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Ekin Deligöz, parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium.

© promo

Welche Pläne hat der Bund für die Gleichstellung?: „Feministinnen und queere Menschen müssen zusammenhalten“

Feminismus muss inklusiv sein, es braucht einen Gleichstellungscheck - und das Familienrecht muss in der Realität ankommen, sagt Staatssekretärin Ekin Deligöz.

Ekin Deligöz (Grüne) ist parlamentarische Staatssekretärin im Bundesfamilienministerium.

Frau Deligöz, verzögert der Ministerinnenwechsel wichtige Projekte des Familienministeriums?
Überhaupt nicht. Wir sind ein Team an der Spitze. Anne Spiegel war unsere Ministerin, aber hat alles teamorientiert aufgebaut. Die wichtigsten Themen sind angepackt. Wenn Sie durch die Räume des Ministeriums laufen, merken Sie, wie es summt und brummt. Es war wegen Corona am Anfang ziemlich leer, es war schwierig, die Leute zu greifen. Jetzt kommt das Leben zurück. Wir haben auf allen Ebenen viel gestartet: Von der Einsamkeitsstrategie über die Seniorenpolitik bis zum Kindersofortzuschlag.

Gerade gesellschaftlich hat die Ampel ambitionierte Vorhaben. Wie viel Gegenwind verspüren Sie?
Ich bin schon sehr lange in der Kinder- und Familienpolitik verankert. Die Zeiten, wo wir heftige ideologische Auseinandersetzungen im demokratischen Lager insbesondere um Geschlechterrollen geführt haben, sind vorbei. Wir erfahren bei allem, was wir machen, sehr viel Zustimmung.

Die Herausforderungen sind derzeit andere. Wir sind in mehreren Krisen. Der Wettkampf um die besten Ideen ist auch der Wettkampf um die Haushaltsressourcen. Vieles von dem, was wir vorhaben, ist kostenintensiv, weil es in die Kernbereiche des Sozialstaats hereinreicht. Wenn wir davon reden, dass 20 Prozent der Familien in Armut leben oder von Armut gefährdet sind, und wenn wir dann dort zielgenau eine Leistung platzieren wollen, die hilft, wird das Geld kosten.

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Sie beschäftigen sich politisch seit langem mit dem Thema Gleichstellung. Gibt es einen Bereich, bei dem diese aus Ihrer Sicht schon erreicht ist?
Das kommt darauf an, womit man das vergleicht. Ich war eine der Rednerinnen der UN-Frauenrechtskommission. Wenn wir dort als Deutschland auftreten mit unseren Maßnahmen – etwa dem Führungspositionsgesetzen – , sind wir sicherlich Vorreiter darin, mit einer gewissen Ordnungspolitik die Kultur in den Chefetagen ändern.

Ich will mich darin aber nicht sonnen. Die Herausforderungen in einer sehr dynamischen Gesellschaft sind nach wie vor da. Das fängt mit klassischen Aufgaben an, etwa: Wie können wir Schutz und Beratung für von Gewalt betroffenen Frauen verankern? Bei aktuellen Debatten wie um Sexismus oder reproduktive Rechte sind wir mitten in einem gesellschaftlichen Prozess.

Was sind für Sie die wichtigsten Punkte, die beim Thema Gleichstellung angepackt werden müssen?
Es gibt diese schönen Begriffe „Cash, Care und Data“. Wir brauchen einen Gleichstellungscheck, damit wir mehr Daten bekommen und die Handlungsherausforderungen besser darstellen können. Dabei wird durchleuchtet, wie sich alles, was wir machen, in Hinblick auf die Geschlechterverhältnisse auswirkt. Das ist zweite ist Carearbeit, die Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, die Frage der paritätischen Aufteilung von Erziehung- und Carearbeit. Da kommt in einer älterwerdenden Gesellschaft zunehmend das Thema Pflege dazu.

