zum Hauptinhalt
Die Autorin Torrey Peters.

© Natasha Gornik

US-Autorin Torrey Peters: „Ich hatte genug davon, dass trans Menschen als tapfere Held*innen geschildert werden“

Torrey Peters spricht im Interview über ihren Erfolgsroman „Detransition, Baby“, die vielen Seiten der trans Community und die Hetze gegen sie.

Torrey Peters ist Autorin, wuchs in Chicago auf und lebt in New York. Für ihren Roman „Detransition, Baby“ wurde sie als erste trans Frau für den Woman's Prize for Fiction nominiert. Das Buch ist gerade auf Deutsch erschienen (Ullstein Verlag, Aus dem Englischen von Frank Sievers, Nicole Seifert 464 S., 24 €) ​​​​​​.

Torrey Peters, „Detransition, Baby“ wird oft als der erste große trans Roman unserer Zeit beschrieben. War das das Ziel, als Sie das Buch geschrieben haben?
Nein, auf keinen Fall! Meine Freund*innen würden mich auslachen, wenn ich das behaupten würde. Natürlich fühle ich mich geschmeichelt, wenn ich das höre. Aber es sagt mehr darüber aus, wie wenig viele Leute über trans Romane wissen. Für die, die sich auskennen, erscheint mein Buch nicht als furchtbar brillant oder über allen anderen Werken schwebend.

Viele Bücher über trans Menschen sind ernst und traurig. „Detransition, Baby“ ist dagegen sehr witzig. Warum haben Sie diesen Tonfall gewählt?
Irgendwann will man nicht mehr nur traurige Sachen schreiben und man beginnt die lustige Seite zu sehen. Ich hatte auch genug davon, dass trans Menschen so oft als tapfere Held*innen geschildert werden.

Klar, sie müssen sich gegen viel Widerstand durchsetzen. Aber die trans Menschen, die ich kenne, machen Fehler wie alle anderen. Wir streiten miteinander, wir sind manchmal kleinkariert, wir sind eitel. Warum sollte ich das als Autorin ausblenden? Ich will nicht über perfekte Menschen schreiben, sondern über Menschen, die knietief in Konflikten stecken.

Das Buch hat drei Hauptcharaktere, einer davon durchgeht eine Detransition: Von der trans Frau zurück zum Mann. Von Transfeind*innen werden Detransitionen oft als Argument gegen Selbstbestimmungsrechte genutzt. Warum haben Sie das dennoch zum Thema gemacht?
Das war riskant. Ich habe nicht mit einem so großen Publikum gerechnet, also habe ich mich beim Schreiben ziemlich frei gefühlt. Ich sehe aber auch nicht ein, warum ich Detransitionen Leuten als Thema überlassen soll, die das dann als ideologische Waffe gegen trans Menschen benutzen.

[Mehr Neuigkeiten aus der queeren Welt gibt es im Queerspiegel-Newsletter des Tagesspiegel, der zweimal im Monat erscheint - hier geht es zur Anmeldung.]

Behauptet wird, eine Detransition würde die betroffenen Personen und ihre Körper ruinieren. Das stimmt nicht. Ich kenne Leute, die detransitioniert sind. Das sind keine Monster, sondern großartige Menschen. Sie detransitionieren auch nicht, weil sie sich in ihrem Geschlecht geirrt haben – sondern weil die Gesellschaft sie ihr Leben nicht hat leben lassen. Diese ganze Debatte missversteht das Konzept von Geschlecht.

Wie meinen Sie das?
Das Leben besteht aus Chancen, und man riskiert etwas. Wenn etwas nicht klappt, lässt man es hinter sich. Ebenso ist es mit Geschlecht. Man weiß eben nicht immer genau, wo man hinwill. Es gibt verschiedene Wege, verschiedene Möglichkeiten. Ich kann auch für den Job ins Ausland ziehen und dann merken, dass das nichts für mich ist. Niemand würde als Konsequenz fordern, Jobwechsel ins Ausland gesetzlich zu verbieten, um mich davor zu bewahren.

Familie ist ein anderes zentrales Motiv. Eine trans Frau, eine cis Frau und ein detransitionierter Mann planen, gemeinsam ein Baby aufzuziehen. Muss das Konzept Familie dekonstruiert werden?
Natürlich kann man denken: Wenn man das Verständnis von Geschlecht ändert, warum nicht auch die Idee von Mutterschaft oder Elternschaft? Vieles ist im Fluss, auch wie man mit den eigenen Wünschen umgeht. Nehmen wir Reese, die trans Frau. Sie fragt sich: Wann war ich am glücklichsten, was waren ihre Rollenmodelle als Frau, als sie jung war? Das waren Mütter. Und daher möchte sie diese Rolle auch ausfüllen. Für sie ist es kein Widerspruch, trans zu sein und mütterliche Sorge bieten zu können – es ist eher eine Frage der Logistik.

Eine Demo für die trans Community in den USA. Die Spannbreite der Communi9ty darzustellen war eins von Torrey Peters`Zielen.
Eine Demo für die trans Community in den USA. Die Spannbreite der Communi9ty darzustellen war eins von Torrey Peters`Zielen.

