zum Hauptinhalt
Eine Demo für die Rechte von LGBTI-Flüchtlingen in Brandenburg/Havel.

© Paul Fischer-Schröter

Sexuelle Orientierung und Geschlechtsidentität: Für LGBTI-Flüchtlinge ist Deutschland nicht sicher genug

Gewalt und Diskriminierung gegen homosexuelle Flüchtlinge gibt es auch in Deutschland. Das muss sich ändern. Ein Gastbeitrag.

Für viele Flüchtlinge sind Krieg, Verfolgung und Not Gründe zur Flucht. Doch gibt es auch Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und Identität zur Flucht gezwungen sind. Oftmals werden gerade Schwule, Lesben und Transmenschen in ihren Heimatländern diskriminiert, verfolgt und unterdrückt - mit gravierenden Folgen für ihre Selbstbestimmung und Freiheit.

Obwohl es sich dabei insgesamt und eine kleine Minderheit unter den Flüchtlingen handelt, sollte gerade diese Gruppe der queeren Flüchtlinge mehr Beachtung finden. Nicht zuletzt deswegen, weil die Verfolgung und Diskriminierung von Menschen aufgrund ihrer Sexualität auch in Ländern und Kontexten stattfinden, die erst bei genauerer Betrachtung gravierende Menschenrechtsverletzungen aufweisen. Nicht selten handelt es sich dabei um Gesellschaften, in denen ein Mindestmaß an demokratischen Strukturen vorhanden ist.

Notwendig ist es also, dass sich Staaten wie Deutschland, die Flüchtlinge aufnehmen, dazu bekennen, dass die Verfolgung aufgrund der sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität einen legitimen Anspruch auf Asyl mit sich bringt. Die Genfer Flüchtlingskonvention bietet hierfür die Grundlage. Denn geschützt werden soll, wer aufgrund der Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe verfolgt wird.

In 73 Ländern steht Homosexualität unter Strafe

Traurig, aber wahr: Im Jahr 2016 gibt es weltweit 73 Länder, in denen Homosexualität unter Strafe steht. Die Konsequenzen für Frauen und Männer, die gegen jeweilige Normen verstoßen, sind so archaisch wie vielfältig: Geldstrafen, Auspeitschungen, Gefängnis oder sogar die Todesstrafe sind vielerorts gesetzlich verankert und zerstören systematisch Biografien und Leben. Auffällig ist, dass insbesondere solche Länder Homosexualität verurteilen, die oft auch Ursprungsort globaler Fluchtbewegungen sind: Afghanistan, Syrien, der Irak und zahlreiche afrikanische Länder sind nach wie vor hoch unsichere Staaten für Lesben und Schwule. Es liegt auf der Hand, dass Menschen aus diesen Ländern nicht nur einen existentiellen Fluchtgrund, sondern auch anzuerkennenden Asylanspruch haben. Hier darf es keine Grauzone mehr geben, denn sobald Leben oder Freiheit bedroht sind, müssen Menschen das Recht auf Schutz in Anspruch nehmen können.

Übergriffe gegen Homosexuelle gibt es zudem auch in Staaten, in denen sexuelle Orientierung zwar nicht explizit gesetzlich unter Strafe steht, durchaus aber gesellschaftlich oder kulturell geächtet wird. Russland ist hier trauriges Paradebeispiel. Während Homosexualität auf dem Papier nicht verboten ist, so ist ein freiheitliches Ausüben im besten Fall hochgefährlich. Das 2013 verabschiedete Gesetz zur Unterbindung sogenannter „Propaganda nicht-heterosexueller Lebensweisen“ hat ein homosexuellenfeindliches Klima geschaffen, in dem Schwule und Lesben gesellschaftlich geächtet und ausgeschlossen werden. Ähnlich ist die Situation in einzelnen anderen Ländern Osteuropas. Auch wenn es hier keine staatlich angeordnete Verfolgung gibt, so fordert Homophobie dennoch täglich Opfer. Viele LSBTI‘s zwingen diese Umstände zur Flucht und Auswanderung, auch nach Deutschland.

Teile der deutschen Verwaltung haben wenig Verständnis für LGBT-Geflüchtete

In Teilen der deutschen Verwaltung und Politik wird nach wie vor aber sehr wenig Verständnis und politische Sensibilität für das Schicksal jener Geflüchteten aufgebracht oder es fehlt auch an geeigneten Schutzmaßnahmen in den hiesigen Unterkünften. Denn Diskriminierung und Gewalt gegen LSBTI Flüchtlinge ist auch hierzulande ein Thema. Immer wieder wird von Übergriffen, Einschüchterungen, Beleidigungen und Angriffen auf LSBTI Flüchtlinge in Unterkünften und Alltagssituationen berichtet.

