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Wenn es Nacht wird in Kalifornien: Szene aus "Tangerine L.A."

© Kool

Tragikomödie "Tangerine L.A.": Das andere Hollywood

Independent-Regisseur Sean Baker und seine fulminante Tragikomödie „Tangerine L.A.“, in der zwei Transfrauen im Mittelpunkt stehen.

Es ist wahrscheinlich die kürzeste Weihnachtsszene der Filmgeschichte: Zwei Frauen sitzen in einem Donut-Laden am Santa Monica Boulevard in Los Angeles. „Frohe Weihnachten, Bitch“, sagt Sin-Dee (Kitana Kiki Rodriguez) zu ihrer besten Freundin Alexandra (Mya Taylor) und bietet ihr die Hälfte eines Schokostreusel-Donuts an. Für mehr hat die gerade aus dem Gefängnis entlassene Sex-Arbeiterin kein Geld. Und dann ist die Party auch schon vorbei: Als Sin-Dee erfährt, dass ihr Geliebter Chester (James Ransone) ihr während der Abwesenheit untreu war, rastet sie aus und stürmt aus dem Laden.

Chester ist mit einem „Fisch“ fremdgegangen, also einer biologischen Frau, und nicht mit einer Transfrau, wie es die beiden Prostituierten sind. Das bringt Sin- Dee besonders auf die Palme. Ab jetzt hat sie nur noch eine Mission: den Fisch finden und Chester zur Rede stellen.

Ausgedacht haben sich diese fulminante Eröffnung Regisseur Sean Baker und Drehbuchautor Chris Bergoch für ihre Tragikomödie „Tangerine L. A.“, in die auch viele Ideen ihrer beiden Hauptdarstellerinnen eingeflossen sind. „Das Projekt begann als Erforschung dieser Ecke, die schon lange eine Art inoffizieller Rotlicht-Bezirk ist. Als Filmemacher hat sie mich angezogen, weil ich wusste, dass dort Geschichten zu finden sind“, erklärt Baker, der unweit der Kreuzung mit dem Donut-Laden wohnt, bei einem Gespräch in Berlin.

Im LGBT-Center lernte er Mya Taylor kennen - sie öffnete viele Türen

Doch wie bekommt man als weißer, heterosexueller Mann Zugang zu einer von schwarzen Transfrauen dominierten Welt? Man sucht sich Verbündete. Im LGBT-Center von L. A. trafen sie Mya Taylor – ihre spätere Alexandra-Darstellerin –, die sofort begeistert war von der Filmidee. Durch sie lernte das Duo weitere Transfrauen kennen. Sie saßen mit ihnen in einem Fastfood-Restaurant, hörten zu, schrieben mit und tasteten sich langsam an eine Geschichte heran.

Der Durchbruch kam, als Mya Taylor ihnen Kitana Kiki Rodriguez vorstellte. Von da an war ihnen klar, dass der Film von zwei Frauen handeln würde. „Kiki hat uns sogar zu unserem Haupthandlungsstrang inspiriert: Als ihr Freund sie einmal betrogen hat, heckte sie einen Plan aus, den sie nicht vollständig umsetzte. Das brachte uns auf eine gute Idee, wie wir unsere Figuren auf eine Reise schicken konnten“, erinnert sich der 45-jährige Baker.

Diese Reise führt Kiki als Sin-Dee einmal quer durch Hollywood: Angetrieben von ihrer Eifersucht und untermalt von einem explosiven Soundtrack, sucht sie nach der Geliebten von Chester, von der sie anfangs nur weiß, dass sie weiß ist und ihr Name mit D beginnt. Für Alexandra, die Besonnenere der beiden, ist das zu viel Drama. Sie hat ohnehin Wichtigeres zu tun: Werbung machen für ihren Gesangsauftritt am Abend.

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„Tangerine L.A.“ zeigt die unglamouröse Seite von Hollywood: Billigläden, abgeranzte Motels, runtergerockte Waschsalons. Doch das alles sieht bei Baker nicht trostlos aus, sondern leuchtet in warmen Sonnenfarben. Daher auch die Mandarine im Titel: Orange ist die Leitfarbe des Filmes, der etwa zur Hälfte vor und zur Hälfte nach Sonnenuntergang spielt. Der knallige Look ergab sich in der Postproduktion, wobei Baker die Farben ursprünglich entsättigen wollte. „Doch dieser blasse Look, der häufig mit Realismus und Straßen-Ästhetik verbunden wird, passte nicht zu meinen Hauptdarstellerinnen.“ Als Baker dann die entgegengesetzte Richtung ausprobierte, ploppten ihm plötzlich die Orangetöne entgegen. „Es gab viel mehr Farbe in L.A., als ich dachte“, sagt er.

Der Film wurde komplett auf Smartphones gedreht

In der Tat harmonieren die Farben, die Musik und die ungemeine Energie seiner Protagonistinnen vortrefflich miteinander. „Tangerine L. A.“ hat außerdem Drive und Witz. Dass er nach seiner Sundance- Premiere zu einem kleinen Hit wurde, ist verdient. Dabei stand dem Team nur ein Mini-Budget von 100 000 Dollar zur Verfügung. Wegen dieser Geldknappheit hat Baker, der Crowdfunding als Produktionsmethode ablehnt und allen Mitwirkenden schon beim Dreh zumindest ein kleines Honorar zahlte, eine besonders kostensparende Aufnahmetechnik gewählt: „Tangerine L. A.“ wurde komplett auf Smartphones gedreht, die mit anamorphotischen Linsen ausgerüstet waren. Diese erzeugen ein horizontal gestauchtes Bild – ein reizvoller Breitwandeffekt.

Die Transszene von L.A. mochte "Tangerine L.A."

Sean Baker ist ein freundlicher, ernsthafter Mann. Beides dürfte ihm bei der Produktion seines fünften Spielfilms zugutegekommen sein. Ebenso die Tatsache, dass er mit „Prince of Broadway“ (2008) und „Starlet“ (2012) bereits Filme über Außenseiter aus dem Drogen- bzw. Sexworker-Milieu gedreht hat. Trotzdem betritt der Regisseur, der in New York Film studierte und Mike Leigh als einen seiner größten Einflüsse bezeichnet, hier noch mal Neuland. Auch in Sachen Transgender-Repräsentation. Zwar gibt es in Serien wie „Transparent“ und „Orange is the New Black“ mittlerweile positive Transfiguren in den Mainstream-Medien und mit Caitlyn Jenner sogar einen Promi. Doch Talente wie die Debütantinnen Taylor und Rodriguez konnte man bisher nicht auf der Leinwand bewundern. Noch dazu in einem derart gelungenen Werk, das auch in der Transszene positives Echo fand.

Die dauerplappernde Sin-Dee hält irgendwann mal für drei Minuten den Mund. High vom Crackrauchen lauscht sie Alexandras Gesang in einer Bar. Es ist der letzte ruhige Moment, bevor die Nacht richtig losgeht. Auch der Donut-Laden, in dem alles begann, spielt dann noch einmal eine wichtige Rolle.

OmU: Babylon Kreuzberg, Filmtheater am Friedrichshain, Kant, Moviemento, Xenon

Lesen Sie hier das komplette Gespräch mit Sean Baker.

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