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Der Sänger Božo Vrećo, ein Star in Bosnien und Herzegowina.

© Nadine Lange/Tsp

Sänger Božo Vrećo: Der queere Star Bosniens

In Bosnien und Herzegowina gab es noch nie eine Pride Parade, die Gesellschaft ist konservativ, das Männerbild stereotyp. Trotzdem ist der queere Sänger Božo Vrećo, der mit High Heels und im Kleid auftritt, ein Star. Ein Treffen in Sarajevo.

Eine junge Frau bittet um ein Foto, eine andere zieht ihn zu einem Interview vor eine Kamera, eine dritte nimmt seine Hand und sagt: „Meine Eltern lieben deine Musik!“ Der Sänger Božo Vrećo ist dieser Tage einer der gefragtesten Stars von Sarajevo. Im Stadtzentrum, rund um das Nationaltheater, wo die Premieren des noch bis Samstag laufenden Filmfestivals stattfinden, kann er kaum zehn Meter gehen, ohne angesprochen zu werden. Schon als der grazile Musiker am Eröffnungsabend mit schwarzen High Heels und einem leuchtend gelben Kleid über den roten Teppich lief, musste er unzählige Selfie-Wünsche erfüllen.

Der Traum von Božo Vrećo war, Sevdah-Sänger zu werden

„Manchmal wundere ich mich selbst, wie sehr sie mich hier lieben“, sagt Vrećo auf dem kurzen Weg in seine Wohnung. Auf seinen goldfarbenen Espandrillos ist er erstaunlich schnell unterwegs, sein schwarzes Gewand umflattert seine schlanke Figur. In einem sozialistischen Betonbau geht es hoch in den fünften Stock, eine kleine Wohnung mit tollem Blick über die bosnische Hauptstadt. Als der 1983 geborene Božo Vrećo  vor ein paar Jahren hier ankam, hatte er es längst nicht so schick. „Ich hatte zwei Koffer und Geld für zwei Monate Miete. In der Stadt kannte ich niemanden“, erzählt er beim Gespräch an seinem Küchentisch. Zunächst wohnte er im Hostel, lebte bescheiden und machte sich daran, seinen großen Traum zu verwirklichen: Sevdah-Sänger zu werden.

Sevdah oder Sevdalinka ist die traditionelle, bosnische Musik, die ab dem 15. Jahrhundert entstand. Damals begann die über 400 Jahre dauernde Besetzung des Landes durch die Osmanen. Im Sevdah (vom Arabischen „sawda“: schwarze Galle) mischten sich türkische und  lokale städtische Einflüsse – unter anderem von sephardischen Juden, die aus Spanien nach Sarajevo gekommen waren. Die Texte kreisen stets um Verlust, Sehnsucht und Herzschmerz, entsprechend melancholisch ist auch der Klang dieser anfangs meist von einer Saz, später auch vom Akkordeon begleiteten Lieder.

Die Songs sind von Trauer und Sehnsucht erfüllt

Genau um diese Traurigkeit geht es Božo Vrećo, dem man trotz seiner strahlend braunen Augen und seiner herzlichen Art sofort abnimmt, dass seine Interpretationen von seiner eigenen Trauer und Sehnsucht erfüllt sind. „Man muss mit seinem ganzen Wesen in die Lieder hineingehen, nicht nur mit der Stimme“, sagt er und erklärt, dass es für ihn zwei Kategorien von Sängerinnen und Sängern gibt: Jene, die Sevdah darstellen, und jene, die Sevdah leben. Er zählt sich zur zweiten Kategorie.

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„Ich singe jedes Mal über mich“, sagt Vrećo, dessen Leidenschaft für die Musik nach seinem Archäologie-Studium in Belgrad begann. Er steckte in einer Krise, eine langjährige Beziehung ging zuende, er fühlte sich umgeben von den falschen Leuten, im falschen Job, im falschen Leben. Gleichzeitig zog es ihn immer mehr in Richtung Sevdah. Rückblickend sagt er: „Sevdah hat mich gerettet. Es war, als sei ich gestorben und hätte noch einmal von Neuem begonnen zu leben.“

Vrećo brachte sich alles selber bei

Die Musik war ihm schon seit seiner Kindheit im ostbosnischen Foča vertraut, weil seine Mutter viel Sevdah im Radio hörte. In Belgrad begann Vrećo dann Bücher über Sevdah zu lesen, ging in Archive, legte ein Datenbank mit Liedern an. Er brachte sich alles selber bei, keine einzige Stunde Gesangsunterricht formte seinen ungemein betörenden Tenor. Zunächst sang er in einem Lokal, lernte andere Musiker kennen und wartete auf seine Chance.

Die kam, als er eingeladen wurde, in einem privaten Fernsehsender zu singen. Plötzlich war er bekannt und es ging voran. Im April 2013 gründete sich seine vierköpfige Gruppe Halka, mit der Vrećo noch im selben Jahr ein Album mit 14 Sevdah-Liedern aufnahm. Eines davon - das Volkslied „Kiša bi pala“ - hat die bosnische Regisseurin Ines Tanović für den Abspann ihres Debütspielfilms „Naša svakodnevna priča“ benutzt, der am Mittwoch Premiere auf dem Filmfest feierte. Božo Vrećo hat einen Kurzauftritt in dem Familiendrama. Dort sieht er noch ein bisschen anders aus als jetzt: Die Haare sind kürzer und der Bart fehlt.

