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Ein Tässchen mit goldbrauner Crema. Im "Non Solo Vini" gönnt sich Tim Fischer gerne einen Espresso. Zum 30. Bühnenjubiläum tut ein bisschen Schubkraft gut. Am 17. Oktober startet er im Tipi seine Jubiläumstournee "Zeitlos".

© Doris Spiekermann-Klaas

Kiezspaziergang mit Tim Fischer: „Du läufst einmal im Kreis herum und bist glücklich“

Chansonnier Tim Fischer ist vor vier Monaten in den Kiez an der Wilmersdorfer Güntzelstraße gezogen. Nun will er gar nicht mehr weg.

Himmel, jetzt sind wir schon eine Stunde unterwegs und kaum vorangekommen. Ein Kiezbummel mit Tim Fischer, das ist nichts für Unruhegeister. Hier kennt er ein kleines, süßes Lädchen und dort ein herrliches Geschäft. Hier macht er ein Päuschen, dort quatscht er sich fest. Oder – „guck mal!“ Hoch oben, im vierten Stock eines gründerzeitlichen Hauses am Eck Güntzel/Holsteinische Straße, entdeckt er gerade einen mediterranen Blickfang. Am liebsten würde er gleich heute Abend, wenn die Sonne untergeht, auf diesem romantischen Balkon mit Palme und Geranien ein Gläschen Wein trinken.

Das also ist sein Güntzel-Kiez, tief im Berliner Westen, eng verbandelt mit den Wilmersdorfer Witwen im Musical „Linie 1“ des Grips-Theaters.

Tim Fischer ist zwar erst vor vier Monaten hierhergezogen. Er hat dieses Stückchen Berlin aber seither mit derselben Leidenschaft erkundet und sich darin wiedergefunden, wie er sich seit sage und schreibe 30 Jahren in jedes neue Chanson einfühlt. Vorausgesetzt, es entspricht seinem Lebensgefühl, es trifft seinen „persönlichen Kern“, wie er sagt.

Genauso verliebt ist der Chansonnier nun auch in seinen neuen Kiez. Andernfalls wäre es ihm wohl kaum gelungen, sich derart rasch dort so einzuleben. Schließlich passiert derzeit mal wieder alles auf einmal in Tim Fischers Leben.

Zum 30. Bühnenjubiläum ist gerade seine neue Doppel-CD „Zeitlos“ erschienen, ein Mix mit dreißig Liedern von gestern und heute. Darunter neue, für ihn geschriebenen Chansons, der Babylon Berlin-Hit „Zu Asche, zu Staub“ sowie etliche seiner Lieblingsstücke von Friedrich Hollaender und Hilde Knef, von Ludwig Hirsch, Ulrich Roski, Stephan Sulke, Sebastian Krämer oder Thomas Pigor. Und am heutigen 17. Oktober startet seine Jubiläumstournee im Tipi am Kanzleramt. Titel: „Zeitlos, Tim Fischer & Band“. Am Piano begleitet ihn, wie könnte es anders sein, Rainer Bielfeldt, seine feste musikalische Burg.

Nun aber hält er geradewegs aufs „Non Solo Vini“ zu. Es tröpfelt vom Himmel, egal, das vermasselt dem jungenhaft wirkenden Sechsundvierziger, der einem rasch das Du anbietet, nicht die Freude an den schönen Dingen des Lebens. Zumal er vor Jahren mal mit Chansons und Balladen den Regen besungen hat. Nun stoppt er vor der Tafel am Eingang des italienischen Feinkostladens und Restaurants an der Ecke Uhland-/Güntzelstraße. Burrata auf Tomatencarpaccio, Büffel-Mozarella, Parmigiana hat jemand schwungvoll draufgeschrieben.

Er schwärmt von Mamma Isa und Padrone Salvatore

Tim Fischer, graue Schiebermütze, Jeans, saloppes dunkelblaues Leinenjacket, hat jetzt eine gute Idee. „Erstmal Espresso?“ Dann schwärmt er beim Reingehen von Mamma Isa, der Patronin, die „Wahnsinnslaune“ verbreitet und strebt einem Tisch direkt vor dem Regal mit hunderten Flaschenweinen zu.

