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Der Sänger und Rapper Montero Lamar Hill alias Lil Nas X.

© Sony Music

Lil Nas X und sein Album „Montero“: Willkommen im Queergarten

Das Debütalbum des US-Stars Lil Nas X ist ein funkelnder Mix aus Rap, Rock, Pop und Glitzer - und eine Kampfansage an Drake.

Es ist eine Kampfansage. Bunt und witzig, aber trotzdem ein heftiger diss: Um für sein Debütalbum zu werben, postete Lil Nas X kürzlich ein Bild von zwölf bärtigen Emoji-Männern mit kugelrunden Schwangerschaftsbäuchen auf Instagram.

Damit machte er sich über das Cover des wenig später erscheinenden Drake-Albums lustig, das eine im gleichen Stil gestaltete Emoji-Reihe mit weiblichen Schwangeren zeigt. Natürlich stammen alle Babys von Drake, der sich im Plattentitel „Certified Lover Boy“ nennt.

Statt sich zu verstecken, inszeniert er sich offensiv schwul

Der offen schwule Lil Nas X veralberte diese Potenzprahlerei des Kollegen aber nicht nur mit seinem „Kann ich auch!“-Motiv, sondern gab der Sache anschließend einen ganz eigenen Dreh, indem er begann, sich selbst als Schwangeren zu inszenieren. Ob im Bad, am Pool oder beim Fitnesstraining – überall schob der 22-Jährige stolz den nackten Fake-Kugelbauch vor sich her. Sogar eine Baby-Party feierte er auf den Fotos. Alles in freudiger Erwartung seines Albums „Montero“.

Seit Freitag ist das Baby endlich auf der Welt. Gesund, munter und ganz die Mama – also queer, knallbunt, aber auch abgründig. Es geht los mit der bereits veröffentlichten und millionenfach gestreamten Single „Montero (Call Me By You Name“, die durch die Akustikgitarren sowie die synkopierte Handclaps eine Flamenco-Anmutung bekommt und gleichzeitig Reggaeton andeutet.

Lil Nas X – den seine Mutter nach dem Mitsubishi-Modell Montero genannt hat – scheint hier in Richtung des spanischen Stars Rosalía zu schielen. Was man angesichts des Textes sofort vergisst, denn der dreht sich um schwules Begehren. In Anspielung an den Homo-Bestseller und -Blockbuster „Call Me By Your Name“ singt Lil Nas X im Refrain: „Call me when you want, call me when you need/ Call me out by your name, I’ll be on the way like“.

Auf dem „Montero“-Cover schwebt ein nackter Lil Nas X in einem grün-rosa-hellblauen Queergarten-Paradies, umgeben von einem Regenbogenkreis und Palastbauten. Das ist so camp, dass es quietscht – und Teil von Lil Nas Xs Strategie seine Queerness offensiv zu feiern, statt sie wie zu Beginn seiner Karriere zu verstecken.

Seitdem er vor zwei Jahren im Windschatten seines alle Rekorde sprengenden Hits „Old Town Road“, sein öffentliches Coming Out hatte, bringt er seine sexuelle Identität regelmäßig in seine Songs, Show und Videos ein. Zuletzt am Sonntag, als er bei den MTV Music Awards lasziv umtanzt von einem runden Dutzend durchtrainierter Männer zwei seiner Lieder aufführte und am Ende genau wie sie nur noch mit einem rosa Glitzer-Höschen bekleidet war.

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Das ist schon deshalb bemerkenswert, weil ein derart explizit schwule Ästhetik in der Pop-Champions-League immer noch Seltenheitswert hat. Zwar mangelt es der Branche insgesamt nicht an Queerness, doch spielen Künstler*innen wie Janelle Monáe, Troye Sivan, Mykki Blanco oder Christine And The Queens eine Klasse unter Lil Nas X. Und der hat es sich nun offenbar zur Aufgabe gemacht, der heterosexuellen Repräsentation von Stars wie Drake, Kanye West oder The Weeknd im Alleingang etwas entgegenzusetzen.

Wobei er weit über alles hinausgeht, was Homo-Ikonen früherer Zeiten an eindeutig queerem Ausdruck gezeigt haben. Seien es Little Richard, Freddie Mercury, George Michael, Melissa Etheridge, Elton John oder K. D. Lang – niemand brachte seine/ihre Identität auf allen Ebenen derart ein wie Lil Nas X, der natürlich in einem deutlich aufgeschlosseneren gesellschaftlichen Klima groß wurde als sie.