Kleid statt Anzug: Sein Look hat sich verändert

Sein Look hat sich in den letzten beiden Jahren langsam verändert: Statt Anzügen trägt Vrećo jetzt mehr Kleider - auch auf der Bühne. Die Haare steckt er meist zu einem Dutt zusammen oder trägt einen schwarzen Turban, der ihm ungemein gut steht. Genau wie der Vollbart, von dem er versichert, dass er vor allem Rasierfaulheit geschuldet ist und nicht von Conchita Wurst inspiriert wurde: „Ihr Bart sieht aus wie gezeichnet, meiner ist dagegen ein richtiger männlicher Bart, in den dem man herumwuscheln kann“, sagt er und fährt sich mit beiden Händen durch den dichten Haarwuchs.

Seinen momentanen Look bezeichnet Vrećo als sein glücklichstes Aussehen bisher. Auch deshalb passt der häufig gemachte Vergleich „Conchita von Bosnien“ nicht. Conchita Wurst ist lediglich eine Bühnenfigur, ein von dem Österreicher Tom Neuwirth gespielte Drag-Queen-Version. Božo Vrećo hingegen spielt keine Rolle, er ist immer er selber: ein leidenschaftlicher Sänger und schillernder Star.

Er fühlt sich gleichzeitig als Mann und Frau

Derzeit strahlt er noch recht einsam, denn weder in Bosnien noch in einem anderen Nachfolgestaat Jugoslawiens gibt es einen ähnlich extravaganten, die Gender-Vorschriften ignorierenden Künstler wie Božo Vrećo, der von sich sagt, er fühle sich weder als Mann noch als Frau, sondern als beides gleichzeitig. „Mich kann man nicht definieren, sondern nur akzeptieren“, sagt der Sänger, der von Beginn an sowohl Lieder interpretiert hat, die aus einer weiblichen als auch einer männlichen Perspektive geschrieben sind.

Das Männerbild in den ex-jugoslawischen Ländern ist stereotyp bis machohaft, offen schwule oder lesbische Künstler sind kaum zu finden, ganz zu schweigen von Transmenschen. Für gleichgeschlechtliche Paare in Bosnien und Herzegowina ist es undenkbar, in der Öffentlichkeit Zärtlichkeiten auszutauschen. Es gab es noch nie eine Pride Parade in dem Land, und vergangenes Jahr wurde eine Veranstaltung eines LGBT-Filmfestivals in Sarajevo von maskierten Schlägern angegriffen. Die vorab um Hilfe gebetene Polizei machte sich nicht die Mühe, rechtzeitig zu dem Kino zu kommen.

Musikalisch ist er eher ein Traditionalist

Musikalisch ist Vrećo, der im vergangen Jahr sein erstes Solo-Album mit A-capella gesungenen Sevdah-Liedern veröffentlich hat, eher ein Traditionalist, gesellschaftlich ist er ein Pionier. Dazu gehört einiges an Mut und Kraft. Denn bei aller Liebe, die dem zarten Sänger derzeit entgegengebracht wird,  gibt es in auch viele Leute, die ihn Schwuchtel schimpfen und nicht wollen, dass ihre Kinder ihn sehen.

Der Sänger kennt die abschätzigen Blicke und bösen Kommentare seit seiner Jugend. „Jedes Mal wenn ich auf die Straße gehe, ist das riskant. Aber es ist bei Menschen und bei Tieren das gleiche: Man darf keine Angst zeigen, sonst greifen sie dich an. Man muss erhobenen Hauptes leben“, sagt er. Aus der queeren Community bekomme er viel Unterstützung. Seinerseits will er Hoffnung und ein Gefühl von Freiheit vermitteln. „Ich arbeite indirekt daran, dass die Leute ihr Leben leben und sich nicht in ihren vier Wänden verstecken. Viele trauen sich nicht raus, trauen sich nicht zu lieben, wie sie wollen, oder anzuziehen, was sie wollen“, sagt er.

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Anziehen ist das Stichwort: Božo Vrećo muss zur nächsten Premiere und will sich nochmal umziehen. Er schaut in seinen Kleiderschrank und entscheidet sich nach kurzem Überlegen für den maßgeschneiderten schwarzen Glockenmantel, den er auch in dem Schwarz-Weiß-Video zu seinem Lied „Leilija“ trägt. Schnell noch einen Apfel und mit dem Taxi rüber zum Multiplex-Kino, wo Samir Mehanovićs Dokumentation „The Fog of Srebrenica“ läuft. Eindringlich wird darin Archivmaterial mit Interviews von Hinterbliebenen der Massaker-Opfer kombiniert. Wer in den 60 Filmminuten noch nicht weinen musste, tut es spätestens, als sich ganz zum Schluss Božo Vrećos Stimme erhebt. Die zentralen, klagend gesungenen Worte seines Stücks „Osman“ lauten: „Nema me“ - Ich bin fort.

Im zerrissenen Bosnien ist seine Stimme ein Trost

Etwas, was der Sänger zuvor in Gespräch gesagt hatte, wird in diesem Moment greifbar: „Es geht darum, dass die Tränen befreien und verbinden.“ In diesem noch immer von großer Trauer erfüllten, zerrissenen Land  ist die Stimme von Božo Vrećo ein großer Trost.

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