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Ella (Annette Frier, links) und Christina (Julia Richter) in der „Ella Schön“-Folge „Freischwimmer“.

© ZDF/Rudolf Wernicke

Schauspielerin Julia Richter: „Ist die Geschichte gut, spiele ich auch hundert Mal eine lesbische Figur“

Die Berliner Schauspielerin Julia Richter ist in den ZDF-Serien „Ella Schön“ und „Doktor Ballouz“ zu sehen. Ein Gespräch über Küsse, Diversität und Queerfeindlichkeit.

Julia Richter, derzeit läuft die fünfte und letzte Staffel der ZDF-Serie „Ella Schön“, deren zweite Folge mit einer Überraschung beginnt: Die Hauptfiguren Ella und Christina küssen sich und landen im Bett. Dabei kommen die beiden bisher sehr heterosexuell rüber, waren viel mit Männergeschichten beschäftigt. Was dachten Sie, als Sie die Szene im Drehbuch lasen?
Lustig, dass Sie finden, die beiden kommen heterosexuell rüber, denn für mich waren die Übergänge bei den beiden schon immer fließend. Ich habe auch mit der Ella-Darstellerin Annette Frier seit Jahren darüber geredet, dass sie in der Serie eigentlich mein Mann ist und ich ihre Frau bin. Meine Figur Christina fällt ja auch vorher schon aus der Norm, denn sie hatte ganz öffentlich eine Familie mit einem anderweitig verheirateten Mann.

Dazu kommt eine latent fluide Sexualität? 
Also, ich persönlich habe mir meine Figur so gedacht. Eine Freundin von mir hat diesen Spruch: Gut ist dran, wer beides kann. Das ist für mich Christina. Sie hat ja auch sonst diese Offenheit, schließlich lässt sie nach dem Tod ihres Partners dessen Frau Ella bei sich einziehen. Das ist für mich das Geniale an dieser Serie: Zwei Frauen gehen nicht in Konkurrenz zueinander, sondern öffnen sich füreinander. Das widerspricht diesem Weiber-Konkurrenzkampf-Klischee. Deshalb konnte ich mir auch vorstellen, dass sie was miteinander haben.

An dem Abend sind Ella und Christina total betrunken. Durch den Alkohol bekommt das Ganze den Anstrich eines Ausrutschers...
Wir haben in der Vorbereitung viel daran gebastelt, dass am Ende nicht das Gefühl entsteht: Na, zum Glück ist nichts passiert. Dann muss man die Geschichte nicht erzählen. Das wäre spießig und falsch.

Momentan bemüht sich die Filmbranche um mehr Diversität. Wie nehmen Sie das in Bezug auf Frauenrollen wahr?
Es gibt einige gute Ansätze, aber auch so absurde Sachen, dass Amazon seine Produktionen jetzt nur noch in bestimmten Kategorien besetzen will. Also: heterosexuelle Frauen werden von heterosexuellen Schauspielerinnen gespielt, Lesben von Lesben, trans Frauen von trans Schauspielerinnen. Vielleicht braucht es das im Moment – genau wie die Frauenquote –, um den Blick auf die Repräsentanz zu lenken. Aber letztlich ist das ein Beruf. Wir spielen immer Rollen, mit denen wir persönlich nicht deckungsgleich sind.

Annette Frier verkörpert in „Ella Schön“ eine Asperger-Autistin ohne selbst eine zu sein. Wie geht das Produktionsteam damit um?
Es hat sich beraten lassen, einen Mann mit Asperger befragt und immer versucht, sich abzusichern. Natürlich kannst du es nicht allen recht machen. Es gab etwa einen Verein von Asperger-Betroffenen, den die Serie wahnsinnig geärgert hat. Insgesamt überwiegen aber die positiven Reaktionen. Menschen, die selbst Asperger haben oder deren Angehörige damit leben, haben uns geschrieben, dass sie froh sind über die Serie. Ich persönlich habe viel über Asperger-Autismus gelernt, kann ihn besser erkennen jetzt und bin von meinen Klischeevorstellungen weggekommen.

Julia Richter kam 1970 in Ost-Berlin zur Welt und ist seit 1995 als Theater- und Filmschauspielerin tätig.
Julia Richter kam 1970 in Ost-Berlin zur Welt und ist seit 1995 als Theater- und Filmschauspielerin tätig.

© Max Lautenschläger

Sie selbst haben 1995 in Ihrer ersten TV-Hauptrolle in „Kommt Mausi raus?“ eine junge Lesbe gespielt, ohne sich selbst so zu identifizieren. Wie sind Sie damals an die Rolle herangegangen?
Ich war einfach sehr neugierig auf dieses Buch. Das zu spielen war nicht schwer, denn ich kannte das Gefühl, in die beste Freundin verliebt zu sein oder in eine Pina-Bausch-Tänzerin. Von da aus in die Fantasie zu gehen, sich auch etwas Körperliches vorzustellen, war einfach. Außerdem fand ich es viel angenehmer, eine Frau zu küssen oder eine Sexszene mit ihr zu spielen als mit einem Mann. Es gibt da eine größere Vertrautheit.

