zum Hauptinhalt

Kommentar: Ist der Christopher Street Day zu schrill?

In Berlin ist der CSD zwar vorbei, aber die Diskussion geht weiter: Ist der Christoher Street Day "zu schwul", "zu anders" oder "zu schrill"? Unser Autor, Blogger und LGBTI-Aktivist, hat sich darüber Gedanken gemacht.

Marcel Dams ist HIV- und LGBTI-Aktivist - und "Der Teilzeitblogger". Für seinen Blog, in dem er über seine HIV-Infektion, schwul-lesbische Themen, andere gesellschaftspolitische Fragen wie Minderheitenrechte schreibt, hat er 2013 den Medienpreis der Deutschen AIDS-Stiftung und 2014 den “Smart Hero Award” von Facebook und der Stiftung Digitale Chancen gewonnen. Den folgenden Text veröffentlicht der Queerspiegel mit freundlicher Genehmigung des Autors.

Schon mal das Zitat “Stonewall was fitting in” gehört? Natürlich nicht. Korrekt ist nämlich “Stonewall was a riot”. Die Menschen in der Stonewall Bar haben einen Aufstand durchgeführt, statt sich zu fügen oder anzupassen. Auf diesen Aufstand in der Christopher Street gehen die heutigen CSDs zurück.

Manchmal kann es schon wundern, dass viele Leute die Worte “Christopher Street Day” ganz selbstverständlich nutzen, aber sich anscheinend nie damit beschäftigt haben, woher dieser Begriff kommt. Dann würde sich nämlich fast jegliche Diskussion darum erledigen, ob wir uns an diesen Tagen “zu schwul”, “zu anders” oder “zu schrill” geben.

Chris Fleischhauer, von Beruf Moderator und Lottofee, findet derzeitige CSDs kontraproduktiv. Er betont, dass die meisten Schwulen “ganz normal” – was aus seiner Sicht bedeutet, dass sie kaum von heterosexuellen Männern zu unterscheiden seien – sind. Herr Fleischhauer ist weder der erste, noch der einzige, welcher CSDs dafür kritisiert, wie sich LGBTI dort präsentieren. Die Debatte gab es schon immer und sie flammt in unterschiedlichen Abständen auch immer mal wieder auf.

Zuviele Tunten, zuviel nackte Haut?

Im Detail sieht die Kritik nicht jedes Mal gleich aus. Hier sind die Tunten Schuld, dort ist zu viel nackte Haut das Problem und manchmal wird einfach zu viel gefeiert. Halbnackte, angetrunkene Tunten, die zu Madonna kreischen und tanzen (oder beides gleichzeitig, die können das, sogar richtig gut), sind für manch einen wohl der Super-GAU.

Der Teilzeitblogger. Unter diesem Namen schreibt Marcel Dams über LGBT-Themen.
Der Teilzeitblogger. Unter diesem Namen schreibt Marcel Dams über LGBT-Themen.

© promo

Etwas Geschichte vorweg: In der Stonewall Bar waren es vor allem Tunten, Drag Queens und Transvestiten, die sich zur Wehr gesetzt haben. Damit wurde eine selbstbewusste und sichtbare Bewegung geschaffen. Es handelt sich also um nicht weniger als Geschichtsverdrehung, zu behaupten, dass diese uns das Leben schwer machen. Die heutigen CSDs würden ohne sie wohl kaum stattfinden. Im Grunde genommen würde es uns sogar schaden, wenn wir einen Teil “unserer” Vergangenheit wieder unsichtbar machen würden. Ich möchte, dass wir – im Alltag durch die Gesellschaft und juristisch vom Gesetzgeber – gleich behandelt werden, aber auch anders sein und bleiben dürfen. Jeder sollte das Recht haben, für sich den Lebensentwurf zu wählen und zu leben, der zu ihm passt und mit dem er oder sie am glücklichsten ist.

Bloß keine Akzeptanz durch Anpassung

Ob offene Partnerschaften oder sexuelle Selbstbestimmung. Ob Tunte, Lederkerl, Diva, unauffällig oder eine bunte Mischung aus alledem. Das Letzte was wir brauchen, ist Akzeptanz durch Anpassung. Denn Vielfalt ist unsere Stärke!

