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Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer.

© imago images/ULMER Pressebildagentur

Nach Zwangsouting durch Tübinger OB: Grünen-Mitglied verklagt Boris Palmer

Boris Palmer outet ein Grünen-Mitglied auf Facebook als trans und äußert sich transfeindlich. Diese klagt nun gegen den Tübinger OB wegen Beleidigung.

Bereits während der Corona-Krise hatte der Grünen Politiker und Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer für Empörung gesorgt und viel Kritik geerntet. Grund dafür war ein Fernsehinterview, in dem es um die Schutzmaßnahmen in der Coronavirus-Pandemie ging. Palmer sagte im Interview: „Ich sage es Ihnen mal ganz brutal: Wir retten in Deutschland möglicherweise Menschen, die in einen halben Jahr sowieso tot wären - aufgrund ihres Alters und ihrer Vorerkrankungen.“

Im Anschluss an das Interview distanzierten sich zahlreiche Grünen- Politikerinnen und -Politiker von Palmers Aussagen, darunter die Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck. Habeck nannte Palmers Aussage „falsch und herzlos“. Doch nicht nur von Seiten der eigenen Partei hagelte es Kritik, sondern auch von Teilen der SPD, der Linken und von der Deutschen Stiftung Patientenschutz.

Strafanzeige gegen Palmer von einem Grünen-Mitglied

Nun steht der Oberbürgermeister erneut in der Kritik, weil er sich auf Facebook transfeindlich geäußert hat. Gegen ihn wurde in diesem Zusammenhang sogar Strafanzeige gestellt - ausgerechnet von einem anderen Grünen-Mitglied.

Was ist geschehen? Am vergangenen Freitag teilte Palmer auf Facebook seinen umstrittenen FAZ-Gastbeitrag „Entspannt euch!“ aus dem Jahr 2015. Darin schreibt Palmer unter anderem, dass es nicht helfe, den Vorwurf der Homophobie auszupacken, wenn sich jemand kritisch über das volle Adoptionsrecht für Schwule und Lesben äußere. Ihm zufolge trete eine „geradezu jakobinische Verdamnis“ an die Stelle eines „aufgeklärten Diskurses“.

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Den Facebook-Beitrag ergänzte er außerdem um einen aktuellen Artikel der Stuttgarter Zeitung mit der Überschrift: „Mal Nein sagen zur Minderheit“.

Palmer schrieb dazu in seinem Post: „Endlich, endlich, endlich. Die Intoleranz gegen Andersdenkende, öffentliche Anprangerungen und Ausgrenzung wird nicht mehr schweigend hingenommen, nur weil sie von Minderheiten oder dem eigenen Milieu ausgeht.“ Dabei bezog er sich auf prominente Persönlichkeiten wie die Autorin J.K. Rowling, die in der Vergangenheit aufgrund transfeindlicher Äußerungen mehrfach in der Kritik stand.

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Für seinen Post wurde Palmer unter anderem von Maike Pfuderer, der stellvertretenden Sprecherin der Grünen- Bundesarbeitsgemeinschaft Lesbenpolitik, kritisiert. Pfuderer bezeichnete den Text in einem Kommentar als „alten Käse“. „Palmer hat diesen FAZ Artikel von 2015 genau in die CSD Saison in Stuttgart platziert“, kritisiert Pfuderer gegenüber dem Tagesspiegel. „Schon damals war der Text nicht zutreffend und auch mit der Zeit ist er nicht besser geworden.“

Palmer sprach Pfuderer mit ihrem "Deadname" an

Nachdem sich auf Facebook ein weiterer User einschaltete und sich nach dem Verhältnis der beiden Parteikolleg*innen erkundigte, schrieb Palmer auf Pfuderer bezogen: „Ich kenne ihn gar nicht. Nie begegnet.“ Und fragte in einem weiteren Kommentar: „Wie spricht man Pfuderer korrekt an?“. Im weiteren Verlauf outete er Pfuderer als trans und sprach sie mit ihrem alten, abgelegten Namen, dem „Deadname“, an.