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Dass er „wirklich bahnbrechend“ agiert – zumal im Urban Music- Umfeld – findet auch Elton John, dem Lil Nas X in Sachen Kostüm-Exaltiertheit nacheifert. Kürzlich wirkten beide in einem Werbspot mit, in dem sie im Stil des anderen gekleidet waren: Elton John saß im rosa Cowboy-Outfit am Klavier, während Lil Nas X eine Riesenbrille und ein Federkostüm trug, die aussah als stammten es aus dem Siebziger-Fundus des Kollegen. Beide waren der Meinung: „You look amazing!“

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Elton John ist bei einem Song von „Montero“ zu hören, allerdings nicht singend, sondern nur am Klavier. Er spielt für „One Of Me“ ein melancholisch verhalltes Walzertakt-Intro und verziert das Finale mit einigen Girlanden – dazwischen sinniert Lil Nas X zu einem mäßig spannenden Beat über Konkurrenz und die Mechanismen der digitalen Aufmerksamkeitsökonomie, die er selbst meisterhaft beherrscht. Trotzdem kein Highlight der Platte, die sich durch einen enormen Stilreichtum auszeichnet.

Was nicht überraschen sollte, schließlich hat Lil Nas X in seinem Country-Trap-Geniestreich „Old Town Road“ seine Qualitäten als Genreverschmelzer bewiesen und sich auch auf der danach veröffentlichten „7 EP“ als vielfältig soundinteressiert gezeigt. Das Ausmaß der Wundertütenhaftigkeit des Debüts überrascht aber aber doch ein wenig.

So ist etwa „That’s What I Want“ ein glasklarer Radio-Popsong mit zackig angeschlagener Akustikgitarre und zuckrigem Refrain, der sich auch auf einem Katy Perry Album gut machen würde. Lil Nas X geht dabei stimmlich in Höhen, die man von ihm nicht gewohnt ist.

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Das zeigt sich noch bei einigen weiteren der 15 Stücke, vor allem denen, die in eine rockige Richtung gehen wie „Lost In The Citadel“ und „Void“, bei dem er sich sogar ins Falsett begibt. Im Refrain des Liebeskummer-Lieds „Life After Salem“, das eine klassische Laut-Leise-Struktur aufweist, schreit er seinen Schmerz in langen Noten zu verzerrten E-Gitarren heraus.

[„Montero“ erscheint bei Sony Music.]

Dass Lil Nas X nach den wenig euphorisch aufgenommenen Gitarren-Songs auf „7 EP“ noch einmal in Rockgefilde zurückkehrt, zeugt von seiner Chuzpe, aber auch von seinem Trendgespür. Denn derzeit sind Ausflüge in Punk-Pop und Rock bei Generation-Z-Stars und wohl auch ihren Fans äußerst beliebt.

Olivia Rodrigo eröffnet ihr Nummer-Eins-Album „Sour“ beispielsweise mit einer hart heruntergeschrubbten Nummer, Willow hat kürzlich ein ganzes Fun-Punk-trifft-Hardrock-Album veröffentlicht, und selbst Billie Eilsh vertraut im Titelstück ihres „Happier Than Ever“-Albums bei der Bekämpfung innerer Dämonen auf die Kraft verzerrter E-Gitarren.

Offenbar wird mit dem Instrument wieder Emotionalität und Ausdrucksstärke verbunden – es hat in der Tat etwas Befreiendes nach all den sedierten Mainstream-Klangwelten der jüngeren Vergangenheit. Lil Nas X setzt ebenfalls auf Gitarren, wenn es ernst wird. Etwa im folkigen Duett mit Miley Cyrus, deren Vater Billie Ray dem „Old Town Road“-Remix ja an die Chartspitze geholfen hatte, oder dem ruhigen „Sun Goes Down“.

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Darin folgt der Sänger der zart-eingängigen Melodielinie einer E-Gitarre, um von seiner Jugend zu singen, in der er sich allein fühlte, versuchte sein Schwulsein wegzubeten und Selbstmordgedanken hatte. Nun ist er glücklich und spendet Jugendlichen, denen es heute ähnlich geht, Trost: „I know that you want to cry/ But there’s much more to life than dying/ Over your past mistakes (Oh)/ And people who threw dirt on your name“.

In „Dead Right Now“ spielt Lil Nas X noch einmal auf seine damalige Verzweiflung an, befasst sich ansonsten aber mit einem Geliebten. Es ist eines der wenigen HipHop-Stücke auf dem Album. Lil Nas X demonstriert seinen einwandfreien Rap-Flow – und erinnert im runtergedimmten Singsang-Refrain dann stark an Drake in „Hotline Bling“. Auch weil er ähnliche Textzeilen wie „You know you never use to call“ verwendet.

Die Nummer wird den zwölf Jahre älteren Kanadier sicher nicht erfreuen, denn Lil Nas X sagt damit auch: Ich schlage dich mit den eigenen Mitteln. Diese Woche dominiert Drake die US-Charts noch mit „Certified Lover Boy“, aber jetzt kommt der schwule Junge aus Atlanta, um ihn vom Thron zu schubsen – im Glitzer-Höschen.

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