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Nele Glückskind (l.) und Konstantin Sherstyuk haben zusammen mit weiteren Akteur*innen den LSBTIQ*-Runden Tisch für Marzahn-Hellersdorf gegründet.

© Jana Demnitz/Tsp

Queerer Runder Tisch in Marzahn-Hellersdorf: „Jeder Bezirk sollte einen CSD oder eine Pride-Demo haben"

Um die Belange queerer Menschen in Marzahn-Hellersdorf voranzubringen, gibt es jetzt den „LSBTIQ*-Runden Tisch“. Ein Gespräch mit den Organisator*innen Nele Glückskind und Konstantin Sherstyuk.

Sie haben zusammen mit Vereinen und Einzelpersonen einen LSBTIQ*-Runden Tisch für Marzahn-Hellersdorf ins Leben gerufen. Warum?
Nele Glückskind: Nach unseren Erfahrungen gibt es unter den politischen Akteur*innen im Bezirk zu wenig Interesse für queere Themen. Deshalb braucht es ein Bindeglied zwischen der Verwaltung, den Parteien und der queeren Community. Mit dem Runden Tisch wollen wir uns gemeinsam austauschen, absprechen und unsere Belange bündeln und kanalisieren. Zusätzlich wollen wir die oder den neuen Queer-Beauftragten im Bezirk mit unserer Expertise unterstützen.

Welche Akteur*innen sind an Ihrem Runden Tisch beteiligt?
Konstantin Sherstyuk: Wir arbeiten mit LesLeFam, Maneo, L-Suppport, dem LSVD Berlin-Brandenburg, QueerGrün, SPDqueer, dem LSU, LGBT for Life, dem neu gegründeten Verein WostoQ-Regenbogen und Einzelpersonen zusammen. Die Idee dafür ist in der Arbeitsgruppe, die auch den bezirklichen Plan gegen LSBTIQ-Feindlichkeit voranbringen soll, mit entwickelt worden. Es werden auch noch weitere Akteur*innen dazukommen, die vor Weihnachten leider keine Zeit hatten. 

Der Runde Tisch scheint gerade ein kleines Revival zu erleben. Auch der neue Ostbeauftragte Carsten Schneider von der SPD möchte das Konzept wieder aufgreifen. Warum haben Sie sich dafür entschieden?
Sherstyuk: Ursprünglich haben wir dabei nicht die Ereignisse von 1989 im Kopf gehabt. Als wir aber über einen Namen für unsere Initiative nachgedacht haben, haben wir durchaus Parallelen gesehen. Auch unser Runder Tisch soll für alle Menschen offen sein, die sich für queere Themen und für Rechte von LSBTIQ-Menschen im Bezirk interessieren und einsetzen möchten.

Wir sind im demokratischen Spektrum politisch neutral und unkonfessionell. Wir bieten ein niedrigschwelliges Angebot zur Partizipation an. Es soll eine Plattform zum Meinungsaustausch sein, mit der wir queere Themen in Marzahn-Hellersdorf mehr in die breite Öffentlichkeit tragen wollen.

Glückskind: Weitere Personen sind herzlich willkommen. Ich wünsche mir, dass dieser Runde Tisch wächst.

Mit welchen Problemen haben queere Menschen im Bezirk zu kämpfen? Nele, Sie erleben als trans Person selbst oft Diskriminierung  und auch Gewalt.
Glückskind: Ja, ich bin allein im letzten Jahr zwei Mal angegriffen worden. Leider gibt es für queere Personen, die von Homo- und Transfeindlichkeit im Bezirk betroffen sind, bisher aber keine einzige Anlauf- und Beratungsstelle. Es gibt positive Entwicklungen in Marzahn-Hellersdorf, aber unserer Erfahrung nach gibt es auch immer noch viele konservative und rechte Strukturen, unter denen queere Menschen leiden.

Nele Glückskind: „Es geht darum, überhaupt erst einmal für queere Themen zu sensibilisieren.“
Nele Glückskind: „Es geht darum, überhaupt erst einmal für queere Themen zu sensibilisieren.“

© Jana Demnitz/Tsp

Es geht nicht darum, noch etwas Zusätzliches im Bezirk zu etablieren. Es geht darum, überhaupt erst einmal für queere Themen zu sensibilisieren und queere Personen sichtbar zu machen. Deshalb braucht es für unsere Belange auch eine breite Unterstützung der Verantwortlichen in den Stadtteilzentren. Als Betroffene von Gewalt wurde ich von der Leiterin dieser Zentren auf berlinweite Institutionen verwiesen.

Für einen Bezirk, der mit rund 274.000 Menschen fast so viele Einwohner*innen wie Wiesbaden hat, ist das eindeutig zu wenig. Es braucht auch ein größeres Bewusstsein der Parteien, die sich im Bezirk für Belange von queeren Menschen einsetzen wollen. Nur der reine Wille, etwas Positives für queere Menschen zu bewirken, reicht nicht. Es muss sich strukturell etwas verändern, ansonsten sind die angekündigten Verbesserungen nur Lippenbekenntnisse.

