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Queers in Osteuropa: Wo der Regenbogen als Propaganda gilt

In Polen und in Russland geraten queere Menschen immer stärker unter Druck. Ein Drittel Polens hat sich zur „LGBTI-freien Zone“ erklärt, in Russland wird eine lesbische Künstlerin verfolgt.

Die Freiheit, die queere Menschen in Deutschland und vor allem auch in Berlin genießen, ist ein Privileg. Das zeigt ein Blick in unser Nachbarland Polen. Dort wurden in den letzten Monaten sogenannte „LGBTI-freie“ Zonen geschaffen. Das bedeutet, dass in den jeweiligen Bezirken und Orten queere Menschen unerwünscht sind.

Das heißt: Homo- und Transfeindlichkeit wird zur Normalität. Fast ein Drittel des Landes ist betroffen. Die Gewaltbereitschaft steigt, queere Menschen sehen sich immer häufiger Angriffen ausgesetzt.

Oiko ist schwul und wohnt in Breslau. In diesem Artikel möchte er nur unter seinem Vornamen auftreten: „Polen ist momentan sehr gespalten und es gibt viele Spannungen. Die LGBTI- Community wurde Opfer von Hassreden und menschenverachtender Propaganda während des letzten Präsidentschaftswahlkampfes.“

So behauptete der gerade knapp wiedergewählte Andrzej Duda, die Förderung von LGBTI-Rechten sei eine „Ideologie“ – destruktiver als der Kommunismus. Oiko fand das alles sehr abstoßend.

Queere Menschen werden dämonisiert

Nach seiner Heimatstadt gefragt, zeigt er sich entspannter: „Ich glaube nicht, dass Breslau eine ,LGBTI-freie‘ Zone wird. Die Regierenden sind sehr offen und ich bin mir sicher, dass die Lobbyisten, die die sogenannte ,Familienkarte‘ einsetzen, hier scheitern werden.“

Vor allem kleinere Städte und Regionen haben sich zu „LGBTI-freien“ Zonen erklärt. Oiko denkt, das dies das Resultat politischer Manipulation ist, durch die queere Menschen dämonisiert werden. Das schade vor allem denen, die die Politik zu schützen vorgibt: Jugendlichen und Kindern.

„Die aktuelle Situation in Polen ist verheerend, ich bin sehr besorgt. Vor allem um die junge Generation von queeren Jugendlichen, die sich diese Propaganda anhören muss.“ Oiko stellt sich vor, dass es sehr schwer sein kann, seine Sexualität zu akzeptieren, wenn die Politik diese ablehnt. Das Coming- out werde so für viele erschwert.

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Was kann man tun, um queeren Menschen in Polen zu helfen? LGBTI-Organisationen brauchen finanzielle Unterstützung, sagt er. Außerdem sollten sich deutsche Politiker*innen engagieren und Druck auf Polen ausüben. Auch die EU müsse sich einsetzen und mit Kürzungen von Geldern drohen.

Die Homofeindlichkeit in Polen betrifft aber auch Berlin. Acht Bezirke der Hauptstadt befinden sich in Partnerschaften mit polnischen Gemeinden und Bezirken, eine weitere Partnerschaft soll bald mit Berlin-Mitte entstehen. Steglitz-Zehlendorf unterhält Verbindungen zu drei Städten in der homo- und transfeindlichen Zone: Nałęczów, Poniatowa und Kazimierz-Dolny.

Eine französischen Stadt kündigte ihre Verbindung zu einer Stadt in Polen

Steglitz-Zehlendorf verurteilte vor allem die Handhabung der Partnerstadt Poniatowa, deren Stadtrad letztes Jahr entschied, eine “LGBT-freie Zone” einzuführen – Nałęczów und Kazimierz-Dolny wurden durch übergeordnete Instanzen zu “LGBT-freien” Zonen erklärt. Der Berliner Bezirk forderte die polnischen Behörden auf, alle Entscheidungen zurückzuziehen und die Rechte der queeren Bewohner zu wahren. Bisher hat sich nichts getan.

Die französische Kleinstadt Saint-Jean-de-Braye hingegen kündigte die Verbindung mit der polnischen Stadt Tuchow.

