden aus vielen Nationen.

Um halb eins ist Schluss mit lustig, dann werden alle mit Kleinbussen zurück auf ihre Schiffe gebracht. Vorher tauschen sie noch ihre Neujahrswünsche aus, irgendwie, quer durch die Nationen, mit viel Schulterklopfen, Händeschütteln bei den älteren, Abklatschen bei den jüngeren Seeleuten.

Viel wünscht sich Justin nicht für das kommende Jahr. Dass Freunde und Verwandte gesund sind, wenn er im Mai endlich wieder zu Hause ist. Und dass er auch im neuen Jahr wieder einen Sieben-Monats-Vertrag erhält. Von seinen Kollegen wären viele jetzt eigentlich lieber bei ihren Familien, doch auch sie haben die fröhliche Feier genossen. In der Seemannsmission, ihrem Ankerplatz an Land.

Deutsche Seemannsmission Hamburg- Harburg e. V., Duckdalben international seamen’s club, Zellmannstraße 16, 21129 Hamburg; Telefon: 040 / 740 16 61, Internet: duckdalben.de, E-Mail-Kontakt: cu@duck dalben.de

Dagmar Gehm

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