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Mofa fahren auf der Dominikanischen Republik. Yanet Mojica als Noeli und Geraldine Chaplin als Anne in "Sand Dollars"-

© Edition Salzgeber

"Sand Dollars" mit Geraldine Chaplin: Der Duft von junger Haut

Reich und Arm, Weiß und Schwarz: Geraldine Chaplin spielt in „Sand Dollars“ eine Sextouristin mit einer jungen Geliebten. Eine Begegnung.

Die Pünktchen sind ja echt! Was in den Close-ups, von denen der Film „Sand Dollars“ sehr viele hat, noch wirkt wie eine clownesk-melancholische Maske, trägt Geraldine Chaplin tatsächlich mit sich herum. Zwei Muttermale, eins unter jedem Auge und, da nie zuvor bemerkt, offensichtlich mit den Jahren nachdunkelnd. Was für ein eigenwilliger, heiterer Einfall von Mutter Natur, die Tochter des genialen Komikers Charlie Chaplin so zu zeichnen. Als gehörte sie zum Stamm der tragischen Clowns, der Pierrots mit der aufgemalten Träne im weiß gepuderten Gesicht. Eine Rolle, sehr passend, aber doch viel zu begrenzt für ihren Variantenreichtum, ihr Charaktergesicht.

Charaktergesicht? Das ihr unbekannte deutsche Wort begeistert die Schauspielerin „That sounds good – I like it!“, quietscht sie und wirkt dabei ungemein sonnig amerikanisch, wo sie doch eigentlich eher Britin (qua Pass), Schweizerin (qua Wohnort), Französin (qua Sprache) oder Spanierin (qua Lebenspartnern und Sprache) ist. Am Morgen ist sie aus der Nähe von Vevey in der französischen Schweiz nach Berlin gereist.

Am Abend stellt sie zusammen mit „Patin“ Meret Becker den in der kommenden Woche startenden Film „Sand Dollars“ auf dem Festival „Around the World in 14 Film“ im Kino in der Kulturbrauerei vor. Immer mit dabei: Ehemann Patricio Castilla, ein chilenischer Kameramann, der braun gebrannt und gesegnet mit lakonischem Humor den routinierten Prinzgemahl gibt und als solcher als Erstes in der Hotelzimmertür steht.

Der Film spielt in der Dominikanischen Republik

In dem stimmungsvollen Drama „Sand Dollars“ des Regiedoppels Laura Amelia Guzmán und Israel Cárdenas kommt sie dagegen ohne einen Ehemann aus. Da spielt die 71 Jahre alte Geraldine Chaplin eine Sugarmama, eine europäische Sextouristin, die ihren Lebensabend in der Dominikanischen Republik verbringt und eine einheimische Geliebte aushält. Die eine reich, alt und weiß, die andere arm, jung und schwarz – und dann noch Lesben! Das klingt nach einem überfrachteten, postkoloniale und ökonomische Abhängigkeitsverhältnisse geißelnden Werk, entpuppt sich aber als wundersam schwebendes, jede Schwarz-Weiß-Malerei souverän verachtendes karibisches Sittengemälde.

Anders als die Sextouristinnen in Ulrich Seidls „Paradies: Liebe“, einem deutlich drastischeren Spielfilmbeitrag zum Thema, spielt Chaplins introvertierter, existenziell vereinsamter Charakter Anne die Macht über Noeli (Yanet Mojica) nicht offensiv aus, überdecken die Ängste die Bedürfnisse. Letztlich sei es eine verzweifelte Liebesgeschichte, sagt Chaplin. „Wenn du dich verliebst, verlierst du deine Würde, aber du wirst nicht würdelos.“

Sie hält den unabhängig und mit kleinem Geld gedrehten Film, für den sie mit dem ganzen Team sieben Wochen in ein Strandhaus ohne Strom und fließendes Wasser zog, für eine der besten Arbeiten ihrer Karriere. Und die umfasst immerhin mehr als 50 Schauspielerinnenjahre. „Die Themen Armut und sexuelle Ausbeutung sind da, jeder kann sie sehen, aber es wird kein Agitprop daraus gemacht.“

Beide Figuren glauben nicht wirklich daran, dass Noeli Anne eines Tages ins gelobte Land Europa, nach Paris, begleitet, obwohl der Pass schon besorgt ist. Und wer weiß schon, ob Anne wirklich lesbisch ist und was das überhaupt heißt? Geraldine Chaplin zumindest weiß es nicht. Daheim in Frankreich hat Anne einen Sohn und einen Enkel, wie der Zuschauer in einem missglückten Telefonat erfährt. „Sie ist ein sterbendes Tier, eine Frau mit mehr Vergangenheit als Zukunft. Und am Ende ihres Lebens erlebt sie einen bestimmten Moment, wo sie sich eben in dieses wunderschöne Mädchen verliebt.“

Überdeutliche Botschaften beleidigen ihre Intelligenz

Mofa fahren auf der Dominikanischen Republik. Yanet Mojica als Noeli und Geraldine Chaplin als Anne in "Sand Dollars"-
Mofa fahren auf der Dominikanischen Republik. Yanet Mojica als Noeli und Geraldine Chaplin als Anne in "Sand Dollars"-

© Edition Salzgeber

Mit überdeutlichen Botschaften kann die Enkelin des Literaturnobelpreisträgers Eugene O’Neill sowieso nichts anfangen. „Filme, die einem alles vorkauen, die mir sagen, was ich denken soll, machen mich krank. Sie beleidigen meine Intelligenz!“ Hui, wie die dunkelgrauen Augen glühen, wenn sie das sagt. Genau diese Haltung hat Geraldine Chaplin, die nach ersten Leinwanderfahrungen mit acht Jahren in Vaters Film „Rampenlicht“ ihren Durchbruch 1965 als Tonya in David Leans Melodram „Dr. Schiwago“ feierte, zu einer Ikone des Autorenfilms gemacht.

