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Foto: Berthold Steinhilber/laif

© Berthold Steinhilber/laif

Reinhold Würth im Interview: „Ich lasse mir schon mal ein Bier ausgeben“

Reinhold Würth ist der siebtreichste Deutsche – und hat oft kein Geld in der Tasche. Warum er Angela Merkel nicht schätzt und Uli Hoeneß eigenartig findet.

Von Barbara Nolte

Herr Würth, man nennt Sie den Schraubenkönig.

Diese Bezeichnung hasse ich geradezu.

Warum denn?

Ein König braucht Untertanen. Und Schrauben leben ja nicht. Die sind tot. Ich will kein König sein.

Sie haben mit Schrauben, diesen schlichten Dingern, die nicht von Wert erscheinen, Milliarden verdient.

Die ganze Welt würde in sich zusammenbrechen, wenn Sie überall die Schrauben herausdrehen.

Angeblich sind Sie der siebtreichste Deutsche.

Ist mir egal. Geld bedeutet in meiner Situation nicht viel. Ich habe oft keinen Pfennig dabei.

Und wer zahlt für Sie?

Ich lasse mir schon mal ein Bier ausgeben im Fliegerklub.

Die Wirtschaftselite ist geldfixiert. Geld ...

... ist Macht. Das können Sie nicht wegdiskutieren. Man kann nur versuchen, die Macht, die durch Geld erwächst, humanistisch zu domestizieren.

Das geht?

Wir beschäftigen uns beispielsweise ausgeprägt mit Bildender Kunst. Hier in unserer Firmenzentrale haben wir ein Museum. Wir wollen nicht ersatzreligiös tätig sein, aber vielleicht öffnet sich für den einen oder anderen, der sich die Kunst anschaut, ein Fenster.

Sie haben die Zentrale von Christo verhüllen lassen.

Christo hat unser Museum von innen verhüllt.

Von innen?

Ja, das war die größte Innenverhüllung, die Christo jemals gemacht hat.

Den Reichstag zu verhüllen bietet sich ja an. Ihr Museum in Künzelsau scheint eine ungewöhnliche Wahl. Geht es Christo vielleicht auch um Geld?

Der nimmt ja nie Geld. Ich habe ihn in Hamburg bei Freunden kennengelernt, als ein Firmenjubiläum anstand. Da habe ich zu ihm gesagt: „Christo, du könntest auch mal bei uns was machen!“ Zwei Mal war er hier, ohne sich zu erkennen zu geben, und hat sich alles angeschaut.

Vier Stunden braucht man mit dem Zug für die 100 Kilometer von Würzburg zu Ihnen, vier Mal muss man umsteigen. Finden Sie das Wort Provinz despektierlich?

Ich lob’ mir die Provinz. Unser Netz an Fahrrad- und Wanderwegen ist dicht. Den Sommer über gibt es überall Freilichtkonzerte. Wir haben sogar ein Fünf-Sterne-Hotel in Friedrichsruhe …

… das Hotel haben Sie!

Ja. Es hat die beste Spa-Anlage Deutschlands.

Ihre ländliche Region ist gut bestückt, sogar zwei Ihrer Klassenkameraden haben Firmen von Weltrang aufgebaut: Gerhard Sturm ist mit ebm-papst Weltmarktführer für Ventilatoren, Albert Berner betreibt einen Schraubengroßhandel ...

… der Berner macht nur zehn, elf Prozent unseres Umsatzes.

Fast eine Milliarde.

Stimmt, und der Gerhard Sturm macht zwei Milliarden. Das sind schon ordentliche Unternehmen.

War bei Ihnen dreien schon als Kinder ein besonderes unternehmerisches Talent zu erkennen?

Wir waren durchschnittliche Schüler. Mich hat eine Lehrerin besonders geprägt. Nachmittags hat die uns kommen lassen, wenn wir unsere irregular verbs nicht konnten. To go – went – gone. Das hat mir später sehr geholfen bei der Fliegerei. Ich bin seit 40 Jahren Pilot. Mein gutes Englisch habe ich diesem Fräulein Reith zu verdanken.

