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Die Regenbogenfahne gilt als Zeichen für Toleranz und Akzeptanz.

© Nicolas Armer/dpa

Schutz vor Diskriminierungen: Ein Safe Space kann nur eine Utopie sein

Marginalisierten Gruppen wird versprochen, dass sie in Safe Spaces von diskriminierendem Verhalten und unangenehmen Aussagen verschont bleiben. Doch das ist unrealistisch und kontraproduktiv. Ein Gastbeitrag.

Sogenannte Safe Spaces als Anspruch Marginalisierter, vor den Zumutungen durch Diskriminierungen und Verletzungen verschont zu bleiben, werden zunehmend jenseits spezifischer bewegungspolitischer Räume thematisiert. Gerade an Hochschulen wird immer häufiger die Forderung gestellt, für Safe Spaces zu sorgen. Dadurch hat das Thema verstärkte Aufmerksamkeit in Medien erfahren. Zumeist wird unter dem Schlagwort „Politische Korrektheit“ Sinn und Unsinn dieser Forderung debattiert.

Die Verwendung des Begriffs „Politische Korrektheit“ muss zwar kritisch hinterfragt werden, da dieser ursprünglich als ein Kampfbegriff von Rechten und Konservativen in die Welt getragen worden ist, mit dem Bemühungen um soziale Gerechtigkeit und Antidiskriminierung grundsätzlich herabgewürdigt werden sollen. Gerade in den USA und Großbritannien gibt es gleichwohl heftige Auseinandersetzungen darüber, wie sinnvoll Safe Spaces insbesondere für die Campuskultur an Universitäten sind.

Auch in Berlin ist die Diskussion angekommen

Auch in Deutschland sind die Fragestellungen rund um Safe Spaces angekommen: 2015 berichtete die Jungle World über den Ausschluss einer Transperson aus der Fachschaftsinitiative Gender Studies an der Humboldt-Universität Berlin. Vorausgegangen war diesem Ausschluss ein Konflikt, der seinen Anfang in einer Lehrveranstaltung von Lann Hornscheidt nahm. Eine Person of Color beklagte in Hornscheidts Seminar Rassismus, worauf die Transperson erwiderte, dass die Person of Color dazu in diesem Seminar nicht berechtigt sei, da dies ein Schutzraum für weiße Transpersonen sei. Die Fachschaftsinitiative jedoch bewertete dieses Verhalten als rassistisch und so kam es zum Ausschluss der Transperson. Obgleich man nirgends erfährt, was konkret als rassistisch bemängelt wurde, so lässt sich mühelos feststellen, dass zwei Personen jeweils unterschiedliche Erwartungen an das Uniseminar als Safe Space hatten.

In diesen Safe Spaces sollen neben Diskriminierungen auch sogenannte „Trigger“ und „Microaggressions“ vermieden werden. Konkret äußert sich das darin, dass „Content Warnings“ vorangestellt werden, wenn es in Seminaren und Texten um Themen wie Rassismus, sexuelle Gewalt, Trans- und Homofeindlichkeit sowie weitere Gründe für Diskriminierungen geht. So berichtete eine Juraprofessorin aus den USA, dass sie von ihren Studierenden gebeten wurde, das Thema sexuelle Gewalt nicht zu behandeln, da das verletzend sei. Safe Spaces geben das Versprechen, dass Angehörige marginalisierter Gruppen sich nicht mehr mit allem auseinandersetzen müssen, was nur im Entferntesten Unbehagen und Unwohlsein verursacht. Die Definitionsmacht, was als verletzend und damit Unbehagen auslösend gilt, liegt bei den jeweiligen Individuen selbst.

Stressmanagement vor politischen Engagement

Mit Definitionsmacht habe ich mich in meinem Essay im heiß diskutierten Sammelband „Beißreflexe“ näher beschäftigt. Viele Kritikpunkte, die ich dort an Definitionsmacht formuliert habe, lassen sich auch in Bezug auf Safe Spaces anbringen. Keineswegs geht es darum, dass ich mir, wie es Jan Schnorrenberg formuliert hat, wünschen würde, Menschen mit Stigmatisierungs- und Gewalterfahrung mögen sich mit wissenschaftlicher und politischer Betätigung zurückhalten. Vielmehr habe ich die Empfehlung gegeben, dass diese vor einschlägigem akademischen und politischen Engagement Stressmanagement erlernen.