Richtig ist, dass vor allem die großen CSDs sehr kommerzialisiert erscheinen oder auch sind. Aber machen wir uns doch nichts vor. Irgendwie muss man sich finanzieren. Kritisieren kann man natürlich, dass Unternehmen oder politische Parteien für sich werben, die nichts für uns leisten oder sogar gegen uns agieren.Wer sich nicht für unsere Interessen einsetzt oder wessen Aktivitäten diesen sogar widersprechen, der hat schlichtweg nichts dort zu suchen. Ich bezweifle aber, dass man pauschal gesehen nicht gleichzeitig politisch und kommerziell sein kann. In Bezug auf den Kommerz dreht sich die Kritik auch darum, dass es vielen nur um eine große Party geht. Aber wieso sollten wir unsere oben genannte Vielfalt nicht feiern dürfen? Wie großartig ist es bitteschön, verglichen mit der Vergangenheit, dass zumindest ein Teil der LGBTI Menschen frei von bestimmten Sorgen ist.

Es ist doch toll, dass Menschen sie selbst sein können, ohne damit automatisch bedrohliche Gedanken zu verbinden. Denn für andere ist diese Art von Gedankengängen leider immer noch Alltag.

Ist der CSD überhaupt noch politisch?

Alltag ist für manche LGBTI auch, dass sie bereits einen “Happy Pride” hatten, wenn sie ihn nur überleben. Ist diese Party, die wir hierzulande feiern, also überhaupt politisch? Oder nur ein Saufgelage, bei dem gevögelt wird? Ich finde wir sollten feiern und – wer es möchte – auch saufen und ficken. Warum? Weil wir es können! Das ist in diesem Fall kein abgedroschener Satz, sondern tatsächlich eine Begründung. Alleine dass wir in einem Land leben, in dem die Polizei eine solche Demonstration begleitet, statt sie aufzulösen, ist keine Selbstverständlichkeit, sondern ein hart erkämpftes Gut.

Sichtbar sein ist wichtig

Party kann eben doch politisch sein. Genau dann, wenn Vielfalt, Liebe und das Leben gefeiert werden. Das war vor nicht allzu langer Zeit noch verboten. Wir sind sichtbar. Und Sichtbarkeit ist die Grundlage, auf die vieles aufbaut. Gleichberechtigung. Offenheit. Freiheit. Akzeptanz.

Eine Freundin aus Nigeria hat mir mal gesagt: “Ich möchte dass ihr feiert. Oft ist unsere einzige Hoffnung, davon zu träumen, wie es sein könnte. Das macht manchmal traurig. Aber es macht auch Mut. Feiert, weil ihr es dürft. Wir würden es auch tun. Irgendwann werden wir es tun. Vielleicht ja alle zusammen.”

Es ist wichtig, die Vergangenheit zu kennen und um die Umstände an anderen Orten zu wissen. Denn dann kommen wir vielleicht auch davon weg, dass einige Personen in gute und schlechte CSD-Teilnehmer oder Communitymitglieder unterscheiden und denen in die Karten spielen, die uns sowieso nicht wohl gesinnt sind.

Bleiben wir tuntig, provokativ - oder spießíg

Bleiben wir also sexy, tuntig, provokativ, spießig und/oder politisch. Seid, wer ihr seid. Denn dies bereichert uns alle. Man muss nicht gleich sein, um gut zu sein. In diesem Sinne wünsche ich allen viele tolle Erlebnisse‬. Trefft viele alte und neue Bekannte. Verführt und lässt euch verführen. Genießt die Sonne, die gute Laune, die Liebe und die Freundschaft. Aber vergesst bei alledem nicht die, die es nicht so leicht haben.

Dieser Text erscheint auf dem Queerspiegel, dem queeren Blog des Tagesspiegels, den Sie hier finden. Themenanregungen und Kritik gern im Kommentarbereich etwas weiter unten auf dieser Seite oder per Email an:queer@tagesspiegel.de. Twittern Sie mit unter dem Hashtag #Queerspiegel – zum Twitterfeed zum Queerspiegel geht es hier.

Marcel Dams

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false