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Lee Dong-ha porträtiert in seiner Dokumentation "Weekends" einen südkoreoanischen Schwulenchor.

© Berlinale

Queere Berlinale-Filme: Schwestern der Nacht

Bei der Berlinale laufen wieder viele queere Filme - hier ist ein Ausblick auf die Highlights. Und was gibt es zum 30. Teddy-Geburtstag?

"Es ist ein sehr schwuler Jahrgang diesmal", sagt Wieland Speck und blättert durch die Listen auf seinem Schreibtisch. Warum das anders als im letzten Jahr so einseitig ist, kann der Leiter der Panorama-Sektion nicht recht erklären. Es seien dieses Mal einfach "außergewöhnlich viele interessante Männerfiguren" in seinem Programm zu finden - auch Heteros.

Zwei spannende schwule Figuren sind Théo (Geoffrey Couët) und Hugo (François Nambot). Sie begegnen sich in "Théo et Hugo dans le même bateau" in einem schwulen Sexclub und haben in der fast 20-minütigen Eröffnungssequenz umringt von anderen Paaren ekstatischen Sex miteinander.

Anschließend ziehen sie gemeinsam durch das frühmorgendliche Paris, was in Echtzeit gezeigt wird und ein bisschen wie eine schwule Version von "Before Sunrise" wirkt. Die Regisseure Olivier Ducastel und Jacques Martineau sind alte Panorama-Bekannte: Mit ihrem Roadmovie "Felix" gewannen sie vor 16 Jahren den Teddy Award.

Im diesjährigen Rennen um den Preis für den besten queeren Berlinale-Film haben die Franzosen starke Konkurrenz aus Österreich. Von dort kommt mit "Kater" von Händl Klaus ebenfalls ein intimer Film über ein Männerpaar. Stefan (Lukas Turtur) und Andreas (Philipp Hochmair) sind schon länger zusammen.

Sie leben in einem schönen Haus mit Garten, arbeiten beide bei einem Orchester, haben nette Freunde und ihren Kater Moses, der ihnen sehr viel bedeutet. Als sie jäh aus ihrem Glück gerissen werden, lässt sich das in seiner Dramatik zunächst ein bisschen schwer nachvollziehen. Doch wie sich "Kater" dann zu einer quasi-universellen Geschichte über eine Beziehungskrise entwickelt, ist sehenswert. Bei Wieland Speck hat der Film ein "verzauberndes Magendrücken" ausgelöst.

Eher in Richtung ungutes Magendrücken geht die Gefühlswelt des Landwirts Burghardt (André M. Hennicke) in Piotr J. Lewandowskis stimmigem Drama "Jonathan". Burghardt ist nicht nur schwer krank und sträubt sich gegen die Pflege seines 23-jährigen Sohnes Jonathan (Jannis Niewöhner). Er hat auch sein Leben lang verheimlicht, dass seine große Liebe ein Mann war. Und der taucht nun plötzlich auf dem Hof auf.

Ebenfalls als Familiendrama beginnt "Já, Olga Hepnarová" von Petr Kazda und Tomas Weinreb - neben dem in der Generation laufenden "RaRa" (mit zwei lesbischen Müttern) - ist der einzige Berlinale-Spielfilm mit einer lesbischen Protagonistin. In dem Anfang der Siebziger spielenden tschechischen Schwarz-Weiß-Film, mit dem das Panorama-Hauptprogramm am Mittwoch eröffnet, versucht Olga (Michalina Olszanska) schon als Teenager, sich umzubringen, um der Kälte und der Härte ihrer Familie zu entziehen. Es misslingt ihr, und so setzt sich Olgas Außenseiterinnenschicksal fort. Mit Anfang 20 zieht die stets grimmig dreinblickende und nie grüßende Olga in eine karge Hütte, arbeitet als Lkw-Fahrerin und entdeckt ihre Vorliebe für Frauen.

Michalina Olszanska und Marika Soposka in "Já, Olga Hepnarová".
Michalina Olszanska und Marika Soposka in "Já, Olga Hepnarová".

© Black Balance

Offensiv sucht sie sich ihre Geliebten, doch an ihrer fundamentalen Einsamkeit ändert das nichts. Man merkt diesem ruhigen, auf wahren Begebenheiten basierenden Werk an, dass die Filmemacher von dem Wunsch beseelt sind, diese junge Frau zu verstehen, die sich schließlich zu einer unfassbaren Verzweiflungstat entschließt. Dass sie sie nicht pathologisieren, aber auch nicht entschuldigen, ist die Stärke ihres Films.

Starke Dokumentationen im Panorama

Auffallend stark besetzt ist das Panorama-Programm in diesem Jahr mit Dokumentarfilmen, die sich um queere Themen drehen. Zu sehen sind Künstler-Porträts wie "Mapplethorpe: Look at the Pictures" und "Uncle Howard", die berührende Geschichte eines HIV-positiven Israelis aus einer konservativen Familie ("Who's gonna love me now") und der kurzweilige Einblick in das Innenleben eines südkoreanischen Schwulen-Chors ("Weekends").

Mit "Strike a Pose" hat ein sehr sehenswerter, liebevoller Film über die Tänzer von Madonnas Blonde-Ambition-Tour seine Weltpremiere auf der Berlinale. Das niederländische Regie-Duo Ester Gould und Reijer Zwaan hat die sieben Männer (sechs Schwule, ein Hetero) 25 Jahre nach der legendären Tournee getroffen und nachgefragt, wie sie sich an die Zeit mit dem Superstar erinnern - und wie es anschließend mit ihnen weiterging.
Größtenteils weniger glamourös: Partys, Drogen, Alkohol - die jungen Männer waren überfordert mit ihrer plötzlichen Popularität.

