zum Hauptinhalt
Die Gespräche über ihren Dokumentarfilm „Uferfrauen“ hätten Regisseurin Barbara Wallbraun gezeigt, dass es ein Bedürfnis danach gebe, sich über lesbisches Leben früher und heute auszutauschen.

© déjà-vu film

Lesbisches Leben in der DDR: „Die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte ist wichtig“

Regisseurin Barbara Wallbraun hat die Doku „Uferfrauen“ über lesbische Liebe in der DDR gedreht. Jetzt bietet sie einen generationsübergreifenden Workshop an.

Frau Wallbraun, in den kommenden Wochen bieten Sie in Leipzig und in Dresden den Workshop „Lesbisch sein – gestern, heute, morgen" für ost-sozialisierte lesbische Frauen* an? Sie sagen, es fehle ein Austausch über lesbisches Leben in der DDR. Warum ist Ihnen der so wichtig?
Im Rahmen meines Dokumentarfilms „Uferfrauen“ über lesbische Frauen in der DDR hatte ich in den vergangenen zwei Jahren einige Publikumsgespräche. Dabei habe ich gemerkt, wie groß das Interesse der Generationen unter- oder besser füreinander ist.

Es wurde aber oft auch angemerkt, wie wenig Schnittstellen es für intensivere Gespräche und Erfahrungsaustausch gibt. Diesen Raum wollte ich so gern schaffen. Ich denke über Erfahrungsaustausch mit einer anderen Generation – egal unter welchen Gesichtspunkten – kann die Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte um wichtige Aspekte erweitert werden. Was das Ergebnis des Generationendialogs angeht, bin ich völlig offen und neugierig.

In der Produktionsphase wurde Ihr Dokumentarfilm, für den Sie später auch ausgezeichnet wurden, oft abgelehnt. Auch mit der Begründung, das Thema würde kaum jemanden interessieren.
Meine Erfahrungen sind komplett anders. Es gibt ein großes Interesse, eben weil das Thema in den letzten Jahrzehnten fast gar nicht präsent war. Mich hat doch überrascht, wie viele junge Menschen dieser Film berührt und ihnen die Augen öffnet. Menschen interessieren sich für Geschichten im eigenen Kontext aber natürlich auch darüber hinaus.

Die „Uferfrauen“ verpacken sechs Lebensgeschichten von Lesben, die zwar in der DDR geschehen sind; das heißt aber nicht, dass kein Bezug zum Heute hergestellt werden kann. Im Gegenteil, die Geschichten des Films sind teilweise brandaktuell. Das erkennt das Publikum und auch deshalb gab es unglaublich viel positives Feedback.

Das Thema „Lesben in der DDR“ hat sich also für viele Menschen auch mehr als 30 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht erledigt?
Nein, ich denke nicht. Wie kann es auch, wenn es bisher so wenig öffentliche Anreize gab, sich mit diesem Aspekt deutscher Geschichte auseinanderzusetzen? Da braucht es noch viel Aktivismus. In Leipzig und Dresden starten dieses Jahr die Pilotprojekte. Sie wurden mit großer Hilfe der LAG Queeres Netzwerk Sachsen auf die Beine gestellt und mitfinanziert. In Leipzig haben wir zusätzlich eine Förderung der Stadt erhalten, worüber wir uns sehr gefreut haben.

Gern möchten wir den Workshop nächstes Jahr bundesweit anbieten, natürlich nicht zwingend mit ost-sozialisiertem oder lesbischem Fokus. Sondern unbedingt auch in Westdeutschland und mit queeren Teilnehmenden. Der Austausch der Generationen ist überall wichtig! Bei Interesse kann gern eine Mail an lesbischer-austausch@gmx.de geschickt werden.

[Mehr Neuigkeiten aus der queeren Welt gibt es im monatlichen Queerspiegel-Newsletter des Tagesspiegel - hier geht es zur Anmeldung.]

In „Uferfrauen“ kommen auch Sabine und Gisela, die in Sachsen-Anhalt leben, ausführlich zu Wort.
In „Uferfrauen“ kommen auch Sabine und Gisela, die in Sachsen-Anhalt leben, ausführlich zu Wort.

© déjà-vu film

Sie sprechen direkt ältere lesbische Frauen und die sogenannte „Dritte Generation Ost“ an. Warum legen Sie ausgerechnet einen Fokus auf diesen generationenübergreifenden Dialog?
Anfang des Jahres wurde ich auf das Projekt „Biografiearbeit 3. Generation Ost“ aufmerksam, in dem sich Menschen verschiedenen Alters über verschiedenste Aspekte ostdeutscher Sozialisation austauschen. Ich habe die Projektleiterin Henriette Stapf mit meiner Idee angeschrieben und sie war sofort begeistert.

Geschichte und Geschichten wiederholen sich über die Jahrzehnte, der jüngeren Generation kann es helfen, zu erfahren, was Ältere bereits durchgemacht haben, auch dass sie nicht allein mit ihren Gefühlen und Erfahrungen sind. Andersrum natürlich genauso. Es geht um Empowerment und den Versuch Generationen zusammenzubringen.

Sie ermuntern auch lesbische Frauen* mit Diskriminierungserfahrungen, sich anzumelden.
Wir wollten das explizit erwähnen, weil für Gespräche über Diskriminierungserfahrungen, beispielsweise Verurteilung nach Paragraf 151, Mobbing oder Ähnliches, oftmals gar kein Raum vorhanden war und ist und wir diesen geschützten Raum dafür schaffen möchten.

Es ist wichtig, über solche Erfahrungen mit anderen zu sprechen, um vielleicht einen anderen Umgang mit solch persönlichen Themen zu finden. Es ist auch wichtig, für Jüngere zu erfahren, was es hieß, früher lesbisch zu leben. Heute offen nicht heteronormativ leben zu müssen, ist schön, aber es sollte nicht ausschließlich als selbstverständlich angesehen werden. Dafür haben frühere Generationen zu viel Vorarbeit geleistet.

Der Workshop „Lesbisch sein – gestern, heute, morgen – Intergenerativer biografischer Austausch Ost“ findet am 25.09.21 in Leipzig und am 6.11.21 in Dresden statt. Weitere Informationen unter: lesbischer-austausch@gmx.de.

Zur Startseite