In Zeiten des Misstrauens gegen die entfesselte Finanzwirtschaft gelten Mittelständler als die guten Kapitalisten. Im Wahlkampf führten Politiker des konservativ-liberalen Spektrums Familienunternehmer als Vorbilder an, Angela Merkel nannte sie kürzlich das Herzstück der deutschen Wirtschaft.

Anders als die Konzerne müssen wir uns nicht von der Börse treiben lassen. Bei Würth haben wir zurzeit 3,3 Milliarden Euro Eigenmittel in der Bilanz stehen. Was soll uns da schon passieren? Zumal wir wenig Risiko haben. Wir verkaufen ja keinen Salat, der verdirbt. Außerdem haben wir im Mittelstand nicht diese harten Konfrontationen mit den Gewerkschaften wie in den Dax-Unternehmen, im Besonderen nicht hier in Baden-Württemberg.

Wieso nicht?

Tradition. In Nordrhein-Westfalen, wo die Industrialisierung, ungefähr 1820 von England kommend, begonnen hat, wurde die Differenz zwischen den Inhabern, den Ruhrbaronen, und den Kumpeln richtig gepflegt. In Baden-Württemberg dagegen sind die Eigentümer in vielen Fällen per Du mit ihren Mitarbeitern.

Sie auch?

Ich sowieso. Ich habe den Betrieb übernommen, da hatte er zwei Mitarbeiter. Ich komme von ganz unten. Noch heute gehe ich mit verkaufen. Übermorgen fliege ich nach Barcelona, um dort einen Verkäufer von uns zu begleiten.

Sie gehen mit zu Ihren Großkunden.

Nein, ich besuche Mechaniker, Tischler, Schreiner. Ich will den Tausenden von Außendienstmitarbeitern zeigen, dass „Die da oben“ nicht nur in ihrem warmen Büro hocken. Sie kennen sicher den Tom Peters, den Management-Guru. Der sagt, eine Geschäftsleitung, die vier Wochen lang keinen Kunden aus Fleisch und Blut gesehen hat, gehört sofort auf den Mond geschossen.

Im Flur vor Ihrem Büro steht ein Pappaufsteller mit Leitsätzen für Ihre Mitarbeiter. Zum Beispiel: „Wir lieben das Verkaufen.“ Ist das nicht zu viel verlangt?

Für mich ist der Verkäuferberuf der schönste der Welt, weil Sie mit den unterschiedlichsten Leuten zu tun haben. Ich würde sterben, wenn ich so eine Revisionstätigkeit machen müsste, irgendwelche Listen mit Häkchen versehen. Grausam.

Ein anderer Satz auf dem Pappaufsteller lautet: „Wir sind optimistisch, durchsetzungsstark.“ Darf ein Angestellter bei Würth kein Grübler sein?

Doch. Man sagt gerade uns Südwestdeutschen nach, dass wir geborene Grübler seien. Daher rührt die Innovationskraft dieser Region. Baden-Württemberg hat noch immer pro Kopf die meisten Patentanmeldungen in Deutschland.

Das ist etwas anderes: ein rein praktisches Nachdenken. Hingegen scheint ein freier, kritischer Geist in der Wirtschaft nicht besonders nützlich zu sein.

Bei uns hier werden die existenziellen Fragen sogar häufiger diskutiert als andernorts. Was war vor dem Urknall? Das liegt an der Religion, dem Pietismus, der hier verwurzelt ist. Das All ist so riesengroß, da müssen Millionen anderer Zivilisationen sein: intelligente Wesen wie wir.

Sie suchen den Kontakt zu Künstlern.

Ein-, zwei Mal im Jahr besuche ich einen Tag lang in Karlsruhe Ateliers. Gerade gestern war ich dort wieder unterwegs. Das ist für mich wie Urlaub.

Wie wählen Sie die Künstler aus, die Sie besuchen?

Das macht meine frühere Sekretärin. Die Frau Hirsch hat gute Kontakte in die Szene, sie stellt mit ihrem Mann ein Besuchsprogramm zusammen.

Trifft Frau Hirsch Ihren Geschmack?

Ja, Gott – wenn man so lange zusammenarbeitet.

Ist es legitim, sich als Kunstsammler vom persönlichen Geschmack leiten zu lassen?

