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Queerfreundliche Kollektionen: Mode unterm Regenbogen

Die Modeindustrie will zeigen, wie offen sie gegenüber der queeren Community ist. So lässt etwa ein italienisches Label seine Regenbogen-Kollektion von trans Model Harlow Monroe präsentieren.

Francesca rennt. In schnellen Schnitten sieht man sie im Hoodie in der Uni, bei der Kontrolle ihres Adamsapfels auf dem Herrenklo, beim Beinerasieren, Pillen schlucken, auf dem Damenklo, mit buntem Make-up im Club tanzen und beim Feiern mit ihrer Familie.

In ihrem Pass wird ihr Geschlecht als weiblich eingetragen. Nach knapp zwei Filmminuten scheint Francesca angekommen: Endlich auch äußerlich eine Frau. Doch es geht weiter. Francesca verlässt ihr Elternhaus, geht in die Welt hinaus und wird – Nonne. Für den Schleier gibt sie ihre Jeans vom italienischen Label Diesel her.

Kampagnenfotos mit dem Handy schießen

Willkommen im Monat Juni, in dem die queere Community „Pride“ feiert, ihre Erfolge auf dem Weg zu mehr Gleichberechtigung. Modemarken produzieren dafür einen Haufen Produkte mit dem Regenbogenbanner und Diversity-Kampagnen.

Die gute Sache zu unterstützen, daran zu verdienen oder zumindest an Image zu gewinnen, liegen in dieser Zeit besonders eng beieinander. Diesels Kurzfilm „Francesca“ geht auch deshalb viral, weil darüber spekuliert werden soll, inwieweit sich die Geschichten von Francesca und ihrer trans Darstellerin Harlow Monroe gleichen.

Zum Kampagnenstart befindet sich Harlow Monroe aufgrund der Coronapandemie nicht in einer Modemetropole, wie man es von einem Model annehmen würde, das für Gucci und Valentino arbeitet, sondern in ihrem neuen Zuhause in Cornwall. Ihr Freund hat, wie es gerade wegen Corona verbreitet ist, ihre Kampagnenfotos für Diesel mit dem Handy geschossen.

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Dort wie beim Interviewtermin per Video zeigt sich Monroe unaffektiert und ungeschminkt, eine sachliche Schönheit mit langen braunen Haaren und starken Augenbrauen, gerader Nase und kantigem Kinn. Mit Leichtigkeit können Stylisten jeden Grad zwischen männlich und weiblich hervorheben.

Gebrochen wird der zurückhaltende Look durch Monroes sich bisweilen überschlagende Stimme und ein kratziges Lachen, das ihren ganzen Körper erfasst. Vom Sofa aus verkündet sie: „Ein Projekt wie dieser Film war immer mein Traum. Ich war mir meiner wahre Identität als Frau immer sicher und habe nie aufgehört, an meine Fähigkeit zu glauben, einmal das Leben zu leben, das ich wollte.“

Während im Diesel-Video keine großen Konflikte gezeigt werden, erzählen Harlow Monroes auffällige, in den meisten Fotoproduktionen sichtbare Tattoos eine andere Geschichte. Mit „R.I.P. Daniel.“ verabschiedete sie sich von ihrem früheren, selbstverletzenden Ich, eine mit „Monroe Noir“ umschriebene Rose soll sie an ihre dunklen Zeiten mit Alkohol und Drogen erinnern.

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„Beim Filmen habe ich alle Emotionen meines bisherigen Lebens noch einmal durchlebt, die guten und die wirklich üblen.“ Dass von denen so wenig zu sehen ist, verteidigt sie mit Bestimmtheit: „Es ist großartig, Pride zu feiern und unsere Erfolgsgeschichten zu zeigen, besonders in harten Zeiten, die offenbaren, wie ungleich unsere Welt immer noch ist.“

Allein in den USA wurden in den letzten Wochen zwei schwarze Frauen umgebracht, weil sie trans waren, mindestens 14 Menschen mit nicht konformer Sexualität allein im laufenden Jahr. Erst am 14. Juni kippte Trumps Regierung den Schutz von trans Personen im Gesundheitswesen, wenige Tage später stärkte der US Supreme Court dann jedoch überraschend ihre Rechte auf dem Arbeitsmarkt.