Was ist mit dem dritten Punkt Cash?
Da gehören Frauen in Führungspositionen zu, da gehört das Thema Gender Pay Gap zu, da gehört eine adäquate Finanzierung von klassischen Frauenberufen zu, eine Entgelttransparenz. Und wenn ich noch als vierten Punkt die Istanbul Convention zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen ergänze, sind das die großen Gleichstellungsdebatten, die wir führen. Wenn wir die voranbringen, bringen wir auch die Gesellschaft voran.

Um LGBTI-Rechte wird gestritten (Symbolbild) - Deligöz sagt, Feministinnen und queere Menschen müssen zusammenstehen.
Um LGBTI-Rechte wird gestritten (Symbolbild) - Deligöz sagt, Feministinnen und queere Menschen müssen zusammenstehen.

© Getty Images

Um die Inklusivität des Feminismus wird aktuell intensiv debattiert - weil es Feministinnen gibt, die trans Frauen ausschließen. Wie ist Ihre Haltung in der Frage?
Wir haben mit Sven Lehmann den ersten Queerbeauftragten im Haus, er macht großartige Arbeit. Mit ihm signalisieren wir einen Aufbruch für Vielfalt, für Selbstbestimmung, für gleiche Rechte. Ehrlich gesagt lerne ich jeden Tag mit seiner Arbeit vieles dazu. Wir werden gleiche Rechte nur voranbringen, wenn wir uns nicht auseinanderdividieren lassen.

Feministinnen und queere Menschen, wir müssen zusammenhalten. Wir kämpfen füreinander und miteinander. Es muss egal sein, ob wir cis oder trans sind. Es geht darum, wie Menschen in einer Gesellschaft dazugehören und sich einbringen können.

Es gibt Frauen, die sagen, mit einem Selbstbestimmungsgesetz für trans Menschen können man keine Gleichstellungspolitik für Frauen mehr betreiben, weil sich ja praktisch jede*r zur Frau erklären könnte. Was entgegnen Sie diesem Argument?
Ich habe trans Freund*innen, ich kenne diese Menschen, und glauben Sie mir: Für absolut niemanden ist das ein Spiel. Das sind bewusste, sehr reflektierte Entscheidungen, die sich niemand leicht macht. Wenn sich ein Mensch dazu entschließt, ist es nicht an uns, moralisch darüber zu urteilen. Ich als Frau bestehe auf meine Selbstbestimmungsrechte, also akzeptiere ich, dass andere Menschen auch auf ihre Selbstbestimmungsrechte bestehen. Wir haben ein gemeinsames Interesse, unsere Rechte zu verteidigen.

Wie erleben Sie die Debatte um ihre Fraktionskollegin Tessa Ganserer, die als trans Frau immer wieder härtesten Anfeindungen ausgesetzt ist?
Ich kenne Tessa seit der Grünen Jugend, seit wir 16 sind. Ich habe ihren Werdegang über die gesamte Zeit miterlebt. Ich habe einen wahnsinnigen Respekt davor. Sie ist eine von uns, und das ist großartig.

Ein wichtiges Projekt für die Ampel ist das Stärken von Wahlfamilien. Neben den leiblichen Eltern sollen auch zwei soziale Eltern das kleine Sorgerecht erhalten können, es soll eine Verantwortungsgemeinschaft eingeführt werden für Menschen, die nicht in einer Liebesbeziehung sind. Wann ist da mit Gesetzentwürfen zu rechnen?
Wir wollen das Familienrecht der Lebensrealität anpassen. Familie ist vielfältig, sie ist dort, wo Menschen miteinander und füreinander Verantwortung übernehmen. Die Federführung für diese Projekte ist nicht im Familienministerium, sondern im Justizministerium. Aber wir sind in einem engen Austausch, und sind gerade dabei, einen konkreten Zeitplan zu erarbeiten. Wie gesagt: Am Ende geht es nicht darum, dass wir eine Schraube drehen, um etwas Neues zu ermöglichen – sondern das wird bereits gelebt, und wir wollen das Rechtsinstitut absichern.

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