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"Sagt ja zur Änderung der Strafnorm": Ein Plakat in Genf, das den umfassenden Schutz von Homosexuellen unterstützt.

© REUTERS/Denis Balibouse

Schweiz stimmt über Schutz von Homosexuellen ab: Homohass soll strafbar werden

In der Schweiz stimmt das Volk am Sonntag darüber ab, die Diskriminierung von Homosexuellen unter Strafe zu stellen. Gegner sehen die Meinungsfreiheit bedroht.

Die Leiterin einer Spielgruppe verweigert einem homosexuellen Paar, dessen Kinder aufzunehmen. Ein Mitglied der rechtnationalen PNOS verbreitet auf Facebook öffentlich Hasskommentare gegen Homosexuelle. Und ein Restaurantbesitzer kann aufgrund der sexuellen Orientierung seiner Gäste ablehnen, diese zu bewirten.

All diese Szenen haben in der Schweiz bisher keine strafrechtlichen Folgen mit sich gezogen. Doch das könnte sich endlich ändern.

Bereits im Dezember 2018 hatte das Schweizer Parlament beschlossen, die sogenannte „Anti-Rassismus-Norm“ zu erweitern und Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung zukünftig unter Strafe zu stellen. Dagegen ergriffen jedoch politische Kräfte wie die die nationalkonservative Partei EDU, die Junge SVP und die Arbeitsgruppe „Jugend und Familie“ ein Referendum („Nein zu diesem Zensurgesetz“).

Wie die Lokalzeitung „Aargauer Zeitung“ berichtet, bezeichnete das Referendumskomitee die Ausweitung der Strafnorm als „Einschränkung der Gewissenfreiheit“ und sammelte rund 70.000 Unterschriften gegen die geplante Gesetzeserweiterung. Unter dem Vorwand, die Meinungsfreiheit schützen zu wollen, behaupteten Gegner*innen, dass eine Erweiterung der Anti-Rassismus Strafnorm gar nicht notwendig sei - und bezeichneten sie sogar als „Zensur“.

Im Februar stimmt die Schweiz über die Ausweitung der Anti-Diskriminierung ab

Nun liegt die Entscheidung beim Schweizer Stimmvolk, das am 9. Februar über den Schutz vor Hass und Diskriminierung entscheiden wird. Bisher stellte die Strafnorm öffentliche Hassreden und Diskriminierungen aufgrund von Rasse, ethnischer oder religiöser Zugehörigkeit unter Strafe, was von einer Geldstrafe bis zu einer Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren reichen kann.

Äußerungen, die sich gegen die sexuelle Orientierung, die Geschlechtsidentität oder die Geschlechtsmerkmale einer Person richten, wurden aber bisher nicht erfasst. „Das ist nicht akzeptabel“, meint Jens Pohlmann, Gruppenleitung Queeramnesty Schweiz. „Auf hasserfüllte Worte folgen Taten. Deshalb muss öffentlichen Hassreden ein Ende gesetzt werden.“

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Seit Monaten kämpfen LGBTIQ* Organisationen wie Queeramnesty für die Erweiterung der Strafnorm und versuchen möglichst viele Menschen für die Abstimmung zu mobilisieren. Erst in der Silvesternacht wurde deutlich, dass die Gesetzeserweiterung alles andere als „unnötig“, sondern vielmehr dringend notwendig ist: Dort war ein schwules Paar in Zürich angegriffen und verprügelt worden.

Kampagnen setzten sich für die Stärkung von Homosexuellen-Rechten ein

Solche Angriffe sind keine Einzelfälle. „Hier muss die Gesellschaft aufstehen und ein klares Zeichen setzen, dass sie dies nicht mehr weiter toleriert“, sagt Roman Heggli, Geschäftsführer von Pink Cross, dem Schweizer Dachverband schwuler und bi Männer*.