Schweigen und lügen

Auch die in der Tour-Doku "Truth or Dare" gezeigte Harmonie zwischen Madonna und ihren Tänzern war nur eine Seite der Medaille. Während die Sängerin jeden Abend an ihren an den Folgen von AIDS verstorbenen Maler-Freund Keith Haring erinnerte und dazu aufrief, die Krankheit nicht totzuschweigen, standen neben ihr drei HIV-positive Tänzer, die ihre Infektion geheim hielten. Ihr Liebling Gabriel Trupin starb 1995 mit nur 26 Jahren.

Verschweigen und vertuschen ist auch die Strategie vieler Homosexueller in China, was Sophia Luvaràs "Inside the Chinese Closet" auf eindrucksvolle Weise verdeutlicht. Der 31-jährige schwule Architekt Andy verabredet sich mit einer Reihe lesbischer Frauen, denn er sucht eine Braut. Die Lesbe Cherry ist schon länger zum Schein verheiratet, ihr fehlt ein Baby. In beiden Fällen geht es nur darum, es den Eltern recht zu machen. "Weil wir unsere Eltern lieben, müssen wir sie vor der Wahrheit schützen. Sie sind einfach nicht so offen wie im Westen", erklärt Cherry einmal. Bitter.

Die Reihe Teddy 30 zeigt queere Klassiker

Szene aus Patric Chihas Dokumentation "Brüder der Nacht".
Szene aus Patric Chihas Dokumentation "Brüder der Nacht".

© Marlies Faulend

Einen ungewöhnlichen ästhetischen Ansatz wählte der österreichische Regisseur Patric Chiha für "Brüder der Nacht": Er porträtiert junge, bulgarische Roma, die in Wien als Stricher arbeiten und setzt sie bei ihren Gesprächen untereinander und den Interviews mit ihm in knallbuntes Licht. Manche Szenen haben halbinszenatorischen Charakter und wirken teils so, als stammten sie aus einem Schwesterfilm zu Fassbinders "Querelle" - vor allem, wenn einer Jungs dann auch noch Streifenpulli und Matrosenmütze trägt. Eine romantische Verklärung des Stricheralltags entsteht dabei nicht, denn Stefan, Vassili, Arsen & Co. erzählen bei all ihren Prahlereien auch immer wieder von ihren Ängsten, ihren Sorgen in der Heimat und ihren unangenehm Erfahrungen mit Kunden.

Der Teddy wird 30 und bekommt ein Extraprogramm

Die Idee, einen Preis für den besten schwul-lesbischen Berlinale-Fim zu verleihen, hatte Wieland Speck vor 30 Jahren. Damals war der "Daddy of the Teddy" noch als Assistent des Programmleiters Manfred Salzgeber. Zur Feier des Jubiläums gibt es nun die Reihe "Teddy 30" mit 17 queeren Klassikern. Darunter auch eine 35-Millimeter-Fassung von Richard Oswald "Anders als die Andern" aus dem Jahr 1919. Der Film wurde in den USA aufwändig restauriert. Das verweist auf das wichtige Thema der Konservierung historischer Werke von schwulen oder lesbischen Filmschaffenden. Dabei können zum einen Materialprobleme wie unspielbare Filmkopien oder VHS-Bänder ein Problem darstellen. Aber auch die Familien von verstorbenen Regisseuren können sich als hinderlich erweisen. "Da hat man es dann mit Rechteinhabern zu tun, die nicht an ihren schwulen Sohn erinntert werden wollen", erklärt Speck.

Untilgbar aus dem queeren Filmerbe ist Cameron Mitchells Rockmusical "Hedwig and The Angry Inch", das 2001 den Teddy gewann und von Christine Vachon produziert wurde. Die Amerikanerin produziert seit 20 Jahren queere Filme und arbeitet schon lange mit Todd Haynes ("Far From Heaven", "Carol") zusammen. Auf der Teddy Gala (19. Februar, Station Berlin, Luckenwalder Straße 4-6) wird Vachon mit dem Special Teddy ausgezeichnet.

Bei Teddy 30 laufen mit "Je, tu, il, elle" und "Toute une nuit" zudem zwei Werke der im letzten Herbst verstorbenen belgischen Regisseurin Chantal Akerman. Weitere Highlights der Reihe sind  Želimir Žilniks "Marble Ass" (Teddy-Gewinner 1995) und "Tras el cristal", in dem Agustí Vilaronga 1987 von einem Alt-Nazi und seinem Pfleger erzählte.

Monika Treut porträtierte schon 1999 in ihrem Teddy-Gewinnerfilm "Gendernauts - Eine Reise durch die Geschlechter" Transmenschen in San Francisco. Die Hamburger Regisseurin ist ein Panorama-Stammgast und zeigt auch in diesem Jahr wieder einen neuen Film: In "Zona Norte" kehrt sie an den Schauplatz ihrer Dokumentation "Kriegerin des Lichts" nach Rio de Janeiro zurück, um zu sehen wie sich das damals vorgestellte alternative Schulprojekt entwickelt hat. Dranbleiben lohnt sich - in der Schule und beim Filmemachen.

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