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Tobi (Ricardo Frenzel Baudisch, Mitte, links) und Jan (Felix Heller, Mitte, rechts).

© Michael Bidner/dpa

Queere Operette im BKA-Theater: Komm mit mir ins Möbelhaus

Die „Operette für zwei schwule Tenöre“ erzählt im BKA-Theater mit viel Schwung und schwelgerischen Melodien von einer Liebe auf dem Land.

Keine Operette ohne eine knackige Liebesbeziehung! Also bitte, Vorhang auf: Tobi ist Städter und hoffnungsloser romantisch – vor allem in seiner Sicht aufs Landleben. Alles habe hier seinen Platz, findet er, die Leute „vertrauen sich dem Lauf der Dinge an“, es gäbe keine Überraschungen (was er positiv meint).

Jan hingegen, der selbst vom Land kommt, sieht die Dinge pragmatischer. Und weiß: Dorfleben bedeutet vor allem, ganz viel zu fahren. Für ein Date schon mal 90 Kilometer. „Und wenn sich herausstellt, dass die Fotos des Typen zehn Jahre alt sind, fährst du halt 90 Kilometer wieder zurück.“

Der Komponist greift ganz tief in die Gefühlskiste

Trotzdem, Gegensätze ziehen sich ja an, also sind die beiden ein Paar, zumindest auf der Bühne, zumindest in der „Operette für zwei schwule Tenöre“, die jetzt ihre Premiere im BKA Theater gefeiert hat.

Ganz richtig gehört: Berlin hat wieder eine Operette, also eine richtig neue, frisch geschriebene. Ein Genre, das gefühlt 1930 mit Ralph Benatzkys „Im weißen Rössl“ seinen Schwanengesang erlebt hat und zuletzt vor allem von Barrie Kosky an der Komischen Oper wiederentdeckt wurde, feiert auf einmal putzmunter am Mehringdamm seine Auferstehung.

Das liegt zum einen an Autor und Regisseur Johannes Kram, der dieses Projekt unermüdlich seit Jahren vorangetrieben hat. „Ich wollte endlich einmal die queeren Stränge, die in der Operette sowieso immer schon verdeckt angelegt sind, offensiv in einem eigenen Stück in den Mittelpunkt rücken“, erklärt er. Zum anderen liegt es an Florian Ludewig, Pianist des legendären, leider aufgelösten Duos Malediva, der als Komponist ganz tief in die Gefühlskiste greift und den Saal mit Streicherseligkeit und Harfenflor flutet.

Mit Melodien, die zwar nicht verraten, dass sie 2021 entstanden sind – aber dass ihr Schöpfer beim Schreiben enormen Spaß gehabt haben muss. Hemmungs-, fast ein bisschen maßlos greift Ludewig zum Dreivierteltakt, ganz nach dem Motto: Wenn schon, denn schon. Seine Lieder tragen Titel wie: „Wann fahr’n wir wieder zu Ikea?“ oder „Keiner bläst so gut wie du“.

Daran merkt man schon: Dieser Abend gibt zwar vor, eine traditionelle Operette zu sein, aber sein Inhalt ist ganz heutig. Hier wird „Heim“ auf „Design“ gereimt, es geht um Instagram, und überhaupt: Was wäre ein Schützenfest ohne Alkohol? „Wie Berghain ohne Pille“.

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Schritt für Schritt schleicht sich so doch die Großstadt ins idyllische Landleben von Tobi und Jan. Die glücklichen Zeiten erweisen sich als brüchig, Jan haut ab, findet in Berlin zu sich.

„Operette für zwei schwule Tenöre“ erkundet ein weites Feld aus Liebe, Treue, Gewohnheit, Routine und Zweifel. Ricardo Frenzel Baudisch (Tobi) und Felix Heller (Jan), die beiden Hauptdarsteller, waren an der Entstehung der Story beteiligt und konnten, wie sie sagen, viel von sich selbst einfließen lassen.

[wieder 10., 13.-16. und 17. Oktober]

Vor allem Baudisch hört man die klassische Gesangsausbildung an, mit voller Tenorpower singt er sich in die Herzen des Saals, und wenn er in „Champagner von Aldi“ seine Verzweiflung über den misslungenen Jahrestag des Paares ausschüttet und in den endlos gedehnten und gedrechselten Anfangsvokal von „Aldi“ seine ganze Enttäuschung hineinschraubt, dann leidet man mit ihm.

Heller gelingen die besseren Witzpointen, sein Gespür für Timing ist ausgefeilter, doch wird seine Stimme häufiger vom eingespielten Orchesterklang hinweggespült. Begleitet werden die beiden von drei wackeren Tänzern und Sängern (Tim Grimme, Tim Olcay, Pascal Schürken).

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Ja, der Abend hat Schwächen. Die Struktur aus nüchternen Rückblenden und bunten Gesangseinlagen wirkt auf Dauer vorhersehbar und verhindert, dass sich ein erzählerischer Flow entfalten kann. Außerdem fehlt manches, um aus dem Stück wirklich eine Operette zu machen. Zum Beispiel – das Typenpersonal der Operette ist ja ähnlich vorgegeben wie das der Commedia dell’arte – die eigentlich unabdingbare Figur der Komischen Alten. Oder das zwingend notwendige Happy End, das Felix und Tobi sogar selbstreferentiell thematisieren.

Andererseits und zum Glück dürfen Happy Ends heute auch ganz anders aussehen als im 19. Jahrhundert. Und die Geste, mit der dieses Team antritt und das Projekt über Jahre verfolgt hat, ist stark – und ein Happy End in sich.

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