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Die Begegnungszone Maaßenstraße findet Kram hässlich, aber wirkungsvoll. Wer hier nicht sitzen mag: Im Kiez gibt es viele Bars.

© Doris Spiekermann-Klaas

Stadtspaziergang mit Nollendorfblogger Johannes Kram: „Das ist das queere Epizentrum“

Er streitet für seine Community und für seinen Kiez: Unterwegs im Regenbogenkiez mit Johannes Kram, zwischen Geschichte und Gegenwart.

Johannes Kram steht mitten auf der Maaßenstraße in der sogenannten Begegnungszone. Die hat die Maaßenstraße verkehrsberuhigt, doch angeblich die Einzelhändler erzürnt: weniger Parkplätze, weniger Autoverkehr, weniger Kundschaft. Die Straße, die den Nollendorfplatz mit dem Winterfeldtmarkt verbindet, liegt in sommerlicher Gelassenheit da.

Ein paar Leute sitzen auf den Edelstahlbänken, ein paar Autofahrer schleichen über die schmalen Fahrstreifen. Johannes Kram macht eine typische Johannes-Kram-Bemerkung: Die Maaßenstraße sei "vorher richtiges Kriegsgebiet" gewesen – rasende Autos auf der Straße, rasende Radler auf dem Fußweg. „Ich finde die Begegnungszone auch hässlich, aber ich finde es toll, dass es sie gibt. Dass man jetzt auf den Markt schlendern kann. Man kann auch mal anerkennen, dass sich was verbessert hat.“

Typisch ist die Bemerkung für den streitbaren Kopf hinter dem „Nollendorfblog“ und Vorkämpfer der queeren Bewegung, weil sie die stramme These mit einem pointierten Urteil verbindet. Kram, Bewohner des Nollendorfkiezes seit 13 Jahren, pointiert gern. Der Kiez, der an diesem Wochenende wieder Tausende Besucher beim Lesbisch-schwulen Straßenfest anzieht, ist für ihn „das queere Epizentrum“. Sein Blick fällt auf das Café Berio mit seinem Transparent an der Fassade, das an die Krawalle um die Schwulenbar Stonewall Inn in der New Yorker Christopher Street vor 50 Jahren erinnert. Dass sich Schwule, Leben und Transsexuelle damals gegen eine polizeiliche Räumung wehrten, gilt als Ausgangspunkt der modernen Homosexuellenbewegung.

Johannes Kram wendet dem Berio, wohin er gern zum Schreiben geht, den Rücken zu und weist auf die gegenüberliegende Straßenseite. Da gab es vor zehn Jahren einen Eisladen, dessen Inhaber im Mai 2009 ein lesbisches Paar mit den Worten "Euch bediene ich nicht" abgekanzelt hatte. Als der Vorfall bekannt wurde, berichteten auch andere Homosexuelle, der Eisladenbetreiber habe sie beleidigt und heruntergemacht.

Kürzlich nahm er sich kramp-Karrenbauer vor

Wenige Tage später demonstrierte die Community vor dem Eisladen mit einem großen „Kiss-in“, einer öffentlichen Kuss-Aktion, gegen Homophobie. Der Mann stellte den Konflikt anders dar, seine Eisdiele gibt es heute nicht mehr. Und Kram begann, mit seinem Blog für die queere Bewegung zu streiten, 2016 war er für den renommierten Grimme Online Award nominiert. Jüngst hat er sich Annegret Kramp-Karrenbauer vorgenommen, wegen einer Attacke auf intersexuelle Menschen in einer Büttenrede.

Johannes Kram hofft, dass das „Metropol“ wieder werden kann, was einmal war: Schauspielhaus, Theater, Konzertsaal.
Johannes Kram hofft, dass das „Metropol“ wieder werden kann, was einmal war: Schauspielhaus, Theater, Konzertsaal.

© Doris Spiekermann-Klaas

Kram konnte daran nichts Komisches finden. Er warf der CDU-Politikerin „Verächtlichmachung“ vor und ein „Treten gegen Minderheiten“. Und erklärt, was er ihr vorwirft: „Wäre es Kramp-Karrenbauer wichtig gewesen, keine Minderheiten zu verletzen, wäre es also ein Missverständnis gewesen, hätte sie das einfach sofort klarstellen können.

Doch das wollte sie offensichtlich ganz bewusst nicht. Sie hat tagelang geschwiegen, wollte die Empörung möglichst groß, um sich dann genau darüber empören zu können. Sie hat sich nach allen Regeln des Populismus als Opfer des Feuers zu inszeniert, das sie selbst gelegt hat.“

Seit 100 Jahren Anziehungspunkt für Homosexuelle

Die Stimmung, sagt er, habe sich verändert in den vergangenen zehn Jahren. Deutschland werde weniger liberal. Und es gebe, sagt er, jetzt wieder auf der Maaßenstraße, in ganz Deutschland „nur ein paar Quadratmeter, wo queere Menschen im Alltag wirklich einigermaßen öffentlich sie selbst sein können“.