So viele Jahre wie Tim Fischer waren nur wenige Chansonniers erfolgreich auf der Bühne. Als Jugendlicher startete er seine Karriere, sang sich als Autodidakt nach oben. Mehr als 2300 Konzerte hat er seither gegeben und zwei Dutzend CD’s produziert. 2019 schaffte er bereits rund 80 Auftritte. Wie hält dieser eher sanft wirkende, unprätentiöse Typ das aus in einem solchen windigen Berufszweig?

Tim Fischer hat einen starken inneren Kompass. Chansons sind seine „Herzensangelegenheit“. Er sagt: „Jedes Chanson ist ein kleines Theaterstück. Du spielst den Menschen, über den Du singst und gibst auch ein Stückchen von Dir preis.“ Diesem anspruchsvollen Genre der Kleinkunst will er in den Zeiten von Comedy und Mainstream-Pop eine Zukunft geben.

Lädchen-Hopping im Schlaraffen-Kiez

Jetzt aber raus in den Kiez. Tschau Isa, tschau Patrone Salvatore. Er gibt sich alle Mühe, die verlockende Vitrine mit den mediterranen Köstlichkeiten links liegen zu lassen. Es gelingt nicht ganz. „Hach, diese wunderbaren italienischen Würstchen!“seufzt Fischer. Und kaum draußen, fallen ihm die „tollen Bouletten“ vom Schlachter Bachhuber ein, der Neuland-Fleischerei unter den Erkern des Gründerzeithauses, Güntzelstraße 47. „Großartig“ auch die knusprigen Brötchen vom BioBackhaus und der Tomme de Savoie vom „Formaggino Käse- Pastakultur“-Laden.

Grüne Freuden. Tim Fischer mag die kleinen Oasen.
Grüne Freuden. Tim Fischer mag die kleinen Oasen.

© Doris Spiekermann-Klaas

Ach ja, auch bei Ergül Ulu und dessen türkischen Leckereien schaut er gerne herein. Fehlt noch ein Fläschchen vom Weinhaus „Bruhn“. Lädchenhopping im Schlaraffen-Kiez zwischen Güntzel-, Nassauischer-und Holsteinischer Straße. „Du läufst einmal im Kreis herum und bist glücklich“, sagt er. Lacht und zündet sich ein Zigarettchen an.

Vegan leben war nicht so sein Ding

Moment mal. Nach seinem 40. Geburtstag hatte er eigentlich Tabula rasa gemacht und im Interview erklärt, Zigaretten und Alkohol seien für ihn fortan tabu, er wolltest sogar vegan leben. Stimmt. Zwei Jahre lang hat er’s ausprobiert. Aber vegan, das war kompliziert und bekam ihm gesundheitlich nicht. „Ich bin viel zu sehr Genussmensch", sagt Tim Fischer. Der Kiez macht’s ihm leicht. „Hier verlierst Du sowieso jede Art von schlechtem Gewissen."

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Nun lehnt er an einer Laterne und bringt die Fotografin zur Verzweiflung. Geht’s auch ein bisschen seriöser fürs Foto-Shooting? Nein, es geht nicht ohne Albernheiten, ohne Lachen, obwohl er sich doch auf der Bühne so chamäleonartig verwandeln kann. Wenn er Georg Kreislers Boshaftigkeit und Weltschmäh kultiviert oder bubenhaft-frech moderiert. Wenn er die Befindlichkeit der Menschen bis zur Schmerzgrenze aufs Korn nimmt und die Balance hält zwischen skurril und berührend, kokett und samtig, komisch und schrullig. Wenn er „Komm, großer schwarzer Vogel“ todtraurig singt oder mit diebischer Freude „Maulende Rentner“ karikiert.

Aber in diesem Augenblick freut sich Tim Fischer unbändig über sein neues Zuhause. Hier will er bleiben.

Das wilde Leben lässt er jetzt hinter sich

Und das wilde Leben? „Das lasse ich hier endgültig hinter mir.“ Mal langsam. Hat er nicht vor ein paar Jahren verkündet,er wolle eine ganze Weile aus dem Koffer leben, weil er von allem Überflüssigen die Schnauze voll hatte. Stimmt, murmelt Fischer und hält inne. Nun ja, er sei eben reifer geworden – als Mensch und Chansonnier.

Immerhin ist er seit 2008 mit seinem kubanischen Mann Rolando Jiménez Domìnguez „glücklich verheiratet“. Zusammen sind sie in den Güntzel-Kiez gezogen. „Der ist ruhig, ohne Hysterie“, sagt Fischer.

