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Für intergeschlechtliche Menschen wird bald eine dritte Geschlechtsoption eingeführt.

© Getty Images/iStockphoto

Männlich, weiblich, divers: Wie das dritte Geschlecht die Berufswelt ändert

Bald gibt es offiziell nicht nur zwei, sondern drei Geschlechter. Das hat Folgen für Betriebe – von der Sprache bis zu Umkleideräumen und Toiletten.

Wer Stellenanzeigen liest, stößt in letzter Zeit häufig auf ein Novum: „Sachbearbeiter (m/w/d)“ steht dort. Neben die Abkürzungen für männlich und weiblich tritt also das „d“ für „divers“. Divers? Damit sind Menschen gemeint, die mit biologischen Geschlechtsmerkmalen geboren wurden, die nach der herrschenden Norm weder als männlich noch als weiblich gelten.

Vor einem Jahr hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass diese intergeschlechtlichen Menschen rechtlich diskriminiert werden. Das geltende Personenstandsrecht verstoße gegen das Grundgesetz, weil es ihnen keine Möglichkeit biete, ihr Geschlecht jenseits der Kategorien männlich oder weiblich eintragen zu lassen. Der Gesetzgeber wurde aufgefordert, für das dritte Geschlecht eine Neuregelung zu schaffen.

"Divers" ist die Bezeichnung für die dritte Geschlechtsoption

Die Bundesregierung hat in ihrem Gesetzentwurf den Begriff „divers“ vorgesehen, wenn eine Zuordnung zu männlich oder weiblich nicht möglich ist. Sie geht davon aus, dass in Deutschland rund 160 000 intergeschlechtliche Menschen leben und ein Drittel davon sich nicht mit der im Geburtenregister beurkundeten Geschlechtsangabe identifiziert.

In Deutschland gibt es bald offiziell nicht nur zwei, sondern drei Geschlechter: „Die Auswirkungen auf das Arbeitsrecht werden groß sein“, sagt Marc Spielberger, Fachanwalt für Arbeitsrecht und Partner bei Deloitte Legal in München. Sie reichten von den Stellenanzeigen über das Entgelttransparenzgesetz bis zur Toilettenverordnung. Karlsruhe hat dem Gesetzgeber Zeit bis zum 31. Dezember 2018 gegeben, das Personenstandsrecht zu ändern.

Wer nur Männer und Frauen anspricht, muss mit einer Klage rechnen

Unternehmen, die nach dem 1. Januar 2019 in ihren Stellenanzeigen nur Männer und Frauen ansprechen, müssen mit einer Klage rechnen, sagt Spielberger. Schon bisher verlangt das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) eine merkmalsneutrale Stellenausschreibung. Dem kommen manche Betriebe nach, indem sie in ihren Anzeigen explizit „m/w“ nennen, andere benutzen nur die männliche Form („Direktor“), erklären dann aber ausdrücklich, dass die weibliche Form darin eingeschlossen sei.

´Diese Berufung auf das generische Maskulinum als geschlechtsneutrale Form ist in der Linguistik durchaus umstritten. Sie könnte aber vom nächsten Jahr an rechtssicherer sein, als bloß „m/w“ zu schreiben, nicht aber „d“ für „divers“, sagt Spielberger. Wie schon jetzt mit Blick auf Frauen müssten die Betriebe dann aber erklären, dass auch diverse Menschen mit der maskulinen Form gemeint sind.

Entsprechendes dürfte bald für den internen Mailverkehr gelten, sagt Spielberger. Schon jetzt sei ein bloßes „liebe Kollegen“ nach dem AGG heikel – wenn der Betrieb nicht ausdrücklich erklärt, auch Frauen damit anzusprechen. Nach dem Karlsruher Urteil zu intergeschlechtlichen Menschen müssten diese nun auch explizit erwähnt werden. Entscheidet sich ein Betrieb dafür, die drei Geschlechter direkt anzusprechen, sei der „Genderstern“ dafür „perfekt“, sagt Spielberger. „Liebe Kolleg*innen“ würde es dann heißen. Onlineshops könnten davon ausgehen, dass ein Adressfeld, in dem die Kundschaft bei der Anrede nur zwischen „Herr“ und „Frau“ zu wählen hat, bald nicht mehr rechtssicher sei – selbst wenn es im Deutschen noch keine Anrede für das dritte Geschlecht gebe.

Mehr als sprachliche Folgen

Auch der Rat für Rechtschreibung hat sich nach dem Karlsruher Urteil des Themas angenommen – auf eine Empfehlung dazu aber nun erstmal wie berichtet verzichtet. „Für die Praxis ist das bedauerlich“, sagt Spielberger. „Auf der anderen Seite wird der Sprachgebrauch in der Praxis zeigen, was sich durchsetzt, so zum Beispiel das Gendersternchen.“

Indes dürfte das Karlsruher Urteil zum dritten Geschlecht nicht nur sprachliche Folgen haben. Das Betriebsverfassungsgesetz, das bei Betriebsratswahlen ein anteiliges Verhältnis von Männern und Frauen vorschreibt, müsse nun so geändert werden, dass das Verhältnis aller drei Geschlechter berücksichtigt wird, sagt Spielberger. Auch das neue Entgelttransparenzgesetz, das durchzogen sei vom „binären Geschlechtergedanken“, werde um die Rechte des dritten Geschlechts ergänzt werden müssen.

Auch auf die Arbeitsstättenverordnung wird das Karlsruher Urteil sich auswirken. Bislang müssen Betriebe mit mehr als neun Mitarbeitern getrennte Toiletten-, Wasch- und Umkleideräume für Männer und Frauen bereitstellen. Vom 1. Januar 2019 an seien größere Betriebe gut beraten, wenn sie intergeschlechtlichen Menschen „pro aktiv“ mindestens ausdrücklich erlauben, selbst zu wählen, ob sie lieber die Einrichtungen für Männer oder Frauen benutzen möchten, sagt Spielberger.

"Klagepotenzial" bei der Kleiderordnung

Selbst dann könne es aber passieren, dass jemand sich mit dieser Lösung nicht wohlfühlt und klagt. „Klagepotenzial“ gebe es auch bei der Kleiderordnung: Gerichte hätten dann etwa zu entscheiden, ob es zumutbar sei, von einer intergeschlechtlichen Person entweder Krawatte oder Rock als Dienstbekleidung zu verlangen.

Im Arbeitsrecht steht in Zeiten des dritten Geschlechts „eine neue, spannende Epoche bevor“, sagt Rechtsanwalt Spielberger: „Unternehmen sind gut beraten, sich jetzt mit diesen Themen auseinanderzusetzen.“

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