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Rebecca Richter (links) und Katja Dunkel (rechts) haben eine Kanzlei für queere Menschen und Frauen eröffnet.

© promo

„Unsere Kanzlei soll ein Safe Space sein“: Erste Berliner Anwaltspraxis für Frauen und queere Personen

Katja Dunkel und Rebecca Richter vertreten Frauen und queere Menschen. Hier sprechen sie über männerdominierte Strukturen und rechtliche Diskriminierung.

Katja Dunkel und Rebecca Richter haben die erste Anwaltspraxis in Berlin eröffnet, die Frauen und queere Menschen vertritt. Die Welt des Rechts nehmen die Anwältinnen noch als konservativ und männerdominiert wahr.

Sie haben kürzlich die erste Kanzlei in Berlin eröffnet, die insbesondere queere Menschen und Frauen vertritt. Wie kam es dazu?
DUNKEL: Ich bin selbst lesbisch und habe in der Vergangenheit immer wieder erlebt, wie Frauen und LGBTQIA*-Menschen mit ihren Anliegen –egal in welchem Bereich - weniger ernst genommen wurden oder sich für Dinge rechtfertigen mussten.

LGBTIQA* steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Transgender, intersexuelle, queere und asexuelle Menschen.
Uns wurde bereits von Mandant*innen berichtet, dass sie von einigen Kanzleien abgelehnt wurden. Dieses Gefühl, dass der Zugang zum Recht nicht allen gesellschaftlichen Gruppen gleichermaßen gewährt wird, hat uns motiviert, es anders zu machen: Mit unserer Kanzlei wollen wir einen Safe-Space für queere Personen schaffen. Einen geschützten Raum, der von zwei Frauen geführt wird, die sich einfühlen können –auch weil sie manche Diskriminierungserfahrungen teilen.

Haben Sie als lesbische Anwältin in Berlin viel Diskriminierung erlebt?
DUNKEL: Das Jurawesen insgesamt ist eher konservativ und patriarchal geprägt. Ich musste mir schon oft Sprüche anhören, die entweder etwas mit meiner Weiblichkeit zu tun hatten oder mit meinem Lesbisch-Sein. An manchen Tagen habe ich mich schon sehr geärgert und dachte mir oft, dass ich einfach nur meinen Job machen will – ohne dass das Frau-Sein eine Rolle spielt.

RICHTER: Hinzu kommt, dass ein Großteil der Anwaltschaft noch immer männerdominiert ist. Frauen sind in der gesamten Wirtschaftswelt unterrepräsentiert und werden oft weniger gesehen, gehört und gefördert. Es fehlt an Gründerinnen und weiblichen Führungskräften. Auch deshalb wollten wir unsere eigene Kanzlei gründen.

Würden Sie Mandate auch ablehnen, etwa von heterosexuellen cis Männern?

RICHTER: Davor würden wir tatsächlich nicht zurückschrecken. Allerdings nur im Rahmen unserer Prüfung, ob das jeweilige Mandat unseren Werten entspricht. Uns geht es nicht darum, möglichst viele Fälle zu generieren, sondern darum, Personen zu vertreten, die uns am Herzen liegen. Sollten wir irgendwann einmal an unsere Kapazitätsgrenzen stoßen, würden wir LGBTQIA*-Menschen und Frauen den Vortritt lassen und den heterosexuellen cis Mann ablehnen. Bisher sind wir aber noch gar nicht in die Verlegenheit geraten.

[Der Text ist eine Leseprobe aus dem Tagesspiegel-Newsletter Queerspiegel. Dieser erscheint monatlich, immer am dritten Donnerstag. Hier kostenlos anmelden]

Und bei den Fällen, die Sie annehmen, worum geht es da?
RICHTER: Wir sind auf Medienrecht spezialisiert. Viele unserer Mandant*innen kommen aus der Filmbranche oder sind Autor*innen. Häufig geht es um Hass im Netz und sexualisierte Gewalt, aber auch Diskriminierung am Arbeitsplatz ist ein Thema. Frauen und queere Menschen sind davon immer häufiger betroffen –auch weil sie sich in den vergangenen Jahren immer mehr Einfluss in Gesellschaft und Politik verschafft haben. Wir kümmern uns um Ansprüche, die Mandant*innen gegen Schädiger haben oder darum, wie sie sich in der Öffentlichkeit dazu äußern dürfen.

