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Jörg Litwinschuh-Barthel, geschäftsführender Vorstand der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld.

© picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Nach 10 Jahren Aufbauarbeit: Litwinschuh-Barthel kündigt Abschied von Hirschfeld-Stiftung an

Zehn Jahre hat Jörg Litwinschuh-Barthel die Hirschfeld-Stiftung aufgebaut. Jetzt kündigt er seinen Abschied an - und zieht Bilanz.

Ihr zehnjähriges Jubiläum feiert die Bundesstiftung Magnus Hirschfeld an diesem Freitag. Schon im Vorfeld haben viele aus der queeren Community der Stiftung für ihre Forschungs- und Bildungsarbeit gratuliert: Sie ist inzwischen als Institution im Wissenschafts- und Kulturleben etabliert, mit ihrem Fokus auf der Erforschung queerer Lebensweisen und der LGBTI-Geschichte in Deutschland.

Maßgeblich aufgebaut hat die Stiftung der bisherige Vorstand Jörg Litwinschuh-Barthel, der sie seit Beginn an leitet. Doch auf Litwinschuh-Barthel wird die Stiftung in Zukunft verzichten müssen. Er hat sich auf eine Neuausschreibung seiner Stelle nicht beworben und verlässt die Stiftung damit im Herbst.

Das kündigte der 52-Jährige am Freitagabend auf dem Festakt der Stiftung an. Dass der hauptamtliche Posten des Vorstands vom Bundesjustizministerium vor einiger Zeit überhaupt öffentlich neu ausgeschrieben wurde, hatte in den vergangenen Wochen Diskussionen ausgelöst.

Denn nötig ist die öffentliche Ausschreibung nicht. Viele waren davon ausgegangen, dass Litwinschuh-Barthel vom Kuratorium für eine dritte Amtszeit bestellt wird, schließlich sind seine Arbeit und die Stiftung sehr angesehen. Laut queer.de soll Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) die Ausschreibung persönlich durchgesetzt haben –was von einigen durchaus als Brüskierung des Amtsinhabers gewertet wurde.

War er zu politisch als Vorstand?

Spekulationen gibt es seitdem viele: Lambrecht könne eine Frau bevorzugen, da gerade bei einer queeren Einrichtung Diversität angezeigt sei. Gut möglich sei auch, dass aus der SPD selber Kandidat*innen ins Rennen geschickt würden – und dass andere Parteien über die Neuausschreibung ebenfalls nicht unglücklich sind, falls die Stelle bis zur Bundestagswahl nicht besetzt wird und dann ein*e Nachfolger*in von Lambrecht ein Wort mitzureden hat.

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Schließlich könnte es sein, dass Litwinschuh-Barthel als zu politischer Kopf gilt, künftig eher ein reiner Manager bevorzugt würde. Dass der Vorstand in der Community sehr geschätzt wird, machten viele Äußerungen nach Bekanntwerden der Ausschreibung deutlich. Viele erklärten dort ihr Unverständnis über das Vorgehen der Ministerin.

In seiner Rede bekräftigte Litwinschuh-Bartel jetzt jedenfalls den Anspruch, dass eine queere Bundesstiftung eben auch eine politische Rolle spielen müsse. „In unserer Antidiskriminierungsarbeit scheuten wir, scheute ich persönlich auch keinen Konflikt, wenn es darum geht, Homo- und Transfeindlichkeit konkret zu benennen“, sagte er laut Redemanuskript, das dem Tagesspiegel vorliegt. Magnus Hirschfelds Leben und Werk und das seiner Mitstreiter*innen seien da ein Vorbild.

"Homo- und Transfeindlichkeit nehmen wieder zu"

Es sei zwar im vergangenen Jahrzehnt viel erreicht worden. Die Stiftung trage dazu bei, LGBTI-Lebensweisen und -welten sichtbar zu machen, Teilhabe und rechtliche Gelichstellung zur ermöglichen. „Hier sind wir entscheidende Schritte vorangekommen."

„Doch Homo- und Transfeindlichkeit, Rassismus, Antisemitismus und Sexismus nehmen wieder zu bzw. werden wieder offen geäußert“, mahnte Litwinschuh-Barthel.

Dafür würden erneut „Schuldige“ gesucht: Öfters höre man wieder, Deutschland habe sich Homophobie und Judenhass durch Einwanderung importiert. Dem könne er nur entgegnen: „Wer diese Narrative verbreitet, die Deutschen hätten noch nie ein Problem mit Antisemitismus und mit Homofeindlichkeit gehabt, der oder die liegt falsch.“

Umso wichtiger bleibe auch die von der Hirschfeld-Stiftung geleistete Aufklärungsarbeit. Im Social-Media-Zeitalter brauche man neue Dialogformen und weitere Bündnispartner, etwa in den Religions- und Glaubensgemeinschaften, in der Wirtschaft und bei den Gewerkschaften, im Sport und beim Ehrenamt sowie in der Wissenschaft. Es sei eine zentrale Aufgabe der Stiftung, in die Mehrheitsgesellschaft zu wirken.

Viele Projekte der Hirschfeld-Stiftung

Die Hirschfeld-Stiftung finanziert sich zum einen aus dem Stiftungsvermögen, das ihr der Bund bei der Gründung zur Verfügung gestellt hat; zudem erhält sie seit einigen Jahren eine institutionelle Förderung von gut 500.000 Euro jährlich.

Initiativen der Stiftung sind unter anderem das „Archiv der anderen Erinnerung“ mit Videointerviews von Zeitzeugen aus der frühen Bundesrepublik und DDR (ein Beispiel sehen Sie hier) sowie das Projekt „Fußball für Vielfalt“. Dazu kommen zahlreiche Forschungsprojekte zu queerem Leben und zu queerer Geschichte in Deutschland.

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