"Auf diesen schönen Kiez müssen wir Acht geben"

Er spricht aus Erfahrung. Mit 18 Jahren kam er ins gerade wiedervereinigte Berlin, wohnte mal am Adenauer Platz in Charlottenburg, mal in Prenzlauer Berg, mal in Mitte, zuletzt in Schöneberg. Dort, am Innsbrucker Platz, nervte ihn der laute Verkehr, das Schlafzimmer lag nach vorn. Am Weinbergsweg in Mitte raubten ihm „lärmende Nachtschwärmer den Schlaf“.

Außerdem erlebte er, wie Berlins Mitte immer teurer wurde, wie all das verschwand, was er nun in Wilmersdorf wieder gefunden hat: die Lädchen, die gute Nachbarschaft. Das will er im Güntzel-Kiez bewahren. „Der ist so schön, so überschaubar. Wir müssen auf ihn Acht geben!“

Am Nikolsburger Platz spielt "Emil und die Detektive"

Offiziell liegt der Güntzel-Kiez südlich des Hohenzollerndamms zwischen Brandenburgischer Straße, Bundesallee und Berliner Straße. „Nette Lädchen, schöne Cafés“ wirb das Touristenportal „visit berlin“ für die Gegend. Den idyllischen Gänselieselbrunnen auf dem Nikolsburger Platz, Schauplatz von Erich Kästners „Emil und die Detektive“ hat Fischer längst entdeckt. Rundherum wohnten einst George Grosz und Vladimir Nabokov. Herbstwind fegt Blätter über die Wiesen, über verblühte Rabatten. Der Platz ist Fischers grüne Lunge Nummer eins. Die Zweite ist der Volkspark Wilmersdorf. Dort schwärmt er unter kahlen Buchen vom vergangenen Sommer. Als er nach stundenlangen Proben im aufgeheizten Citystudio ins Grüne eintauchte. „Toll, da spürst Du, wie die Bäume Sauerstoff abgeben.“

Die Schweiz in der Güntzelstraße - Tim Fischer ist begeistert.
Die Schweiz in der Güntzelstraße - Tim Fischer ist begeistert.

© Doris Spiekermann-Klaas TSP

Zum Abschied ein Gläschen Rosé im „Non Solo Vini“? Okay, aber drei seiner Lieblingsadressen will er auf dem Rückweg noch vorstellen. Zuallererst die Schweiz in Wilmersdorf. Mehr Schweiz auf 43 Quadratmetern geht nicht. Was Gourmets in Helvetia schätzen, füllt die Regale und Kühlschränke des „Chuchichäschtli“, übersetzt: kleiner Küchenschrank von Chris und Matthias an der Holsteinischen Straße 19. Draußen weht die rot-weiße Fahne. „Grüezi!“, Tim Fischer dreht sich begeistert zwischen Basler Läckerlies, Enzian-Fläschchen, Schokoträumen und Berner Fleisch. Man kennt sich, der Sänger greift zum Bergkäse-Fondue. „Rein ins Säckli“, ruft Chris und Tim ist mal wieder hin und weg. „Diese freundliche Sprache.“

"Ich habe Respekt vor der Jugend. Sie macht mir Mut"

Auch um die Ecke, im Blumenladen „Eliza“ – Motto: Es grünt so grün – kennen ihn schon viele. Eine Kundin stürmt raus. „Hallo Tim!“, Umarmung. Die Bedienung fragt: „Soll ich die Chefin holen?“. Nein. Er will nur kurz seine Favoriten hinter der großen Schaufensterscheibe zeigen. Dottergelbe Sonnenblumen.

Jetzt noch ein wenig geistige Nahrung, am besten in der Kiez-Buchhandlung, Güntzelstraße 45. Er bestellt einen Tucholsky-Gedichtband und outet sich als Optimist. „Toll, dass es diese Greta gibt“. Über deren Fridays for Future-Bewegung liegen Bücher an der Kasse. „Früher hatte man Respekt vor dem Alter“, sagt Fischer. Das drehe sich aktuell. „Ich hab’ Respekt vor der Jugend. Die macht mir Mut.“

Beim Rosé noch eine letzte Frage, Tim. Dreißig Jahre Chansonnier, kommt nun Langeweile auf? Nein, ganz und gar nicht. „Ist doch ein herrlicher Beruf. Egal wie alt du bist“. Na denn. Prost aufs 40. Bühnenjubiläum.

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