Sie haben es schon angesprochen: Im Bezirk soll es nach einem BVV-Beschluss noch in diesem Jahr eine/en Queerbeauftragte/en geben. So richtig zufrieden sind Sie mit der Stellenausschreibung ja nicht.
Sherstyuk: Ich hole mal etwas aus: Schon vor zehn Jahren gab es im Bezirk einen Vorstoß, einen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie durchzusetzen. Der wurde damals aber wieder von der Tagesordnung gestrichen. Es wurden uns immer wieder Versprechungen gemacht und erst im Januar 2021 wurde dieser Antrag in der Bezirksversammlung angenommen. Nun soll es endlich auch eine/en Queerbeauftragte/en und ein Regenbogenzentrum geben. Ende November wurde die Stelle ausgeschrieben und neben queeren Themen soll die Person auch für bürgerschaftliches Engagement und für Städtepartnerschaften zuständig sein.  

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Glückskind: Allein diese Stellenbeschreibung ist für den gesamten queeren Bereich überhaupt nicht angemessen. Jeder Teilbereich hat natürlich seine Berechtigung. Aber es gibt eine große queere Community im Bezirk, die weiter wächst, und schon jetzt sind die Aufgaben so vielfältig, dass alleine schon dafür eine einzige Stelle gerechtfertigt wäre.

Sherstyuk: Wir halten auch die Eingruppierung in der Entgeltgruppe 9b für zu gering. Potenzielle Bewerber*innen dürfte diese Entlohnung wohl eher abschrecken.

Der Marzahn Pride 2020.
Der Marzahn Pride 2020.

© Hannibal Hanschke/REUTERS

Mit der Wahl im September haben sich die politischen Verhältnisse im Bezirk nur wenig geändert. Unter dem SPD-Bürgermeister Gordon Lemm bilden SPD, Grüne, FDP und Tierschutzpartei eine sogenannte Zählgemeinschaft – was einer Koalition gleichkommt. Welche politische Unterstützung erhalten Sie denn für Ihre queerpolitischen Themen im Bezirk? 
Sherstyuk: Ende November wurden die neuen Vertreter*innen im Bezirksamt gewählt und wir werden jetzt sehen, inwiefern queere Themen weiter vorangetrieben und Pläne gegen Queerfeindlichkeit wirklich umgesetzt werden. Wir hoffen, dass sich alle demokratischen Parteien für queere Themen einsetzen werden. Für das Regenbogenzentrum steht zum Beispiel die Finanzierung noch nicht. Auch bei diesem Thema werden wir seit Jahren vertröstet. Jetzt muss endlich mal etwas passieren, das auch langfristig Bestand hat.

Was würden Sie sich von den entsprechenden Stellen im Bezirk also wünschen?
Glückskind: Ich wünsche mir vom Bezirk eine größere Offenheit – gerade für die Belange von trans Personen. Es gibt seit vielen Jahren eine Selbsthilfegruppe in Alt-Marzahn für trans Menschen, die Einzige bisher, und im Bezirk weiß kaum jemand etwas davon. Seit 1 ½ Jahren kämpfe ich darum, dass wir auf eine Verteilerliste kommen. Diese Info müsste auch an die Frauenhäuser und die Stadtteilzentren weitergereicht werden. Zu unserer Selbsthilfegruppe kommen sogar Personen aus Köpenick, weil das Angebot für Betroffene in diesen Stadtteilen so schlecht ist. Das zeigt uns, dass es auch dort einen großen Bedarf für solche Anlaufstellen gibt.

Sherstyuk: Neben Marzahn-Hellersdorf wollen auch Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg mit einem Queerbeauftragten nachziehen. Aktuell haben nur Schöneberg und Lichtenberg solch eine Stelle besetzt. In den Randbezirken Spandau, Rudow oder Südneukölln passiert diesbezüglich gar nichts. Gerade in diesen Stadtteilen leben aber auch viele queere Personen. Jeder Bezirk in Berlin braucht einen Queerbeauftragten und oder Anlaufstellen für queere Menschen.

Konstantin Sherstyuk: "Je mehr Menschen Vorort erleben, dass auch queere Personen in der eigenen Straße, im Haus gegenüber oder auch im eigenen Haus leben, desto mehr steigt die Akzeptanz."
Konstantin Sherstyuk: "Je mehr Menschen Vorort erleben, dass auch queere Personen in der eigenen Straße, im Haus gegenüber oder auch im eigenen Haus leben, desto mehr steigt die Akzeptanz."

© Jana Demnitz/Tsp

Warum ist es für Sie so wichtig, dass queere Strukturen auch in den Außenbezirken entstehen? In Schöneberg-Tempelhof oder Friedrichshain-Kreuzberg gibt es bereits seit Jahren Angebote für die LSBTIQ-Community.
Sherstyuk: Die queere Community lebt nicht nur im Zentrum von Berlin. Warum müssen queere Personen in Marzahn-Hellersdorf nach Prenzlauer Berg oder nach Schöneberg fahren, um sich beraten zu lassen oder sich mit Gleichgesinnten zu treffen? Je mehr Menschen vor Ort erleben, dass auch queere Personen in der eigenen Straße, im Haus gegenüber oder auch im eigenen Haus leben, desto mehr steigt die Akzeptanz und es wird sicherer für queere Menschen.