Wie war es für Sie, sich zum ersten Mal selbst auf der Leinwand beziehungsweise auf dem Bildschirm zu sehen?
Ich war total überrascht wie jung und naiv ich rüberkomme. Manches hätte ich gern anders gemacht, psychologischer gespielt. Doch das hätte dann nicht so viele Leute erreicht. Meine Eitelkeit hab ich mir schnell verkniffen, als ich merkte, wie sehr der Film die Menschen berührte. Manche, die die Figuren total sympathisch fanden, konnten das Wort lesbisch kaum aussprechen. Es gab aber ein großes Bedürfnis darüber zu reden.

Auch diesen Moment, darüber nachzudenken, ob man selbst vielleicht so leben möchte. Ich fand das traurig und schön zugleich, denn es war ja schon Mitte der Neunziger. Filme mit schwulen Figuren hatte man da schon häufiger gesehen. In der DDR etwa 1989 in „Coming Out“.

Hatten Sie eigentlich keine Bedenken, mit „Kommt Mausi raus?“ auf ein Image festgelegt zu sein?
Nein, ich hab ja auch keine Angst, mehrmals heterosexuelle Frauen zu spielen. Darum geht es doch auch gar nicht, sondern ums Geschichtenerzählen. Wenn es eine gute Geschichte ist, in der eine lesbische Frau vorkommt, dann spiele ich das auch hundert Mal. Natürlich gab es nach „Kommt Mausi raus“ einige Angebote für lesbische Figuren, die klischeehaft waren. Da hatte ich dann keine Lust drauf.

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Beim TV-Film „Lieb mich“ hatten Sie dann nochmal Lust drauf...
Das war eine schöne Weiterführung nach „Mausi“, denn da ging es nicht darum, ob die Frau jetzt ein spätes Coming out hat oder bisexuell ist. Aber es passiert etwas: Sie verliebt sich in die Klassenlehrerin des Sohnes, was auch damit zu tun hat, dass sie in ihrer Ehe ein gewisses Defizit verspürt. Der Film hat viele Frauen abgeholt, die sich – so ähnlich wie ich – das total vorstellen konnten mit einer Frau, aber den Hetero-Weg genommen haben. Wobei aber immer eine Sehnsucht blieb und diese Frage, warum habe ich es nicht mal ausprobiert?

Vor etwas mehr als einem Jahr gab es die ActOut-Kampagne. Bei der haben sich 185 Kolleg*innen von Ihnen geoutet. Hat es Sie überrascht, dass dabei auch zu wenig queere Repräsentanz bemängelt wurde und ein Klima, in dem es schwierig ist, sich zu outen?
Nein, denn ich weiß ja, dass es sehr bekannte Schauspieler gibt, die sich das nach wie vor nicht trauen. Dass Queerfeindlichkeit weiterhin ein Thema ist, merke ich auch daran, was eine offen lesbische Schauspielerin kürzlich erlebt hat. Sie hat die private Schauspielschule absolviert, an der ich unterrichte. Diese junge Kollegin musste sich an einem Set von einer älteren, renommierten Kollegin anhören, dass sie es schlimm fände, ein lesbisches Kind zu haben. Wenn ich dann sehe, dass so eine Person in den sozialen Medien Regenbogenflaggen postet, platzt mir der Kragen.

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Haben Sie etwas unternommen?
Ich habe der jungen Schauspielerin geraten, zur Diskriminierungsbeauftragten der Produktion zu gehen und das zu melden. Ich selbst war bei dem Vorfall nicht dabei, aber Kollegen, die sie dann dorthin begleitet haben. Es gab Gespräche mit der betreffenden Schauspielerin. Die Produktionsfirma hat versichert, nicht mehr mit ihr zusammenarbeiten zu wollen. Hoffen wir mal, dass es tatsächlich so ist.

Apropos Diskriminierung: Vor fünf Jahren begann die MeToo-Bewegung in der Filmbranche. Haben Sie das Gefühl, Sexismus und Übergriffigkeiten an Sets werden etwas weniger?
Auf jeden Fall. Bestimmte Sprüche und Handgriffe kommen seltener vor. Dafür öfter mal die Frage: Darf man das jetzt noch sagen? Was gut ist, weil es zeigt, dass darüber nachgedacht wird. Allerdings beobachte ich auch, dass es nach wie vor Situationen gibt, in denen zum Beispiel zwei Männer die Klamotten einer Kollegin kommentieren.

Wenn ich anschließend zu ihr gehe und frage, ob das jetzt okay für sie war, kommt oft: Ja, klar, alles in Ordnung, das halte ich schon aus. Das kenne ich auch von mir. Inzwischen sage ich in solchen Fällen: Denk doch zu Hause nochmal drüber nach. Mich hätten diese Bemerkungen verletzt. Solche Gespräche sind sicher auch ein Resultat von MeToo.

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