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Novizin Bartolomea (Daphné Patakia) und Schwester Benedetta (Virginie Efira) kommen sich näher.

© Capelight pictures / Koch Films

Nonnensex, Pest und Folter: Paul Verhoevens trashiges Historiendrama „Benedetta“

Inspiriert von einer Geschichte aus dem 17. Jahrhundert erzählt der niederländische Provokateur von lesbischem Sex und Jesus-Visionen in einem italienischen Kloster.

Ein Nonne in weißem Habit – die Einstellung ist so angeschnitten, dass ihr Gesicht erst ab der Nase abwärts zu erkennen ist. Die vollen Lippen sind leicht geöffnet, wie das Gewand, unter dem ihre rechte Brustwarze hervorlugt.

Mit diesem Softcore-Motiv wird derzeit für Paul Verhoevens „Benedetta“ geworben, und man stutzt kurz, weil eine solch altbacken-sexistische Ästhetik bei Mainstream-Produktionen heute kaum noch anzutreffen ist.

Charlotte Rampling als Theatiner-Äbtissin

Zum in Cannes uraufgeführten Film des 83-jährigen niederländischen Provokateurs passt sie allerdings vortrefflich, versucht er sich doch an der Wiederbelebung, eines längst vergessenes Genres: dem Nunsploitation-Movie. Diese Spielart des Erotik- und Exploitationfilms, die die Sexualität von Nonnen zur Schau stellt, war in den siebziger Jahren vor allem in Italien populär.

Zu den stilbildenden Filmen gehörte Ken Russels „Die Teufel“ von 1971, von dem Verhoeven offensichtlich beeinflusst ist. Charlotte Rampling verkörpert darin eine bucklige, sexuell frustrierte Ordensschwester, die im Frankreich des 17. Jahrhundert einen Exorzismus übersteht und dann einen Priester denunziert.

Folter, Pest, Sex, Scheiterhaufen – alles dabei. Bei Verhoeven ebenfalls, sogar Charlotte Rampling. Mit großer Ernsthaftigkeit wirft sich sich in die Rolle von Felicita, der Äbtissin des Theatiner- Klosters im toskanischen Pescia. Hier lebt die 26-jährige Nonne Benedetta (Virginie Efira), die während einer Kirchenzeremonie erstmals eine Jesus-Vision hat. Es folgen weitere intensive Erscheinungen sowie Stigmata-Wunden, nachdem die junge Bartolomea (Daphné Patakia) ins Kloster aufgenommen wird – und sich Benedetta körperlich nähert.

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Die im 17. Jahrhundert angesiedelte Geschichte ist von wahren Ereignissen inspiriert, die Judith C. Brown 1988 in ihrem Buch „Leidenschaften: das Leben einer lesbischen Nonne in Italien zur Zeit der Renaissance“ dokumentiert hat. Drehbuchautor Gerard Soeteman machte Paul Verhoeven, mit dem er seit 1977 mehrmals zusammengearbeitet hat, darauf aufmerksam.

Gemeinsam arbeiteten sie an einem Skript, Soeteman stieg allerding bald wieder aus, weil der „Basic Instinct“-Regisseur in seinen Augen zu stark auf die sexuellen Aspekte fixiert war. Darauf engagierte Verhoeven David Birke, der bereits das Drehbuch für seinen Rachethriller „Elle“ (2016) verfasst hatte. Dank ihm ist „Benedetta“ nun statt eines gediegenen Historiendramas, das es in der ersten Viertelstunde noch zu sein vorgibt, ein Nunsploitation-Streifen, der die Brüste von Efira und Patakia unverhohlen fetischisiert. Sie werden liebkost, geküsst, geknetet – einmal spritzt sogar eine Schwangere mit ihrer Milch herum.

[Ab Donnerstag in sechs Berliner Kinos, auch OmU]

Damit „Benedetta“ nicht komplett aus der Zeit gefallen wie eine Altherren-Fantasie wirkt, verkauft Verhoeven ihn als Kritik an der Körperfeindlichkeit der katholischen Kirche. Schon als Benedetta mit acht Jahren im Kloster ankommt, erklärt ihr eine Schwester: „Dein Körper ist dein größter Feind.“ Das kratzige Gewand, das sie tragen muss, illustriert diese Ansage hautnah. Ihre unausgelebte Lust kanalisiert Benedetta in ihre Visionen, die Verhoeven extra trashig überzeichnet. Christus sieht darin aus wie ein heißer Hipster – selbst als er blutend am Kreuz hängt. Einmal rettet er die Nonne einer schwertschwingenden Computerspielfigur gleichend vor einem Schlangenangriff.

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Weil Sex mit Jesus unerreichbar bleibt, gibt sich die inzwischen zur Äbtissin aufgestiegene Benedetta schließlich Schwester Bartolomea hin. Die ist eindeutig sexpositiv und experimentierfreudig unterwegs, weshalb sie aus Benedettas Marienstatue einen Holzdildo schnitzt. Und just in dem Moment, als sie ihre Geliebte damit zum ersten Mal zum Orgasmus bringt, erscheint über dem Kloster ein roter Komet. Ein Omen? Auf jeden Fall eine der Szenen aus „Benedetta“, die in Erinnerung bleiben.

Paul Verhoeven demonstriert damit seine ungebrochene Lust an der Provokation, für einen Skandal dürfte es im Jahr 2021 aber kaum mehr reichen – und wohl auch nicht für eine nachträgliche Nobilitierung zum Camp-Klassiker, wie sie Verhoevens „Showgirls“ erfuhr. Auch das Intrigenspiel zwischen zwei Tänzerinnen (großartig überzogen: Gina Gershon und Elizabeth Berkley) in einem Club in Las Vegas warb 1995 übrigens mit einem Plakat, auf dem eine entblößte Frau mit angeschnittenem Kopf zu sehen war.

Was bei „Showgirls“ Kult war, ist heute ziemlicher Quark. Immerhin: Charlotte Rampling dreht im finalen Pest-Kapitel noch mal richtig auf. Sie ist immun gegen vergurkte Fantasien.

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