Natürlich. Auch Wissenschaftler leben ihren Geschmack in der Bewertung von Künstlern aus. Viele Künstler galten zu Lebzeiten wenig und kamen nachher groß raus – und umgekehrt. Zurzeit beschäftige ich mich intensiv mit der Renaissance. Wir haben in Schwäbisch Hall die Johanniterkirche zu einem weiteren Museum umgebaut. Dort hängt auch Holbeins Schutzmantelmadonna.

Sie haben sie für geschätze 50 bis 60 Millionen Euro gekauft. Was empfinden Sie, wenn Sie das Gemälde betrachten?

Ich bin da nicht sentimental. Mich beeindruckt mehr seine Geschichte: Das Gemälde machte eine Reise durch politisch instabile Zeiten. Holbein malte es, als in Basel die Reformation einzog. Er bekam keine Aufträge mehr, musste fliehen, nahm das Bild mit. Zum Glück. Man sagt, die Madonna sei das wichtigste Gemälde nördlich der Alpen.

Sie setzen sich Denkmäler. Schulen, Straßen, Hotels, Uni-Institute sind nach Ihnen oder einem Ihrer Familienmitglieder benannt. Sogar ein Flugplatz …

… der Adolf Würth Airport. Gott, ich möchte schon ein bisschen was zurückgeben an die Res Publica. Deswegen veranstalten wir auch jeden Sommer ein klassisches und ein Rock-Konzert. Und am Donnerstag hatten wir hier einen Jour fixe, zu dem tausend Mitarbeiter aus aller Welt zum Feiern anreisten. Dann ging es mit der Polonaise über Tische und Stühle. Es war lustig und laut.

Sie fangen angeblich morgens um halb acht zu arbeiten an. Ausschweifungen sind Ihre Sache nicht.

Wenn Sie 10 bis 16 Stunden am Tag arbeiten, ist nicht viel mit Ausschweifungen.

Wie in vielen Familienunternehmen fand auch bei Ihnen ein Generationswechsel statt. Angeblich unterscheiden sich die Führungsstile stark: Die Gründer, heißt es, seien vom Kampfgeist geprägt, die Jungen setzten auf universitäre Managementlehren.

Die Zeiten sind andere. In den Anfangsjahren der Republik herrschte Aufbauzeit, wir hatten richtigen Spaß am Gestalten. Heute sind die Dinge geordnet, oft überreguliert durch den Staat. In den Unternehmen macht sich mitunter eine gewisse Behäbigkeit breit. Wir haben 500 Millionen Euro an flüssigen Mitteln auf der Bank und wissen nicht so recht, was wir damit tun sollen. Die Leute sind nicht mehr so kämpferisch.

Sie haben nie eine Uni besucht.Beherzigen Sie wissenschaftliche Erkenntnisse oder Theorien?

Die Kriegswissenschaft birgt Nützliches: In „Vom Kriege“ rät Clausewitz, dass man, um eine Reichsfestung zu verteidigen, die ersten Scharmützel mit den Belagerern weit draußen im Glacis führen sollte, um die Hauptmauer zu schützen. Als Kaufmann leuchtete mir das gleich ein. Damals hatten wir unseren Hauptmarkt bei den Handwerkern, wo wir gute Preise erwirtschafteten. Wir waren überhaupt nicht an Kunden aus der Großindustrie interessiert. Dort waren die Preise kaputt. Ich habe mir aber gesagt: Bevor meine Wettbewerber den Handwerkermarkt entdecken, halte ich sie beschäftigt, indem ich der Großindustrie stinkbillige Angebote mache. Ich schuf einen Kriegsschauplatz, und meine Mitbewerber merkten gar nicht, dass wir hier eine schöne Reichsfestung hatten, mit der wir gutes Geld verdienten.

Bei allem Glück erlebten sie auch Schicksalsschläge. Ihr Sohn ist schwerbehindert und Ihre Enkelin wurde vom Auto überfahren.