Heggli ist Co-Kampagnenleiter von „Ja zum Schutz vor Hass“, einer Kampagne, die sich für die Erweiterung der Strafnorm und die Stärkung von LGBTIQ*-Rechten einsetzt. „Wenn wir persönlich angegriffen werden, sind wir zwar durch das Strafgesetz geschützt, wie alle anderen Menschen auch. Als LGBTIQ*-Menschen sind wir aber nicht speziell gegen Diskriminierung geschützt.“

Stopp den Hass - mehrere Nationalräte der Schweiz setzen sich auf einer Pressekonferenz Anfang Januar für die Erweiterung des Diskriminierungsverbots ein.
Stopp den Hass - mehrere Nationalräte der Schweiz setzen sich auf einer Pressekonferenz Anfang Januar für die Erweiterung des Diskriminierungsverbots ein.

© picture alliance/KEYSTONE

Diese Gesetzeslücke führe nicht nur dazu, dass Hass ungestraft verbreitet werden könne, sondern erhöhe auch die Zahl von Gewaltdelikten. Mit der Erweiterung der Anti-Rassismus Strafnorm würden LGBTIQ* Menschen zumindest rechtlich geschützt, meint Heggli. Darüber hinaus wäre es ein wichtiges Signal gegen Hass und Diskriminierung.

Statistiker über hassbasierte Gewalt fehlen in der Schweiz

Konkrete Statistiken darüber, wie viel hassbasierte Gewalt es tatsächlich gibt, fehlen in der Schweiz. Das liegt vor allem daran, dass die Polizei „Hate Crimes“ gegen LGBTIQ* Menschen nicht gesondert erfasst. In der „Rainbow Map“, einer Statistik, die jährlich die rechtlichen Lagen von LGBTIQ* Menschen in Europa analysiert, landete die Schweiz im letzten Jahr deshalb nur auf Platz 27 von insgesamt 49 Ländern.

Im Vergleich zu vielen anderen westlichen Demokratien hinke die Schweiz bezüglich der Gleichstellung immer noch hinterher, kritisiert Jens Pohlmann. So sei die Ehe ausschließlich gemischtgeschlechtlichen Paaren vorbehalten. Homosexuelle Paare würden bei Adoptionen und dem Zugang zur Reproduktionsmedizin benachteiligt. Die Änderung des Geschlechtseintrags für trans Menschen sei erschwert und erfordere die Vorlage eines psychiatrischen Gutachtens.

Auch intergeschlechtliche Menschen seien nicht ausreichend geschützt: „Es gibt kein explizites Verbot von nicht notwendigen und ohne Einwilligung der Person vorgenommenen Operationen und Hormonbehandlungen zur Änderung der Geschlechtsmerkmale.“

Elf Prozent der Schweizer halten Homosexualität für "unmoralisch"

Dass Homophobie in der Schweiz eine Rolle spielt, verdeutlicht auch eine bisher unveröffentlichte Untersuchung der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaften. So bezeichneten fast elf Prozent aller erwachsenen Menschen in der Schweiz Homosexualität als „unmoralisch“.

„Die Mehrheit der Schweizer*innen ist sicherlich akzeptierend oder zumindest tolerant gegenüber LGBTIQ*-Menschen, aber die ablehnende Minderheit wird in letzter Zeit eher wieder lauter und aggressiver, zum Beispiel in den sozialen Medien, aber auch auf der Straße“, stellt Pohlmann fest.

Umfragen deuten auf einen Sieg der Befürworter der erweiterten Anti-Rassismus-Norm hin

Umfragen deuten bislang darauf hin, dass die Befürworter der erweiterten Anti-Rassismus-Norm gewinnen könnten. Laut einer jüngsten Erhebung wollen 66 Prozent der Stimmberechtigten diese annehmen, der Nachrichtenagentur AFP zufolge schrumpfte der Abstand zwischen Befürwortern und Gegnern aber zuletzt.

Auch religiöse Kräfte wie die reformierte Landeskirche oder der jüdische Gemeindebund unterstützen das Anliegen. „Daher sind wir grundsätzlich optimistisch, beobachten aber auch sehr genau den Kampf der Gegner, der mit meist fragwürdigen Argumenten lautstark geführt wird“, meint Pohlmann.

Doch auch im Falle einer Erweiterung gäbe es noch viel zu tun: „Der Schutz von trans und intergeschlechtlichen Menschen wurde bewusst nicht in die Erweiterung aufgenommen. Dies ist nicht akzeptabel und zeigt, dass unsere Arbeit weitergehen muss.“

Inga Hofmann

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