Die Erfahrung, selbst ein einem vermeintlich sicheren Land weiterhin Angriffen und Drohungen ausgesetzt zu sein, raubt vielen Betroffenen den Mut und zerstört die Hoffnung auf ein menschenwürdiges Leben, mit der sie sich überhaupt erst auf die Flucht begeben haben. Weil aber auch die Angst vor der Rückkehr in das Heimatland nach der Flucht keine Option mehr darstellt, leben viele dieser Flüchtlinge mit schweren Traumata und Depressionen. Die Diskriminierung und Drangsalierung aus den Herkunftsländern darf sich keinesfalls fortsetzen.

Auch das Deutsche Institut für Menschenrechte kritisiert in einem Positionspapier den fehlenden sensiblen Umgang mit Frauen und LSBTI Flüchtlingen in den Unterkünften. Es gäbe zu wenig Präventionsmaßnahmen, kaum Frauenschutzräume oder ähnliche Möglichkeiten für andere bedrohte Flüchtlinge. Zudem liege die Trennung von Gewalttätern und Opfern oft im Ermessen der Betreiber, eine einheitliche Regelunge gibt es zumeist nicht.

Wichtig: eine Sensibilisierung für das Thema

Der nicht immer unkomplizierte Umgang mit Homosexualität in vielen Herkunftsländern wurde auch von der AIDS Hilfe Essen erkannt. Mit dem Projekt „Mashallah“ zielt die Organisation darauf ab, schwule und bisexuelle Männer mit Migrationshintergrund zu unterstützen, aufzuklären und zu integrieren. Oftmals beginnt diese Arbeit mit der Herstellung eines grundlegenden Selbstwertgefühls der Männer, später werden Themen wie Coming-Out oder Umgang mit der deutschen schwulen Szene thematisiert.

Die AIDS Hilfen wie die in Essen sind mit diesem Engagement zum Glück nicht alleine. Auch zahlreiche Dachorganisationen der Lesben- und Schwulenbewegung sowie Gliederungen der Wohlfahrts- und Sozialverbände, widmen sich diesen Fragen verstärkt. Dies gilt beispielsweise für Köln als Regenbogenmetropole ebenso wie für Berlin, wo ein „Buntes Haus“ als Gemeinschaftsunterkunft für queere Geflüchtete eröffnet wurde. In Kiel dient die Organisation HAKI seit 25 Jahren als Dachorganisation, Treffpunkt und Anlaufstelle für LSBTI Menschen aus ganz Schleswig Holstein, mit über 20 verschiedenen Gruppen. Die neueste dieser Gruppen „Queer Refugees & Migrants Network Kiel“ wurde Ende 2015 gegründet und unterstützt Geflüchtete mit Angeboten auf Deutsch, Englisch, Arabisch, Türkisch, Russisch und Farsi.

Klar ist aber auch, dass noch viel Arbeit zu tun ist. Der wichtigste Baustein ist eine allgemeine Sensibilisierung für dieses Thema. Die nigerianische Autorin Chimamanda Ngozi Adichie hat jüngst in einer Rede vor den Vereinten Nationen zurecht daran erinnert, dass niemand nur ein Flüchtling ist und für einen differenzierteren Blick auf „die Flüchtlinge“ appelliert und mehr Empathie eingefordert.

Zu oft wird die Aufgabe Ehrenamtlichen überlassen

Dennoch fehlt es oft an Maßnahmen und Mitteln, Minderheiten innerhalb der Flüchtlingscommunity zu schützen und ihnen Hilfe anzubieten. Zu oft wird diese Aufgabe ehrenamtlichen oder privaten Helfern überlassen, die sich mit viel Engagement der Sache widmen. Die LSBTI Community in Deutschland beginnt zu erkennen, dass auch und gerade ihre Solidarität gebraucht wird. Doch das alleine reicht nicht. Es müssen Strukturen geschaffen werden, um Flüchtlinge je nach Fluchtgrund speziell zu unterstützen und zu integrieren. Graubereiche im Asylverfahren gegenüber schwulen, lesbischen und ganz besonders transsexuellen Flüchtlingen müssen aufgelöst und Verfolgung aufgrund sexueller Orientierung oder Identität vollkommen anerkannt werden. Erst dann wird Deutschland zu einem sicheren Ankunftsland. Denn hierzulande gibt es keine Liebe 1. und 2. Klasse.

- Die Autor*innen sind Bundestagsabgeordnete der Grünen. Luise Amtsberg ist flüchtlingspolitische Sprecherin der Fraktion, Kai Gehring Sprecher für Hochschule, Wissenschaft und Forschung.

Mehr LGBTI-Themen finden Sie auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels. Folgen Sie dem Queerspiegel auf Twitter:

Luise Amtsberg, Kai Gehring

Zur Startseite