Vertreter_innen von Definitionsmacht und Safe Spaces arbeiten mit Vokabular aus der Traumaforschung. Insbesondere Trigger ist hier ein zentraler Begriff. Als Trigger gilt alles, was unangenehme Gefühle wie zum Beispiel Wut, Traurigkeit aufgrund von Diskriminierung hervorruft beziehungsweise an solche Erfahrungen erinnert. Auch das Sprechen über eigene einschlägige Erfahrungen gilt bereits als Trigger. Sogar einer Auseinandersetzung mit Literatur und heterogenen wissenschaftlichen Ansichten wird Triggerpotenzial zugesprochen. Deshalb fügen nun einige Verlage in den USA bei Neuauflagen von philosophischen Klassikern eine inhaltliche Warnung hinzu, dass dieser Text Ansichten und Begriffe enthält, die verletzen könnten.

Warnungen bei philosophischen Klassikern

In der Traumapsychologie ist ein Trigger jedoch ein Reiz, der bei Personen mit Traumafolgeschäden ungewollt Erinnerungen an das traumatische Ereignis auslöst und sich die Betroffenen in ihren Gefühlswelten in den schrecklichen Moment zurückversetzt fühlen, obwohl es im Außen keinen bedrohlichen Anlass gibt. Als Resultat erleiden Betroffene Panikattacken, depersonalisieren oder dissoziieren. Diese Reize thematisieren eher weniger das Trauma direkt, sondern bestehen oftmals aus scheinbar neutralen Dingen, wie Lichteinstellungen, Gerüche, Wortfetzen, Farben, Kleidungsstücke. Zudem ist es höchst individuell, wodurch Menschen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung getriggert werden.

An der Stelle muss kritisiert werden, dass Safe Spaces und das dazugehörige Instrument der Definitionsmacht häufig von Menschen ausformuliert wurden, die kein psychologisches Fachstudium absolviert haben, sondern eher den Geistes- und Sozialwissenschaften zuzuordnen sind. Ob man es glauben will oder nicht: die Welt der Psychiatrie ist nicht mehr die Gleiche, die Michel Foucault in „Wahnsinn und Gesellschaft“ oder Erving Goffmann in „Asyle: Über die soziale Situation psychiatrischer Patienten und anderer Insassen“ kritisiert haben.

Die Problematik von Triggerwarnungen

Triggerwarnungen werden in diesem Kontext von Menschen eingefordert und ausgesprochen, die nicht an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden. Den Begriff des Triggers auf das Gefühlserleben nach bewusst erlebten Diskriminierungen zu übertragen, entwertet das Leiden von Menschen mit Traumafolgeschäden. Es gibt einen grundlegenden Unterschied, ob ich meine negativen Gefühle als Folge von Diskriminierungen bewusst zuordnen kann oder ob ich mit Traumafolgeschäden ungewollt von den Gefühlswelten überrollt werde, die den traumatischen Ereignissen von extremer Hilflosigkeit, Ausgeliefertsein und gegebenenfalls Lebensgefahr entsprechen. Ohne Frage: Diskriminierungserfahrungen können sehr verletzend sein. Jedoch hilft es niemandem, Begriffe unangemessen und mit fragwürdigem fachlichem Fundament anderweitig zu verwenden. Vielmehr führt es zu einer effekthaschenden Skandalisierung, die sich sehr unwissenschaftlich präsentiert.

Allein im bereits Geschilderten wird deutlich, dass ein Safe Space, sei er real oder medienimmanent, nur eine Utopie sein kann. Diese muss an der komplexen Realität scheitern, wenn in ihm einer Vielzahl von Menschen versprochen wird, hier frei von unangenehmen Gefühlen zu sein.  Ein Safe Space kann nur räumlich und zeitlich begrenzt funktionieren.