DUNKEL: Es sind aber nicht nur Fälle, bei denen unsere Mandant*innen negativ von etwas betroffen sind. Wir unterstützen auch schon im Vorhinein –etwa bei der Verhandlung von Vertragswerken.

Bei der Größe der queeren Community in Berlin ist es fast schon erstaunlich, dass vor Ihnen niemand auf die Idee gekommen ist, eine Kanzlei für LGBTQIA* zu eröffnen. Ist es für Anwält*innen problematisch, eine so feste Zielgruppe zu haben?
RICHTER: Als Anwältinnen dürfen wir parteiisch sein, von daher ist das kein Problem. Ungewöhnlich ist eher, dass wir auch unsere politischen Werte offensiv nach außen tragen: Auf unserem Instagram-Kanal informieren wir zum Beispiel über die Diskriminierung durch das Abstammungsrecht. Bei lesbischen Paaren muss eine der Mütter ihr Kind ja noch adoptieren, während bei heterosexuellen Paaren der Ehemann automatisch als Vater anerkannt wird.

Das Abstammungsrecht ist nur ein Beispiel für die rechtliche Diskriminierung queerer Menschen. Gleichzeitig wird oft suggeriert, dass vor dem Gesetz alle Menschen gleich seien. Wie erklären Sie sich diese Diskrepanz?

DUNKEL: Zunächst muss man sich anschauen, wie das Rechtswesen in der Vergangenheit gestaltet wurde: Heterosexuelle Männer haben Gesetze für heterosexuelle Männer gemacht. Die Gesellschaft hat sich in den vergangenen Jahren zum Glück weiter entwickelt, das Recht blieb in vielen Fällen aber unverändert. Bis sich die Gesetze an den gesellschaftlichen Wandel angepasst haben, wird es leider noch lange dauern.

Es ist teils sehr frustrierend und schwer auszuhalten, mit anzusehen, wie langsam das geschieht. Uns ist wichtig, Prozesse dort mitzugestalten, wo es geht. Beim Abstammungsrecht sind inzwischen mehrere Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht. Bis zur vollkommenen Gleichstellung ist es aber noch ein weiter Weg.

Dass es noch viel zu tun gibt, zeigt auch das Feedback, das Sie bei einem Businessplan-Wettbewerb bekommen haben. Dort hieß es, Ihre Fokussierung sei „fragwürdig“. Wie geht es Ihnen damit?
DUNKEL: Im ersten Moment waren wir natürlich total geschockt. Der Juror meinte, schwule und lesbische Menschen würden sich nicht an unsere Kanzlei wenden, gerade weil sie sich eine „normale“ Behandlung wünschen würden. Nach dem ersten Schock hat uns das Feedback aber auch beflügelt. Denn letztlich hat der Kommentar nur bewiesen, wie dringend es geschützte Räume wie unsere Kanzlei tatsächlich braucht.

RICHTER: Auf der anderen Seite ist das natürlich unfassbar schade, denn es ging auch um Förderung, die wir für unsere Gründung dringend bräuchten. Das Urteil verdeutlicht auch, mit welchen Machtstrukturen wir es hier tun haben: Frauen und queere Menschen haben weniger Chancen auf eine Finanzierung. Wir werden uns davon aber nicht unterkriegen lassen.

Gut! Und was bringt die Zukunft?
RICHTER: Wir bekommen gerade viele Anfragen von queeren Menschen, die bei uns einsteigen wollen. In den nächsten Wochen werden wir aber erst mal zu zweit bleiben und mit verschiedenen Organisationen zusammenarbeiten. Wir hoffen, dass unsere Kanzlei so zu einem richtigen Community-Projekt wird.

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