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Wieland Speck 2017 bei der Berlinale-Pressekonferenz. Von 1992 bis 2017 leitete er die Panorama-Sektion des Festivals.

© dpa / picture-alliance / Monika Skolimowska

Wieland Speck zum Panorama-Jubiläum bei der Berlinale: "Film ist ein Mittel, um etwas zu verändern"

Das Panorama wird 40. Ein Gespräch mit dem langjährigen Sektionsleiter Wieland Speck über die Jubiläumsreihe, Buh-Rufer und einen panischen Festivalchef.

Herr Speck, Sie haben die Leitung des Panoramas nach 25 Jahren 2017 abgegeben. Wie waren die letzte Berlinale und das letzte Jahr für Sie? Phantomschmerz?

Es waren vier Dekaden unter Hochspannung, das Zentrum meines Lebens. Das ist schon eine Umstellung. Aber Phantomschmerzen habe ich nicht, denn ich wollte es ja abgeben. Ich habe auch extra im letzten Jahr vorab nichts aus dem Panorama-Programm angeschaut, sondern bin wirklich erst auf dem Festival in die Filme gegangen. Interessante Erfahrung, das alles plötzlich aus der Gastperspektive zu erleben.

In diesem Jahr wird das Panorama 40, Sie haben zusammen mit Andreas Struck das Jubiläumsprogramm kuratiert. Aus 1800 Filmen haben Sie neun Spielfilme, drei Essay-Dokumente und elf kurze Werke ausgewählt. Wie sind Sie da vorgegangen?

Weil es wirklich meine letzte Berlinale-Tat sein soll, habe ich mich mal in die erste Reihe gestellt. Ich habe mich gefragt, was mir in Erinnerung geblieben ist und was mir wichtig war. Dabei kamen viele Mauerblümchen zum Vorschein, an die sich wahrscheinlich außer mir und den Machern kaum noch jemand erinnert. Dazu kam der Input von Andreas Struck, der seit 1993 dabei ist. Gemeinsam haben wir ein kleines, obskures Programm zusammengestellt. Dabei steht jeder Film für etwas, das das Profil des Panoramas ausmacht.

Immer wieder sind im Panorama die frühen Werke von später international erfolgreichen Regisseurinnen und Regisseuren gelaufen. Etwa Lasse Hallströms „Mein Leben als Hund“, von 1986, der auch in der Jubiläumsreihe läuft. Können Sie sich noch an seinen Besuch damals erinnern?

Ja, klar! Es war sein erster großer internationaler Film, ich traf ihn zum ersten Mal. Später hing das Plakat noch ganz lange bei uns im Büro, denn „Mein Leben als Hund“ war ein Lieblingsfilm von Manfred Salzgeber, meinem Vorgänger als Panorama-Leiter. Hallström kommt jetzt zur Berlinale, wie die meisten anderen noch lebenden Regisseurinnen und Regisseure.

Gus Van Sant, Ang Lee, Derek Jarman, Kim Ki-Duk, Detlev Buck, Doris Dörrie oder Pedro Almodóvar waren früh im Panorama und kamen später groß raus. Gab es Leute, bei denen Sie das schon ahnten?

Ich bin kein spekulativer Typ. Aber wenn man rückwärts schaut, kann man sagen, dass vieles, wofür etwa ein Kim Ki-Duk später stehen sollte, schon in seinen frühen Werken zu sehen war. Dass Ang Lee, zwei Jahre nachdem er bei uns war, mit „Hochzeitsbankett“ den Goldenen Bären gewinnen würde, war natürlich nicht vorherzusehen.

Wieland Speck 1982. Seine Kurz-Doku "Das Geräusch rascher Erlösung" läuft in der Jubiläumsreihe Panorama 40.
Wieland Speck 1982. Seine Kurz-Doku "Das Geräusch rascher Erlösung" läuft in der Jubiläumsreihe Panorama 40.

© Helmut Roettgen

Ein Schwerpunkt waren immer queere Filme. Wie spiegelt sich das im Jubiläumsprogramm?

Zum Beispiel mit einem Aids-Fokus. Hier hat das Kino genau das gemacht, was für mich immer entscheidend war: Es hat seine gestalterische Kraft für gesellschaftliche Entwicklungsprozesse genutzt. Wir zeigen etwa „Buddies“ von Arthur J. Bressan Jr. in einer frisch restaurierten Fassung. Darin sieht man den Umschwung in der schwulen Kultur, der Mitte der Achtziger stattfand, von der hedonistischen Lebensfreude zur Todesdrohung, vom Feiern zum Kümmern.

Der Film lief 1985 im Panorama, 1987 starb der Regisseur an den Folgen der Krankheit. Sieben Jahre später starb Manfred Salzgeber. War es nicht hart, diese schreckliche Zeit quasi gedoppelt auf der Leinwand zu sehen?

