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Das Kalush Orchestra aus der Ukraine siegte in Turin mit "Stefania".

© dpa/Jens Büttner

Ukraines Sieg, Deutschlands Debakel: Die schönsten und peinlichsten Momente des ESC 2022

Flötentöne aus der Ukraine, supersaubere Hände und das gehamsterte Toilettenpapier der Pandemie – unser Rückblick auf das ESC-Finale in Turin.

Was für ein Herzschlagfinale! Die Ukraine gewinnt den Eurovision Song Contest in Turin, getragen von einem überragenden Publikumsvoting – vor Großbritannien, das nach den Stimmen der Jury noch klar vorne gelegen hatte. Hier die schönsten Momente der Show.

Europas liebste Band

Sie waren die Favoriten – und haben mit "Stefania" tatsächlich den Sieg für ihr Land eingefahren: Das Kalush Orchestra aus der Ukraine lag nach den Jurywertungen noch auf Platz vier, doch überwältigende 439 Punkte von den Zuschauer:innen haben die Band auf Platz eins katapultiert.

Völlig zu Recht, denn der Song, der traditionelle und moderne Elemente mischt, ist einfach mitreißend. Auch die Performance inklusive Flöten-Hookline, Breakdance und lustigen Zottelkostümen war auf den Punkt stimmig. Ganz zu schweigen von der starken Botschaft, die von dem Sieg ausgeht: Europa steht zusammen.

Höchste Töne

Sam Ryder hat es geschafft, Großbritannien aus einem tiefen Tal der ESC-Trauer auf den zweiten Platz zu singen – mit seinem in höchsten Höhen seiner Stimme abhebenden „Space Man“. Sehr sympathischer Typ mit blondem Vollbart, Metal-Matte – und einem überzeugenden Song.

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Das schönste Märchen

Dafür lieben wir den ESC: Gaga-Song mit Gaga-Texten, liebevoll durchgedrehte Kostüme – und gleichzeitig das schönste Märchen. Die Rede ist von Subwoolfer aus Norwegen. Sie traten mit gelben Wolfskappen auf und interpretierten Rotkäppchen neu: „Bevor der Wolf meine Großmutter frisst, gib dem Wolf eine Banane!“ Hoffentlich gab's viele Bananen.

Die imposanteste Schleppe

Wären die Punkte nur für die schönste Schleppe und die schönste Maske vergeben worden, hätte Sheldon Rily aus Australien haushoch gewonnen. Australien ist seit einigen Jahren Ehren-Europa beim ESC, und Sheldon Reily zeigte mal wieder warum. Herzzerreißend besang er seine Queerness, für sein Outift ist der ESC erfunden worden. „Anything is possible“, rief er zum Schluss und weinte fast – ein berührender Moment. Von den vielen traurigen Jungs des Abends war er der einzige, der sein Lied wirklich zum Strahlen brachte.

Lesen Sie auch: ESC-Kommentator Peter Urban im Interview: Sind die hinteren Plätze ein Beweis dafür, dass Europa uns nicht liebt? (T+) ]

Glitzermaske sitzt, Schleppe auch: Sheldon Riley aus Australien.
Glitzermaske sitzt, Schleppe auch: Sheldon Riley aus Australien.

© Jens Büttner/dpa

Die saubersten Hände

Fast so etwas wie eine Kunstperformance präsentierte Konstrakta als vorletzte Starterin. Und fiel damit auf witzig-vielschichtige Weise aus dem Rahmen: Zu ihrem Song „In Corpore Sano“ saß die ganz in weiß gekleidete serbische Sängerin in der Mitte der Bühne und wusch sich während ihres gesamten Vortrags die Hände in einer weißen Schüssel. Ab und an wurde von den umstehenden fünf Personen ein Handtuch gereicht.

So sauber waren die Hände beim ESC noch nie: Konstrakta aus Serbien.
So sauber waren die Hände beim ESC noch nie: Konstrakta aus Serbien.

© AFP/Marco BERTORELLO

„Umetnica mora biti zdrava/ Biti zdrava, biti zdrava/ Biti zdrava, biti-biti-biti-biti zdrava“ (Die Künstlerin muss gesund sein/ Gesund sein, gesund sein“) sang sie. Damit kritisierte Konstrakta nicht nur die gesellschaftliche Gesundheitsbesessenheit und den dazugehörigen Konsumzwang, sondern zitierte auch eine Performance der großen serbischen Künstlerin Marina Abramović, die sich 1975 vor der Kamera 14 Minuten lang intensiv die Haare kämmte und dabei „Art must be beautiful… Artist must be beautiful…“ sagte. Konstraktas Auftritt war auf jeden Fall einer der stärksten Momente des Abends.

Größter Polka-Rock-Spaß

Für einen der fröhlichsten Augenblicke sorgten Zdob şi Zdub & Fraţii Advahov aus Moldawien mit „Trenuleţul“. Bei der überdrehten Polka geben Akkordeon und Geige den Ton an, im Text geht es um eine Zugfahrt von Chișinău nach Bukarest - offenbar eine echte Partybahn. Und auch wenn man nichts verstand, machte der Auftritt der schon zum dritten Mal bei ESC vertretenen Gruppe umgehend gute Laune.