Die polnischen Partnerschaften nach Berlin zu beenden, halten der Bezirk Steglitz-Zehlendorf und auch LSVD-Geschäftsführer Jörg Steinert für wenig sinnvoll: “Man sollte die Partnerschaft nutzen, um dieses Thema immer wieder auf die Agenda zu setzen. Eine Aufkündigung der Partnerschaft kann bedeuten, dass das Thema nicht mehr kritisch angesprochen wird. So kommt es zu einer Tabuisierung. Was wir aber brauchen, ist Konfrontation. Denn nur so können wir was verändern”, erklärt er.

In Russland befindet sich die queere Community ebenfalls in einer prekären Lage. Der lesbischen Künstlerin Julia Tsvetkova beispielsweise drohen momentan bis zu sechs Jahre Haft – weil sie gleichgeschlechtliche Paare mit Regenbogenmotiven malt.

Auch nackte Frauen finden sich in ihren Werken. Tsvetkova wurde zuvor bereits zu monatelangem Hausarrest verurteilt und musste Strafen zahlen. Die Begründung des Gerichts: Sie schade mit ihrer Kunst Kindern, es handle sich um Pornografie. Zudem wird ihr „Homo-Propaganda“ vorgeworfen. Das entsprechende Gesetz trat 2013 in Kraft. Damit kann der Staat Proteste verbieten, Medien zensieren und gegen Aktivist*innen wie Tsvetkova vorgehen.

"Ich glaube, Russlands Regierung hat Angst vor dem eigenen Volk"

Ihr Fall weckte nicht nur die Aufmerksamkeit der EU, sondern auch die anderer Aktivist*innen. In Russland kam es in den letzten Wochen zu mehreren Verhaftungen von Queer- Aktivist*innen, die für Tsvetkova protestierten. Präsident Putin stellte unterdessen einen Gesetzesentwurf vor, dem zufolge trans Personen die Ehe und gleichgeschlechtlichen Paaren oder solchen mit trans Partner*innen die Adoption verboten werden soll. Auch dagegen wurde demonstriert, weitere Verhaftungen folgten.

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Konstantin Sherstyuk, Mitglied des Berliner LGBTI-Vereins „Quarteera“ und Co-Koordinator des Marzahn-Prides, hält die Situation in Russland für sehr angespannt. “Die Regierung möchte die Ehe zwischen Mann und Frau unterstützen. Die Ehe für alle soll dadurch verboten werden, auch trans* Menschen dürfen nicht heiraten oder adoptieren.” Außerdem soll das biologische Geschlecht nicht mehr geändert werden dürfen. Sherstyuk sieht LGBTQI* dadurch stigmatisiert – und in Gefahr.

Was vermutet der Aktivist hinter den Verhaftungen und der Homofeindlichkeit des Staates? „Ich glaube, die Regierung hat Angst vor dem eigenen Volk.“ Das macht er unter anderem am Fall Julia Tsvetkova fest. Sie sei in verschiedenen Fällen angeklagt, alles werde in einen Topf geworfen. „Man will sie einfach still halten. Man sucht nach Dingen, die man ihr anhängen kann. Der Regenbogen wird schon als Propagandamittel bewertet.“

Sogar Werbung für Speiseeis in Regenbogenfarben geriet deshalb kürzlich in die Kritik. Und auch Popstar Madonna sollte nach einem Konzert in St. Petersburg eine Million Dollar für ihre LGBT-aktivistische Ansprache zahlen.

Homofeindlichkeit als Asylgrund anerkennen

Sherstyuk sieht aber auch hierzulande Handlungsbedarf. Russland müsse endlich als ein für LGBTIs gefährliches Land eingestuft werden. „Viele Aktivisten haben in Deutschland Antrag auf Asyl gestellt. Die Regierung glaubt auch, dass sie gefährdet und homosexuell sind. Die Regierung glaubt allerdings auch, dass die Leute Zuflucht in anderen russischen Regionen finden könnten. Aus diesem Grund werden viele Anträge abgelehnt.“ Homofeindlichkeit ist jedoch eindeutig ein landesweites Phänomen – in Russland und in Polen.

Was kann jeder einzelne tun? “Solidarität zeigen”, meint Konstantin Sherstyuk. Zum Beispiel durch Petitionen: “Lehnen Sie die Gesetzesvorlage ab, um trans Personen die Eheschließung und Adoption zu verbieten!”, fordern russische Aktivist*innen. Das Ziel von 50 000 Unterschriften ist fast erreicht. Die Organisation AllOut setzt sich für LGBTQI+ in Polen ein – fast 350 000 Menschen haben sich dafür bereits ausgesprochen.

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