Sich zu zeigen, wer man ist, ist ganz wichtig. Wir würden uns ja auch schon darüber freuen, wenn an Kaffees oder Bars in Marzahn-Hellersdorf eine Regenbogenfahne als sichtbares Zeichen zu sehen ist. Queere Menschen also wissen, dort sind sie willkommen, sie werden unterstützt und sie müssen sich nicht verstecken. Allein durch die Marzahn-Pride wissen wir, dass es sehr viel queere Personen dort gibt und die wollen natürlich auch sichtbar sein im Bezirk. 

In Marzahn-Hellersdorf lebt auch mit die größte russischsprachige Community in Berlin. 2020 haben Sie zusammen mit dem Verein Quarteera den Marzahn-Pride mit ins Leben gerufen, der sich vor allem auch für die russischsprachige Community im Bezirk einsetzt. Hat sich durch Ihr Engagement etwas verändert?
Sherstyuk: Ja, die Community fühlt sich selbst viel mehr angesprochen. Wie viele migrantische Communities in Deutschland empfindet sich auch die russischsprachige Community ein wenig ausgegrenzt. Die Menschen haben nicht das Gefühl, dass sie ein Mitspracherecht haben und ihre eigene Meinung sagen können.

Eine Frau sagte zu mir: „Schön, dass sie hierhergekommen sind. Endlich spricht mal jemand mit uns. Alle sagen, wir Russen seien homophob. Aber meine Tochter ist selbst lesbisch und ich habe nichts dagegen. Nicht alle Russen sind homophob.“ Auch in der Vorbereitung oder während der Demonstration haben wir bisher keine Anfeindungen oder Gewalt auf der Straße erlebt. Im Internet sieht das leider immer noch anders aus. Dort erleben wir sehr viel Homophobie und Androhung von Gewalt.

Wird es auch in diesem Jahr eine Pride-Parade in Marzahn geben?
Sherstyuk: Ja. Aber dieses Mal wird der Marzahn-Pride von der gesamten Community im Bezirk organisiert werden. Dafür entstand aus dem LSBTIQ*-Runden Tisch auch die AG Marzahn-Pride. Ein konkretes Datum haben wir noch nicht. Ich vermute, sie wird wieder Mitte Juli stattfinden. 

Mein großer Wunsch ist es, dass sich die queere Community von Berlin nicht nur im Zentrum der Stadt zeigt, sondern auch in den anderen Bezirken sichtbar ist. Jeder Bezirk sollte einen CSD oder eine Pride-Demo haben. Der jährliche CSD könnte ja auch in jedem Jahr in einem anderen Bezirk stattfinden. Je mehr Öffentlichkeit die Community erhält, desto besser.

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Wie hat die Corona-Pandemie der queeren Community in Marzahn-Hellersdorf zugesetzt?
Glückskind: Für betroffene Menschen war es schon vor Corona schwer. Durch die Pandemie ist es noch schwerer für sie geworden, Unterstützung oder Hilfe zu bekommen. Viele sind vereinzelt. Sich nur über Videocalls zu sehen, ist auch keine Lösung.

Ich persönliche empfinde die Situation als belastend, weil selbst die Ausweichmöglichkeiten, die man in anderen Bezirken hat, wie zum Beispiel der Sonntags-Club in Prenzlauer Berg, zum Teil auch nicht mehr zugänglich waren oder sind. Es gibt, wie schon erwähnt, ja nicht einmal ein queeres Kaffee im Bezirk, wo man sich Treffen könnte. Und auch die Stadtteilzentren zeigen sich unserer Erfahrung nach wenig kooperativ, solche Treffpunkte für queere Personen im Bezirk zur Verfügung zu stellen. 

Das Abgeordnetenhaus hat im vergangenen Jahr Berlin zur Regenbogenhauptstadt" und "Freiheitszone für LSBTIQ*" erklärt. Können Sie etwas mit diesen Labels anfangen?
Glückskind: Berlin ist im nationalen und internationalen Vergleich hinsichtlich der Queerfreundlichkeit sicher Vorreiter. Das Ganze muss aber auch unterfüttert werden. Es braucht mehr Vermittlungs- und Bildungsarbeit und mehr strukturelle Maßnahmen, denn oft fehlt die Nachhaltigkeit. Die Projektförderung ist beispielsweise oft mangelhaft. Menschen, die in dem Bereich arbeiten, leben immer wieder in einer Ungewissheit, weil Projekte nur für zwei Jahre gefördert werden. Das ist schwierig und belastend für die betroffenen Personen.

Wir sind noch lange nicht dort, wo man mit diesen Bezeichnungen vielleicht gerne hinmöchte. Schauen wir alleine auf Marzahn-Hellersdorf. Ja, wir sind ein bunter und vielfältiger Bezirk. Aber queere Menschen werden dort leider noch lange keine Normalität erleben. Ich verstehe diesen Begriff „Regenbogenhauptstadt" als Utopie und auf dem Weg dorthin braucht es den Willen, finanzielle Mittel und noch sehr viel Arbeit.  

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