Beim Eurovision Song Contest braucht das Publikum traditionell auch starke Nerven, um die seltsamen und peinlichen Momente auszuhalten. Hier sind einige davon:

Jaulende Jungs

Womit wir bei den vielen gefühlvollen Jungs sind. Ob Polen, Schweiz, Belgien, Estland oder das Duett aus Italien: Dissen möchte man sie eigentlich wirklich nicht. So gehäuft, wie sie an diesem Abend auftraten, war es aber doch arg eintönig. Am konsequentesten machte es Nadir Rustalmi aus Aserbaidschan. Er legte sich direkt mal hin, was die angemessene Hörhaltung für seinen und ähnliche Songs war. Achtung, Einschlafgefahr!

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Lahmende Moderator:innen

Apropos Einschlafgefahr: Das galt auch für die „Witze“ des Moderationsteams. Tapfer versuchten sie eine Best-Of-ESC-DVD zu verkaufen, minutenlang quälten sie sich durch die wichtigsten Gesten Italiens. Abgewunken!

Das Moderationstrio Laura Pausini (M), Alessandro Catalan (l) und Mika auf der Bühne in Turin.
Das Moderationstrio Laura Pausini (M), Alessandro Catalan (l) und Mika auf der Bühne in Turin.

© dpa/Luca Bruno

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Weiße Hölle aus Armenien

Ob die weiße Gitarre am Anfang als Gruß an Nicole gemeint war, die vor 40 Jahren den Grand Prix gewonnen hat? 19 Jahre bevor Sängerin Rosa Linn das Licht der Welt erblickte. Für Armenien führte sie den unbemerkenswerten Song „Snap“ auf, wobei sie in einem Zimmer saß, dessen Wände mit weißen Blättern ausgekleidet war. Es sah ein bisschen aus wie Toilettenpapier und man dachte sofort: Da sind also die ganzen Hamsterkäufe gelandet. Manchmal riss Rosa Linn ein paar Blätter weg und darunter erschien Schrift „22nd of June“ oder „Snap“. Hoffentlich wurde das Papier anschließend wenigstens eingesammelt und wiederverwendet.

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Schlimmes Durchgeklatsche

Waren im Saalpublikum die Deutschen in der Mehrheit oder warum wurde so grauenvoll mitgeklatscht? Immer auf jeden Schlag, statt es mal mit der 2 und der 4 zu probieren. Besonders störend war das etwa zu Beginn von „Stefania“ des Kalush Orchestra und bei dem schönen litauischen Chanson, das Monika Liu („Sentimentai“) sang.

Auch bei Systurs sanftem Folkpopstück „Með hækkandi sól“ taten die Fans alles dafür, es zu zerklatschen. Die Mitglieder des Kalush Orchestras wussten sich zu helfen und machten in der zweiten Songhälfte einfach vor, wie man sachdienlich, die Hände zusammenschlägt. Der Hinweis wurde dann auch aufgenommen – geht doch!

Die Jurys mögen es konventionell

Selten hat das Votum der Jurys so sehr mit dem des Publikums auseinandergelegen. Auffällig: Die Jurys bevorzugten eher konventionelle Songs, und zwar lagen hier Großbritannien, Spanien und Schweden vor der Ukraine. Selbst das unauffällige Singkreis-Lied aus Portugal erhielt von den Jurys eindrucksvolle 156 Punkte und damit Platz Fünf. Moldawien und Serbien, für das Publikum die Nummer Zwei und Drei, wurden von den Jurys dagegen ziemlich ignoriert (Platz 11 beziehungsweise 20). Dass ein ESC-Auftritt eine schillernde Gesamtperformance sein sollte, schien dieses Jahr bei den Jurys nicht ganz angekommen zu sein.

Und Deutschland? Malik Harris musste undankbarerweise direkt hinter der Ukraine auftreten, was seinen an sich charmanten Song ziemlich blass aussehen ließ. Wer auch immer ihm als Bühnenbild einen besseren Probenraum mit einigen Instrumenten und ausladenden Teppichen hingestellt hat, sollte noch einmal überlegen, worum es beim ESC geht. Rockstars? Von wegen. Irgendwie konnte einem Malik Harris fast leid tun, der letzte Platz ist etwas zu hart.

Was gab es sonst noch? Hier unsere Zugabe:

  • Manchmal ist das Einfachste das Beste, das gilt selbst beim ESC: Uuuuuuu - Aaaaaaa, der Refrain der Sängerin S10 aus den Niederlanden, war einer der Schönsten.
  • Frankreich beschwor einen Dämon, der kam aber nicht. Der Song, der einen besonders ratlos zurückließ.
  • Rumänien und Spanien hatten dieselben Schneider:innen und fast denselben Song. Offen blieb, welchen der beiden Torero/Torera-Song J-Lo lieber nachsingen würde.
  • Bitte „Give Peace A Chance“ einmotten! Der John-Lennon-Klassiker wurde ganz zu Beginn eingespielt, mitgesungen und mitgeschunkelt vom Publikum. Das war sicher gut gemeint, wirkte aber doch eher hilflos und gezwungen.

Fazit: Ein großer Abend in Turin mit einem verdienten Sieger. Kalush Orchestra hat sich bereits gewünscht, der nächste ESC solle in Frieden in einer glücklichen Ukraine stattfinden. Möge der Wunsch in Erfüllung gehen.

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