Statt die angefangene Karriere im Mainstream-Kino fortzuführen, ging sie zu ihrem langjährigen Lebensgefährten, dem Regisseur Carlos Saura, nach Spanien und sezierte in den sechziger und siebziger Jahren in zahlreichen Filmen den Muff des francistischen Bürgertums. Widerständigkeit hat Tradition bei Familie Chaplin, die die USA aufgrund von politische Hetzkampagnen verließ und sich in der Schweiz niederließ. Dort wuchs Geraldine als erstes von acht Kindern aus Charlie Chaplins vierter Ehe mit Oona O’Neill auf. Als einziges Kind, das dem überlebensgroßen, heiß geliebten Vater in sein Metier folgte. Auf eigene Weise, mit unverwechselbarem Gesicht.

Robert Altman, Alan Rudolph, Jacques Rivette, Alain Resnais, Pedro Almodóvar, aber auch Martin Scorsese, Franco Zeffirelli, Richard Attenborough, der Experimentalfilmer Guy Maddin, Modemacher Karl Lagerfeld oder kürzlich erst Wolfgang Becker in „Ich und Kaminski“ – sie alle haben in ihren Filmen von der Ausdruckskraft dieses Gesichts und des drahtig-fragilen Körpers der einstigen Ballettschülerin profitiert.

In „Sand Dollars“ stellt Geraldine Chaplin diesen Körper mutig zur Schau. Nicht in ausgestellter, frontal gefilmter Nacktheit oder in expliziten Sexszenen. Solche Grobheiten kennt „Sand Dollars“ nicht. Aber in dem schockierenden Kontrast eines altersfleckigen, runzligen, weißen Arms, der auf warm schimmernder, glatter, schwarzer Haut ruht. Ob sie keine Angst hatte, sich so zu zeigen? Sie schüttelt den Kopf so heftig, dass ihre Locken tanzen. „Das Einzige, wovor ich Angst hatte, war, dass sich meine Filmpartnerin vor mir ekelt. Und tatsächlich hat sie sich geekelt. Aber sie versucht es zu verstecken, und die Distanz tut dem Film gut.“ Schließlich sei Yanet Mojica, wie viele andere Darsteller des Films, keine professionelle Schauspielerin gewesen, „Sand Dollars“ ist Mojicas Debüt. „Wir haben sie in einer Bar angesprochen.“

Erst spielte sie Großmütter, dann kamen die Horrormovies

Für ihre Runzeln schämt sich Geraldine Chaplin nicht, im Gegenteil. „Die sind nun mal da“, sagt sie, „die Alternative wäre Sterben oder Schönheitsoperation.“ Ersteres wolle sie nicht, und Letzteres verbiete sich. „Durch die Runzeln bekomme ich viel mehr Arbeit als vorher. Ich stehe auf einer ziemlich kurzen Liste von Altersgenossinnen im internationalen Filmgeschäft, die keine plastische Operation hinter sich haben.“ Das beschert ihr seit einiger Zeit eine Auftragslage, die so üppig ist wie seit den achtziger Jahren nicht mehr. Schauspielerinnen, aufgemerkt: So funktioniert Altern als Chance. „Der nächste logische Schritt war, dass ich inzwischen auch viele Gruselfilme drehe. Erst kamen die Großmütter, dann die Horrormovies.“

Ziemlich hinreißend, Chaplins selbstironisches Lachen. Das Alter an sich, das kann die zweifache Mutter allerdings gar nicht leiden, wie sich postwendend herausstellt. „Ich hasse es! Es ist ein Massaker! Das Einzige, was gut daran ist ist, dass du irgendwann dein Gedächtnis verlierst.“ Und der Zuwachs an Weisheit und Erfahrung? Chaplin winkt ab. Junge Leute seien viel weiser als alte, sagt sie. „Zumindest will ich das glauben, in der Hoffnung, dass sie in der Welt weniger Mist anstellen als meine Generation.“

Die Tochter wirkt in "Game of Thrones" mit

Dieser Frau gegenüberzusitzen, ist eine zugleich vorwärts- und rückwärtsgreifende Erfahrung. Sie schwärmt vom jungen lateinamerikanischen Kino, das sie demnächst beim Filmfestival in Havanna als Jurorin beurteilt. Erzählt mit mütterlichem Stolz von einer neuen US-Serie, in der ihre durch „Game of Thrones“ bekannt gewordene Tochter Oona Castilla Chaplin mitspielt, und bestaunt die Wiedergeburt des Kinos durch neue Technologien: so zu sehen in dem auf dem iPhone gedrehten Film „Tangerine“, der in Hollywood gerade in aller Munde ist. Und immer ist Vater Charlie, der Gott des Kintopp, gegenwärtig.

Am Abend erliegt auch Meret Becker dieser Aura. Sie moderiert das Publikumsgespräch nach der Festivalvorführung von „Sand Dollars“ und überschüttet Chaplin mit Worten des Lobes. Wie ein Flummi war die im Saal nach vorne gehüpft, um in Jeans und mit Weltstarstrahlen Blumen und Applaus entgegenzunehmen. Ein Mann, der was zum Film sagen will, kann sein Glück nicht fassen. „Ich hätte niemals gedacht, dass ich Ihnen je persönlich begegne“, platzt es aus ihm heraus. Geraldine Chaplin kennt das. Sie lächelt, geht zu ihm und gibt ihm die Hand.

„Sand Dollars“ startet am Donnerstag in den Kinos.

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