© Imago/Zuma Wire

Gibt es in der trans Community einen Generationenkonflikt? Sie erwähnen im Buch mehrfach, wie die Mittdreißigjährigen die Jüngeren nicht mehr richtig verstehen und für zu radikal halten.
Ich habe sechs Jahre gebraucht das Buch zu schreiben, und währenddessen bin ich langsam in eine mittlere Generation gerutscht. Ich bin jetzt 40, und 22-jährige haben einfach andere Ansichten, was es bedeutet trans zu sein. Ich erwische mich dabei, ihnen gegenüber mütterliche Gefühle zu entwickeln, was sie wiederum nervig finden. Ich denke dann: Werde mal ein bisschen älter.

Insgesamt – unabhängig vom Alter – geht es mir darum zu zeigen, dass auch die trans Community komplex ist. Wir werden häufig so dargestellt, als ob wir ständig sauer werden wegen falsch genutzter Pronomen und andere canceln wollen. Das ist nicht so: auch bei uns gibt es eine Spannbreite von Meinungen. Wobei es ebenso seine Berechtigung hat davor zu warnen, zu sehr dem Mainstream gefallen zu wollen und der Mehrheitsgesellschaft alles durchgehen zu lassen.

Der Titel „Detransition, Baby“ ist mehrdeutig, es könnte eine Aufzählung sein, aber auch eine Aufforderung sein. Was ist Ihre Intention damit?
Der funktioniert gleich dreimal! Erstmal ist das „Baby“ in der amerikanischen Kultur einfach sehr eingängig, so wie „Hasta la vista, Baby!“, du hast dich gemacht, Baby. Das hat eine Coolness. Auf einer mehr theoretischen Ebene steht das Komma dafür, wie trans Frauen existieren. Es wie auf einer scharfen Kante zu leben.

Und die dritte Bedeutung?
Die ist mehr wie ein Witz: Der Titel ist die Zusammenfassung des Buchs. Es gibt diese Legende, nach der Hemingway eine Geschichte in sechs Worten geschafft hat. Ich habe nur zwei gebraucht!

Für die deutsche Übersetzung gab es ein „Sensitivity Reading“. Das soll unsensible Ausdrücke, Klischees und Diskriminierungen vermeiden. Was halten Sie von dem Konzept?
In Schweden gab es das ebenfalls, mit der Übersetzerin dort habe ich gesprochen. Es ist sehr interessant. Man kann das so interpretieren, als ob eine Art Zensur ausgeübt werden soll, der Text dogmatisch wird. Mein Buch ist aber nicht dogmatisch und politisch nicht sehr korrekt. Insofern hilft Sensitivity Reading nicht viel, weil das Buch nicht sehr sensibel ist. Auf der anderen Seite gibt es bestimmte Ausdrücke, da fragt man sich: Sind die cool übersetzt? In Schweden wurde fürs trans Sein zunächst einen Ausdruck verwendet, der „Transgenderism“ im Englischen entsprochen hätte. Das wäre sehr peinlich gewesen – gut, dass das verhindert werden konnte.

Wie waren die Reaktionen von trans Menschen auf das Buch?
Vielen mögen das Buch sehr, andere überhaupt nicht. Für manche schreibe ich zu viel über Sex, manche werfen mir vor, ich würde die schmutzige Wäsche der trans Community waschen. Wiederum andere sagen, ich würde meine Themen viel zu sehr an den Mainstream anpassen. Für mich ist das okay – wenn Kritik aus allen Richtungen kommt, hat man etwas richtig gemacht.

Sie wurden als erste trans Frau für den britischen Women`s Prize für Fiction nominiert worden, ein sehr renommierter Literaturpreis. Was bedeutet Ihnen das?
Natürlich habe ich mich sehr geehrt gefühlt. Bernardine Evaristo und Elizabeth Day, die zu den Jurorinnen gehörten, haben Tolles über mein Buch gesagt, das sind besondere Momente. Mir war aber auch klar, dass die Nominierung umstritten sein würde. Der Backlash kann dann leider auch.

Nach der Nominierung gab es heftige Reaktionen von Anti-Trans-Aktivistinnen, gegen Sie gab es eine regelrechte Hetze in den sozialen Medien.
Das war sehr heftig. Ich habe schon Transfeindlichkeit erfahren – aber eine weltweite, transfeindliche Kampagne gegen mich, das ist ein ganz anderes Level. Was habe ich den Leuten in anderen Ländern denn getan? Da ging es nicht mehr um den Austausch unterschiedlicher Ideen, sondern um gezielten Rufmord. Ich habe mir fast gewünscht, die Nominierung hätte es nie gegeben. Glücklicherweise gab es dann eine weitere Wendung.

Und zwar?
Autor*innen haben mich verteidigt, darunter einige, die ich noch nie getroffen hatte. Es macht mich noch immer emotional daran zurückzudenken, wie die mich trotz dieser furchtbaren Internettrolle unterstützt haben, einfach weil sie meinten, dass es das Richtige ist. Und das wurde dann noch durch die britischen Leser*innen. Sie haben auf einmal mein Buch gekauft, es war auf Platz Fünf der Times-Bestseller-Liste. Die haben sich durch die Attacken auf mich nicht beeindrucken lassen. Das hat mir sehr viel Vertrauen zurückgegeben.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false