So ist beispielsweise klar, dass Menschen mit Suchterkrankungen nicht zur Selbsthilfegruppe für ihre Angehörigen gehen und umgekehrt ihre Angehörigen nicht zu den Treffen, die ausschließlich für Betroffene einer Suchterkrankung sind. Beide Seiten müssen sich jedoch nach Verlassen eines Selbsthilfegruppentreffens damit abfinden, dass es weiterhin Werbung für Alkohol im Alltag gibt, dass sie in einer medizinischen oder psychologischen Ausbildung mit dem Themenfeld „Sucht“ konfrontiert werden können oder dass dieses Thema in Literatur und Zeitungsmeldungen vorkommt. All das kann eine Zumutung darstellen, was sich aber nie konsequent vermeiden lässt, weil es ja gerade darum geht, zu lernen, diesen Dingen zu widerstehen.

Unerwünschtes ausschließlich vermeiden kann zu Angststörungen führen

Reine Vermeidung von Themen und Reizen, die einem Unbehagen auslösen, ist zudem höchst kontraproduktiv. Die psychologische Forschung hat fundiert nachgewiesen, dass ausschließlich Vermeidung von Unerwünschtem und Unangenehmem dazu führt, dass man Angststörungen entwickeln kann beziehungsweise noch extremer auf den Reiz reagiert. Viel hilfreicher ist es dagegen, wenn man sich bewusst mit dem auseinandersetzt, was Unbehagen und/oder selbstschädigende Reaktionsmuster auslöst. Eine gezielte Auseinandersetzung ermöglicht es, Strategien des Stressmanagements zu entwickeln. Auch kann es zu einer Desensibilisierung beitragen, so dass man irgendwann nicht mehr so stark erschüttert wird, wenn man sich mit unangenehmen Reizen konfrontiert sieht.

Auch hier zeigt Forschung, dass sich dadurch die Lebensqualität deutlich erhöhen kann. Zum Aspekt der Verhinderung des Sprechens über eigene Diskriminierungserfahrungen: es ist kontraproduktiv, ein wichtiges Werkzeug zum Verarbeiten von solchen Erfahrungen aus der Toolbox zu entfernen. Auch hier zeigt die psychologische Traumaforschung, dass Redebereitschaft die Verarbeitung von Verletzungen positiv unterstützen kann.

Warum Safe Spaces verführerisch sind

Eine bewusste und gegebenenfalls therapeutisch begleitete Konfrontation mit dem Unangenehm ist jedoch mit eigenem Arbeitseinsatz verbunden. Deshalb sind Safe Spaces so verführerisch: sie versprechen Wohlbefinden für alle und ebenso das Ersparen von Unannehmlichkeiten – ohne hierfür die eigene Komfortzone verlassen zu müssen. Dabei ist gerade die Wahrnehmung von Unbehagen und Unwohlsein eine wichtige Triebfeder, dass Menschen nach Veränderungen streben. Die Safe-Space-Utopie sorgt also nicht nur dafür, dass Menschen durch Vermeidung stärkere Leiden entwickeln können, sie blockiert auch Wachstum der Persönlichkeit.

Das Bestreben nach sozialer Gleichstellung und Abbau diskriminierender Zustände ist grundsätzlich zu unterstützen. Jedoch müssen Instrumente zur Erreichung dieses Ziels sehr kritisch geprüft werden dürfen, ob sie dem hehren Ziel wirklich dienlich sind oder langfristig mehr schaden, als nützen. Diese Gesellschaft wird nicht über Nacht zu einer anderen. Daher sollten wir wissenschaftlich abgesicherte Hilfen wählen, die Menschen tendenziell eher in die Lage versetzen können, in dieser Gesellschaft mit all ihren Widersprüchen, Unzeitgleichheiten und Unannehmlichkeiten klar zu kommen.

Der Autor hat ist freiberuflicher Referent und Publizist. Er hat Geschlechterforschung und Geschichtswissenschaften studiert. Mehr über ihn finden Sie hier.

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