Natürlich war es hart, weil die Fakten so hart waren, aber nicht durch die Doppelung. Eher im Gegenteil. Film ist ja ein Mittel, um an etwas zu arbeiten, zu erklären, zu verändern. Zudem ging es darum, Leuten ein Thema nahezubringen, von dem sie erstmal dachten, dass es sie nicht interessiert. Deshalb heißt dieser Teil der Panorama-Retro auch „Film als Waffe“. 1971 sah ich Rosa von Praunheims „Nicht der Homosexuelle ist pervers, sondern die Situation, in der er lebt“ und wusste von da an, dass Kino unglaubliche Dinge kann: Es kann aufregen, zur Reflexion zwingen, auf die Straße treiben. Ästhetik und Politik kommen zusammen.

Im Jahr 1987 hatten Sie die Idee, einen Preis für den besten schwul-lesbischen Berlinale-Film zu vergeben, den Teddy. Sie bestanden darauf, dass er nicht nur Werke aus dem Panorama einbezieht, sondern aus dem gesamten Festival. Warum war Ihnen das so wichtig?

Natürlich liefen 95 Prozent der Filme, die für den Teddy infrage kamen, ohnehin im Panorama, aber ich wollte, dass auch die anderen Sektionsleiter das auf dem Schirm haben. Ein Ghetto hat mich nicht interessiert. Deshalb hatten wir auch nie eine Extra-Reihe für queere Filme. Es ging darum, eine breitere Öffentlichkeit dafür zu interessieren. Da ist ein Preis ein gutes Werkzeug. Ich selber hatte mit meinem Debütspielfilm „Westler“ einige Preise gewonnen und merkte, wie viel Aufmerksamkeit man dadurch bekommt.

Ging der Plan auf, auch die anderen Sektionen für queere Filme zu interessieren?

Auf jeden Fall. Der Teddy hat außerdem dazu geführt, dass andere Festivals ähnliche Preise einführten. Als erstes Kiew, das seinen Sunny Bunny vergab, später kamen etwa der Rainbow Lion in Venedig und die Queer Palm in Cannes dazu.

Wieland Speck 2013 bei der Verleihung des Teddy-Awards mit einem der Mitglieder von Sisters of Perpetual Indulgence.
Wieland Speck 2013 bei der Verleihung des Teddy-Awards mit einem der Mitglieder von Sisters of Perpetual Indulgence.

© Jens Kalaene / dpa / picture-alliance

Bei der Berlinale hat es allerdings noch eine Weile gedauert, bis alle den Teddy ins Herz geschlossen hatten. Der damalige Festivaldirektor Moritz de Hadeln kam erst nach zehn Jahren zum ersten Mal zu einer Preisverleihung.

Das stimmt. Er hat uns immer unterstützt, ohne sich zu exponieren. Beim zehnten Teddy hatte ich ihn dann so weit, dass er mitkommt. Die Preisverleihung fand im völlig überfüllten SO36 statt. Wir hatten Probleme, durch die Menge zu kommen. Ich schob und unser PR-Agent zog den verängstigten Moritz de Hadeln. Zum Glück waren wir irgendwann auf unseren Plätzen und es wurde noch ein sehr schöner Abend. Von da an kam er öfter, manchmal sogar mit seiner Frau Erika. Und im Jahr, nachdem er gehen musste, haben wir ihm den Special Teddy gegeben.

Sie haben vier Jahrzehnte Erfahrung mit dem Berlinale-Publikum. Bei den Diskussionen ging es oft heftig zu. Trügt der Eindruck oder ist es inzwischen etwas ruhiger geworden?

Dass Regisseurinnen oder Regisseure beschimpft werden, kommt eigentlich nicht mehr vor. Zum einen sind die Filme nicht mehr so wild, zum anderen ist das Publikum auch nicht mehr so wild. Zuletzt habe ich 2015 bei „I Am Michael“ einen Wutausbruch erlebt. James Franco spielt darin einen religiösen Homosexuellen, der zum Hetero wird. Da standen schwule Männer aus meiner Generation auf und sagten: Das hätte es unter Manfred Salzgeber nicht gegeben! Bei Themen wie Rechtsradikalismus oder Israel war immer was los; wenn zum Beispiel Filme des israelisch-amerikanischen Regisseurs Udi Aloni liefen, hatte man jedes Mal Buh-Rufer im Saal. So wie die verteilt waren, wirkte das wie ein organisierter Protest.

Ist das Publikum heute insgesamt mehr gewöhnt?

Das kommt dazu. Früher musste man zu Moritz de Hadeln gehen und sich Dinge absegnen lassen, die möglicherweise brisant waren. Er hat ja sogar einmal eine Vorführung unterbrochen. Das war 1988 bei Richard Kerns „Gefingert“ in der Urania. Lydia Lunch spielt darin eine Sexarbeiterin, es geht um Erniedrigung und Ähnliches. Manfred Salzgeber fand den Film klasse, doch de Hadeln ließ die Projektion stoppen und stürmte mit dem Geschäftsführer auf die Bühne, um sich davon zu distanzieren.

Und dann?

Haben wir das Licht wieder ausgemacht und den Film zu Ende gezeigt. Ich denke, de Hadeln wollte sich absichern, falls es zu Protesten gekommen wäre. Was nicht der Fall war, es hat niemanden gejuckt. Manfred Salzgeber war allerdings außer sich. Er wollte noch an diesem Abend den Job hinwerfen und abreisen. Davon habe ich ihn dann abgehalten.

Lesen Sie hier einen Überblick über die queeren Filme der Berlinale 2019.

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