Der Nickel-Brunnen befindet sich unter dem Bahn-Viadukt versteckt, ist vermüllt und soll wieder zu dem Wasserspeier werden.
Der Nickel-Brunnen befindet sich unter dem Bahn-Viadukt versteckt, ist vermüllt und soll wieder zu dem Wasserspeier werden.

© Doris Spiekermann-Klaas

Johannes Kram ist ein so streitbarer wie unterhaltsamer Kiez-Spaziergänger. Er weiß viel über seine Gegend, gibt es gern weiter – und sagt auch gern, was er richtig oder falsch oder einfach wichtig findet. Nun biegt er in eine seiner Lieblingsstraßen im Kiez ein, erzählt von einem Freund, der Filmscout sei und ihn darauf hingewiesen habe, woran man erkennen könne, ob ein Film in Berlin, London oder Madrid gedreht worden sei: Die Bäume machten den Unterschied, in fast jeder Berliner Straße seien sie zu finden.

Vor einem Haus in der Nollendorfstraße, in dem der britische Autor Christopher Isherwood bis Anfang 1933 wohnte, bleibt er stehen. Der Kiez sei nicht erst seit fünfzig, sondern seit hundert Jahren ein Anziehungspunkt für Homosexuelle. Nach dem Ersten Weltkrieg siedelten sich hier immer mehr Schwule und Lesben an. Tanzlokale und Bars eröffneten. Nicht weit entfernt, im Tiergarten, gründete Magnus Hirschfeld, Arzt und Vorkämpfer homosexueller Gleichberechtigung, sein Institut für Sexualwissenschaft.

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Auf Isherwoods Erzählungen beruhte „Cabaret“, berühmt geworden als Musical und Kinofilm. Johannes Kram zeigt auf einen Biomarkt ein paar Meter entfernt. Dort, sagt er, sei das „Eldorado“ gewesen, das Nachtclub-Vorbild für „Cabaret“. Genau genommen gab es zu der Zeit sogar zwei „Eldorados“: eines hier im Kiez an der Motz- Ecke Kalckreuthstraße, ein anderes an der Lutherstraße, die heute Martin-Luther-Straße heißt. Der Schriftsteller Curt Moreck hat sie beide 1931 in seinem „Führer durch das lasterhafte Berlin“ beschrieben.

Johannes Kram läuft weiter zu einem anderen, sozusagen historischen Ort – dem „Hafen“ in der Motzstraße. Historisch im doppelten Sinn: Der „Hafen“ sei die erste Bar mit offenem Schaufenster gewesen, sagt Johannes Kram und erzählt daran noch ein bisschen Bewegungsgeschichte: Wer die 1990 eröffnete Kneipe betrat, habe keinen Klingelknopf betätigen müssen – und hatte nichts dagegen, gesehen zu werden. Der „Hafen“, das war Emanzipation im Bar-Format. (In einer früheren Version des Textes war die Rede davon, dass der "Hafen" bald Geschichte sei, weil der Mietervertrag auslaufe. Vermieter und Betreiber sind aber nach wie vor im Dialog.)

Die auch „Regenbogenkiez“ genannte Gegend hat noch andere Orte jenseits der queeren Geschichte – und auch Kram versteht sich nicht allein als Streiter für die queere Bewegung. Vor dem „Metropol“, direkt am Nollendorfplatz, erzählt er von einer Operette und einem Musical, die er geschrieben hat. Und schwärmt davon, dass das „Metropol“ wieder werden könnte, was es anfangs war: Schauspielhaus, Theater, Konzertsaal.

Wer Berlin aus Teilungszeiten kennt, erinnerte sich an die Diskothek, die hier mal war, und an teils furiose Konzerte mittelgroßer, mittelbekannter, meist britischer Bands. Dann kam das „Goya“, als Club gedacht und gescheitert. Während sich auf dem Fries in halber Höhe des eindrucksvollen Gebäudes heterosexuelle Nackte miteinander befassen, sagt Johannes Kram, habe man hier gewissermaßen Vergangenheit und Zukunft der Gegend an einem Ort.

„Kennen Sie den Nickelmann-Brunnen?“

Denn so wie der Platz sei – Blick auf die Ahornbäume in halbmeterhohen, fast quadratischen Betonwannen – könne er nicht bleiben, das sehe jeder. „Kennen Sie den Nickelmann-Brunnen?“, fragt er gleich. Der befindet sich unter dem Bahn-Viadukt versteckt, ist leicht vermüllt und soll wieder zu dem Wasserspeier werden, der er mal war.

Johannes Kram denkt über ein Einpersonentheaterstück „zum Mitgehen“ nach, das die queere Geschichte der Gegend erzählt, mit dem Brunnen als Ausgangspunkt. So was hat er zum 200. Geburtstag von Karl Marx für seine Heimatstadt Trier entwickelt. Johannes Kram hat noch viel vor.

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