Das Schicksal macht keinen Unterschied zwischen Reich und Arm. Der Markus sollte als Baby drei Mal im Abstand von drei Wochen geimpft werden. Schon nach der ersten Impfung hatte er hohes Fieber. Nach der zweiten Impfung hatte Markus ein halbes Jahr Fieber. Als wir später mit Kinderärzten darüber sprachen, schlugen die Hände über dem Kopf zusammen.

Sie sind gläubig. Wurde Ihr Glaube da noch stärker?

Eigentlich nicht. Aber wenn ich etwas zu sagen hätte, würde ich es verbieten, dass Ärzte für Erwachsene kleine Kinder behandeln dürfen.

Ihre Tochter nahm das Schmerzensgeld, das sie nach dem Unfalltod Ihrer Enkelin erhielt, als Grundstock, um eine freie Schule zu gründen.

Ja, 40 Millionen haben wir mittlerweile investiert in die Anne-Sophie-Schule. Da wird echt Leistung verlangt, aber auf einer unglaublich fröhlichen Basis. Die Bettina engagiert sich da sehr, weil sie ihre eigene Schulzeit in den 70ern in schlechter Erinnerung hat. Damals wurde der Hanns-Martin Schleyer entführt. Hier gab es Lehrer, die sagten, sie unterrichteten keine Kinder von Ärzten und Unternehmern. Die sind richtig gemobbt worden, die Kinder. Es herrschte Klassenkampf.

Kürzlich sagten Sie, dass wieder Stimmung gegen Reiche gemacht werde.

Ich bezog das auf die Pläne, eine Vermögenssteuer einzuführen. Dabei ist das Geld, das in ein Vermögen eingegangen ist, ja bereits versteuert. Ich bin ein richtiger Fan von Gerhard Schröder, weil der Mann gegen den Willen seiner Partei diese Agenda-2010-Vision durchgesetzt hat. Der Standard, den Deutschland heute hat, ist zu 90 Prozent Schröder zu verdanken und nicht der Frau Merkel.

Sie halten nicht viel von Angela Merkel?

Ich halte sie für machthungrig.

Für die SPD war die Agenda 2010 fatal.

Ist schon eine eigenartige Partei, die SPD. Die haben auch den Helmut Schmidt damals abgewählt. Schröder und Schmidt waren als Kanzler hoch erfolgreich und sind dann von der eigenen Partei abgeschossen worden.

Schröder wurde von den Wählern abgeschossen.

Ja, ja.

Haben Sie Mitleid mit dem Bayern-Präsidenten Uli Hoeneß? Sie selbst wurden vor ein paar Jahren für ein Steuervergehen mit einem Strafbefehl belegt.

Ich find’s schon ein bisschen eigenartig, dass der Hoeneß mit Millionen jonglierte und nichts der Steuer gemeldet hat. Ich will ja nicht selbstgerecht sein, aber ich habe nie, nie, nie auch nur einen Cent Schwarzgeld gehabt.

Post-Chef Zumwinkel, der sein Geld in Liechtenstein angelegt hatte …

… war auch ein komplett anderer Fall als meiner. Bei mir ging es um Kostenverrechnungen zwischen Tochterfirmen…

… Kosten einer Tochtergesellschaft waren gewinnmindernd eingesetzt worden.

In unseren Auslandsgesellschaften waren tatsächlich manche Dinge schlampig verbucht worden. Das war 60 Jahre so gelaufen, und kein Mensch hatte das jemals beanstandet. Plötzlich einen Steuerstraffall daraus zu machen, ist verrückt. Wenn ich damals schon so viel über Steuerrecht gewusst hätte wie heute, hätte ich prozessiert bis zum Ende. Aber ich war miserabel beraten.

Sie sagten: „Wenn ich morgens in den Spiegel schaue, sehe ich dort einen Gangster, einen Ganoven, einen Steuerhinterzieher. Das tut weh.“

Das war ironisch gemeint.

Wenn Prominente in negative Schlagzeilen geraten, erklären sie das häufig mit dem typischen deutschen Neid. Fühlen Sie sich manchmal neidvoll beäugt?

Für mich ist Neid ein Abstraktum. Ich weiß gar nicht, wie sich Neid anfühlt. Deswegen ist es für mich schwer nachzuvollziehen, wenn Leute auf mich neidisch sind.

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