Trans Menschen sind präsenter auf Modeschauen

Seit Trumps Regierungsantritt reagiert die mehrheitlich linksorientierte Modewelt auf dessen LGBTI-feindliche Politik mit einer sichtbaren Gegenbewegung. Die Diskriminierung durch seine Regierung brachte trans Menschen in den Modeschauen und -kampagnen spürbar nach vorn

Und spätestens, seit Gucci sich 2018 mit 500 000 Dollar an den Protesten zur Schusswaffenkontrolle in den USA beteiligte, scheint auch fürs Geschäft zu gelten, dass es sich auszahlt, Position zu beziehen.

Eine neue Generation junger Konsumenten favorisiert Marken, die ihren Werten entsprechen, wie das Fachmagazin „The State of Fashion“ 2020 herausgefunden hat, und bestrafen jene, die ihren ethischen Maßstäben widersprechen.

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„Dennoch stehen wir noch ziemlich am Anfang“, gibt Harlow Monroe zu . Die Top trans Models sind seit Jahren klassische Schönheiten wie Andreja Pejić , Lea T, Valentina Sampaio oder Teddy Quinlivan, die sich visuell problemlos in den Mode-Mainstream einfügen.

Bisher hat es kein offen lebendes schwarzes trans Model an die Spitze geschafft. Es ist so, als würde befürchtet, dass mehr als ein Diversity-Merkmal pro Person die Konsumenten überfordern könnte.

Chanel buchte ein trans Model für eine Beauty-Kampagne

„Allein durch unsere Anwesenheit werfen wir Fragen auf: Wie sieht es denn hinter den Kulissen der Modebranche mit der Diversität aus? Was bestimmt unsere Ansichten zu Gender und Schönheit? Indem wir helfen, unsere vielfältige Community bekannt zu machen, werden mit der Zeit andere Formen von Gender und Schönheit akzeptiert werden“, sagt Monroe.

Ihre Kollegin Teddy Quinlivan beweist, dass zumindest ab einem gewissen Bekanntheitsgrad offene Worte nicht mehr geschäftsschädigend sein müssen. Quinlivan nimmt kein Blatt vor den Mund und hat sich im letzten Jahr dennoch als erstes trans Model eine Beauty-Kampagne für Chanel gesichert.

Auch dafür werden trans Models heute gebucht: Sie sollen neben einem perfekten Äußeren authentische Geschichten über Selbstfindung und den Kampf um Gleichberechtigung mitbringen. Dass ihr Wunsch nach Anerkennung in der Modewelt erfüllt zu werden scheint, macht das Paket perfekt.

Sie sind damit ein Gegenentwurf zu Promi-Models wie Hailey Bieber, die als Tochter von Kim Basinger und Alec Baldwin und als Ehefrau von Popstar Justin Bieber ihr privilegiertes Leben vermarktet.

Monroe hörte auf zu bloggen als sie einen Modelvertrag bekam

„Ich bin online groß geworden.“, sagt Harlow Monroe. „Als Vloggerin habe ich damals alles ungefiltert über mein trans Leben preisgegeben, um aufzuklären. Als meine Eltern begannen, mir im kleinstädtischen Calgary in Kanada erste Freiheiten zu lassen, zog ich mir die höchsten Stripperschuhe an und verdeckte meine Unsicherheiten und meine Bartstoppeln unter viel Make-up. Ich sah aus wie eine Drag Queen, obwohl ich mich gar nicht damit identifizierte.“

Beendet hat sie das Bloggen, weil sie sich nicht länger den negativen Kommentaren aussetzen wollte. In ihrem letzten Video vor zwei Jahren berichtete sie begeistert von ihrem Modelvertrag und zeigte, wie dezent sie sich in Zukunft schminken wird.

Hat sie sich nach der gewonnenen Freiheit durch ihre Transition gleich wieder anpassen müssen? „Mein natürlicheres Aussehen heute ist zur Hälfte meinem Erwachsenwerden anzurechnen und zur Hälfte dem Business“, sagt Harlow Monroe heute mit Mitte zwanzig. „Das Modeln zwingt dich, dein Gesicht zu lieben, wie es ist.“

Ingolf Patz

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