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Wegen seiner homophoben Wahlkampagne wird Präsident Andrzej Duda von LGBT-Demonstranten aufgefordert, sich zu schämen.

© Marcin Stepien/Reuters

Schwule und Lesben in Polen: „Unter der Decke der Hölle“

Ein Werbespot mit einem schwulen Pärchen hat im öffentlichen polnischen Fernsehen keine Chance. Wie leben die Betroffenen in einem solchen Klima?

Nur für wenige Sekunden sind Dawid und Jakub in dem Werbespot zu sehen. Im Gegenlicht zeigt die Kamera die beiden, wie sie sich gegenseitig die Haare schneiden, sich streicheln und verliebt ansehen.

Gemeinsam mit heterosexuellen Paaren machen sie Reklame für einen bekannten Kondomhersteller. „Wir hatten uns so gefreut. Es war Polens erster Werbespot mit einem schwulen Pärchen“, erzählt Jakub.

Doch dann der Schock: Polens öffentlich-rechtlicher Fernsehsender TVP lehnt den Spot ab. In einer Stellungnahme erklärte der Sender dazu, die Reklameabteilung habe Vorbehalte gegen eine Sendung des Spots gehabt, da es zuvor viele Beschwerden von Zuschauern über intime Inhalte in der Werbung gegeben habe.

Private Fernsehsender zeigen die Werbung weiterhin. Doch im Internet gibt es jetzt eine Seite mit dem Titel: „Sag Nein zu Homoreklame“. Ein Kind hält sich erschrocken die Hände vors Gesicht, die User werden aufgefordert, Protestmails an den Nationalen Rundfunkrat zu schicken.

Dawid Mycek (35) und Jakub Kwiecinski (38) sind seit elf Jahren ein Paar. Vor drei Jahren haben der Marketingexperte und der Film-Trailer-Macher aus Warschau geheiratet - in Portugal. Polnische Behörden erkennen ihre Ehe nicht an, im katholisch geprägten Polen gibt es weder die Ehe für alle noch eingetragene Partnerschaften.

Das Paar Dawid Mycek (l) und Jakub Kwiecinski sitzt in einem Park mit Mundschutz in Regenbogenfarben auf dem Rasen.
Das Paar Dawid Mycek (l) und Jakub Kwiecinski sitzt in einem Park mit Mundschutz in Regenbogenfarben auf dem Rasen.

© Doris Heimann/dpa

„In Corona-Zeiten ist uns klar geworden, wie benachteiligt wir sind: Wenn einer von uns ins Krankenhaus müsste, bekäme der andere keine Auskunft“, sagt Dawid. Was den beiden Sorge macht: Die Stimmungsmache gegen Lesben, Schwule, Bisexuelle und Trans-Menschen nimmt zu.

Im Wahlkampf hetzt Präsident Andrzej Duda offen gegen sexuelle Minderheiten. „Man versucht, uns einzureden, dass das Menschen sind. Aber es ist einfach nur eine Ideologie“, sagte er kürzlich bei einem Auftritt. In der Provinz ist die Situation besonders angespannt.

Cezary Nieradko stellte sich bei einer Ratsversammlung in seinem Heimatort als Schwuler vor. Kurz darauf ging er mit einem Rezept für ein Herzmedikament in die Apotheke: „Die Apothekerin sagte nur: „Ihnen gebe ich die Arznei nicht“ und ging nach hinten.“ Der gelernte Krankenpfleger lebt in Krasnik, einer Kleinstadt gut 200 Kilometer südöstlich von Warschau.

Gemeinden nennen sich "LGBT-Ideologie-freie"-Zone

Krasnik gehört zu den rund hundert Gemeinden im tief katholisch geprägten Süden und Osten des Landes, die sich zur „LGBT-Ideologie-freien“-Zone erklärt haben. Rechtlich haben solche Resolutionen keine Auswirkungen für die Betroffenen. Sie sind aber ein Signal der Intoleranz. Initiator der Erklärung in Krasnik ist der konservative Stadtrat Jan Albiniak. „Wir halten die LGBT-Ideologie für äußerst schädlich“, sagt der 68-Jährige. Und erklärt, wofür die Szene steht - aus seiner Sicht: die frühe Sexualisierung sehr kleiner Kinder, die Adoption durch gleichgeschlechtliche Paare, das Fördern von Pornografie, das Eintreten für Abtreibung ohne Beschränkung. Das alles wolle man in Krasnik nicht haben.

Aber müssen sich Vertreter sexueller Minderheiten durch so eine Erklärung nicht ausgeschlossen fühlen? „Ich sehe keinen Grund für Unwohlsein. Noch zeigen wir hier auf niemanden mit dem Finger deshalb, obwohl wir natürlich wissen, wenn jemand so einer ist.“ Man lebe normal zusammen, in der Familie und bei der Arbeit. Schon hat Krasniks französische Partnerstadt Nugent-sur-Oise mit dem Ende der Freundschaft gedroht.

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Krasniks Bürgermeister will sich zu der homophoben Resolution nicht äußern, ein Stadtsprecher sagt: „Die Erklärung des Stadtrats hat weltanschaulichen Charakter. Sie ist kein städtisches Gesetz.“ Schwulen-Aktivist Nieradko kämpft dafür, dass die Resolution wieder aufgehoben wird. Etwa hundert LGBT-Menschen gebe es im Ort. „Viele sind in ihrem Elternhaus körperlicher Gewalt ausgesetzt.“ Sein eigener Partner zeigt sich nicht mit ihm in der Öffentlichkeit.

Wenn der nationalkonservative Duda die Wahl am 12. Juli gewinnen sollte, könne die Situation noch schlimmer werden, befürchtet Nieradko: „Dann leben wir hier wie zwei Zentimeter unter der Decke der Hölle.“

Wenn es noch schlimmer wird, wollen sie auswandern

Auch Lobby-Organisationen schlagen Alarm. Von einer „beispiellosen Hetzjagd“ spricht Marcin Dierzanowski, Vorsitzender der Stiftung „Glaube und Regenbogen“. Sowohl Kirchenvertreter, die Regierung als auch der Präsident betrieben eine Strategie der Entmenschlichung von Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Trans-Menschen, sagt Magdalena Swider von der „Kampagne gegen Homophobie“ in Warschau.

Viele Betroffene hätten mittlerweile psychische Probleme. Selbst Dawid und Jakub, das selbstbewusste und erfolgreiche Paar aus Warschau, sind manchmal am Verzweifeln. „Heute hören wir, dass wir nicht in einem Werbespot auftreten dürfen, dass es LGBT-freie Zonen gibt, und morgen sagen sie, sie wollen uns überhaupt nicht mehr im Land haben“ sagt Jakub.

Wenn es noch schlimmer wird, dann sehen die beiden nur einen Weg: Auswandern. Wahrscheinlich nach Portugal. (dpa)

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