Aus diesem Grund stellte Pfuderer einen Strafantrag wegen Beleidigung gegen Palmer: „In meinen Augen hat er gegen Paragraf 5 des TSG verstoßen.“ Das TSG ist das Transsexuellengesetz, bei dem Paragrafen handelt es sich um das Offenbarungsverbot. Dieses Verbot schreibt vor, dass der Deadname einer Person weder „offenbart“ noch „ausgeforscht“ werden darf. „Palmer hat die Eskalation bewusst nach oben getrieben. Das hat er nicht unüberlegt getan und es ist ihm nicht einfach rausgerutscht. Er weiß genau um die Wirkung der Worte, die er wählt“, sagt Pfuderer.

"Wir sind bereits in der Vergangenheit aneinandergeraten"

Bereits seit 2009 ist Pfuderer Mitglied bei den Grünen und war fast zehn Jahre lang Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft QueerGrün Baden-Württemberg. „Dass Palmer behauptet, mich nicht zu kennen, finde ich schon ulkig. Denn wir sind bereits in der Vergangenheit aneinander geraten.“ 

Pfuderer berichtet, dass sie im Anschluss an Palmers Kommentare von einigen User*innen transfeindlich attackiert worden sei: „Nachdem Palmer mich geoutet hatte, wurde plötzlich mein Deadname in vielen Kommentaren unter meinen Beiträgen genannt. Deshalb habe ich einige Artikel gar nicht mehr geteilt und mein Handy gestern ausgeschaltet."

Andere Grüne fordern Konsequenzen gegen Palmer

Die Reaktionen im eigenen Bekanntenkreis und innerhalb der Partei- sowohl in der Landtagsfraktion als auch im Bundesvorstand- seien hingegen „fantastisch“ gewesen: „Dort wurde ich- wie man so schön sagt- getragen und gehalten."

Auch in den sozialen Netzwerken solidarisierten sich zahlreiche Politikerinnen und Politiker mit Pfuderer. So schrieb der Grünen-Sprecher für Queerpolitik Sven Lehmann auf Twitter: „Boris Palmer äußert sich transfeindlich gegenüber einer Parteifreundin. Unerträglich, dass er überhaupt noch Grüner ist.“ Deadnaming verstoße gegen das Offenbarungsverbot, deshalb sei es gut, dass Pfuderer Anzeige erstattet habe. „Das darf nicht folgenlos bleiben“, fordert der Bundestagsabgeordnete.

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Palmer steht für seine Äußerungen immer wieder in der öffentlichen Kritik steht - auch wenn es um queere Themen geht. Wie queer.de berichtet, nannte der Tübinger Kreisvorstand der Grünen die Aussagen Palmers bereits vor zwei Jahren „inakzeptabel“. Grund dafür war damals ebenfalls ein Facebook-Post, in dem Palmer einen rosafarbenen Anstrich im öffentlichen Raum vermeintlich scherzhaft als sogenanntes „LSBTTQI- Ankerzentrum“ bezeichnete. Die Wahl des Wortes "Ankerzentrum" wurde als geschmacklose Anspielung auf die Zentren für Geflüchtete kritisiert, die keine Bleibeperspektive in Deutschland haben.

Pfuderer begrüßt Initiative zum Parteiausschluss Palmers

In diesem Mai unterzeichneten mehr als 100 Grünen-Mitglieder einen Brief, in dem der Landesvorstand Baden-Württemberg und der Kreisverband Tübingen dazu aufgefordert wurden, ein Parteiordnungsverfahren oder ein Parteiausschlussverfahren gegen Palmer anzustrengen.

Das begrüßt auch Pfuderer: „Rechtliche Konsequenzen würden es erleichtern, aber aus anderen Strafanträgen, die ich schon gestellt habe, weiß ich, dass der Strafantrag wahrscheinlich nicht den ausgesprochenen Erfolg bringen wird.“ Umso wichtiger sei es, das Thema politisch weiterzuverfolgen und Palmer zumindest aus der Partei auszuschließen: „Bereits jetzt ist er isoliert innerhalb der Partei, und die meisten Ebenen haben sich für seinen Parteiaustritt ausgesprochen.“

Inga Hofmann

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