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Eine Demonstration für trans Rechte.

© Imago/NurPhoto

Kampf um queere Rechte: Lesben und Schwule, seid solidarischer mit trans Menschen!

Wegschauen gilt nicht, auch nicht für Lesben und Schwule. Sie sollten für trans Menschen einstehen: Solidarität ist der Schlüssel zur Freiheit. Ein Gastbeitrag.

Alfonso Pantisano ist politisch vielgfältig engagiert, er arbeitete für das Integrationsprojekt DeutschPlus, war Mitgründer von Deutschlands größter LGBTTIQ-Initiative „Enough is Enough“. Heute ist er Landesvorsitzender der SPDqueer Berlin und Bundesvorstand des Lesben- und Schwulenverband Deutschlands (LSVD).

Wir können die Welt verändern! Wenn dieser Satz keine Gültigkeit hätte, wäre heute vieles nicht möglich, was wir mittlerweile als Selbstverständlichkeit begreifen. All diese mächtigen Errungenschaften wie Demokratie und Menschenrechte wären vielerorts nicht möglich, wenn andere nicht daran geglaubt hätten, dass sie etwas verändern, etwas bewegen, etwas verbessern könnten.

Wenn wir in die Geschichtsbücher der queeren Bewegung blättern, finden wir viele Beispiele, die belegen, dass wir die Welt verändern können. Und auch verändern müssen. Für uns. Für die, die ihre Stimmen nicht erheben dürfen. Für die, die nach uns kommen.

In 70 Ländern werden queere Menschen verfolgt

Denn noch ist vieles eine Katastrophe, oder wie soll man das sonst bezeichnen? In fast 70 Ländern der Welt werden heute Schwule, Lesben und Bisexuelle, sowie trans*, intergeschlechtliche und non-binäre Menschen immer noch staatlich verfolgt, drangsaliert, angegriffen und eingesperrt und manchmal sogar ermordet.

Und zur Wahrheit gehört dazu: In ungefähr zehn dieser Länder droht uns, droht unseren Communities die Todesstrafe – nur weil Menschen wie wir, dort in Freiheit ihr Begehren, ihre Liebe, ihr Leben leben wollen.

Diese Liste der Unmenschlichkeit ist seit vielen Jahren bekannt, doch sie scheint niemanden so wirklich zu interessieren – oder, wie kommt es, dass Katar, eines dieser Länder, in denen Arbeiter nicht frei sind, sondern wie Sklaven behandelt und ihrer Rechte beraubt werden, wie kommt es, dass Katar, eines dieser Länder, in denen Frauen keine Rechte haben, wie kommt es, dass Katar, eines dieser Länder in denen Homosexuelle und queere Menschen um ihr Leben fürchten müssen, weil ihnen dort die Todesstrafe droht, ja, wie kommt es, dass Katar in ein paar Monaten die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft ausrichten darf?

Queere Communities werden selbstzufriedener

Es ist, wie immer. Es scheint, als hätte die Welt nichts verstanden und auch nicht dazugelernt. Und es scheint auch, so viel Selbstkritik sollten wir uns eingestehen, als hätten unsere Selbstverständlichkeiten die queeren Communities stiller, zufriedener, egoistischer werden lassen. Doch was bringen uns all unsere Errungenschaften, solange nicht jeder Mensch in Frieden, in Liebe, in Sicherheit und Freiheit das eigene Leben leben kann? Nichts!

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Und während ich den menschlichen Reflex gut nachvollziehen kann, dass man lieber anderen sagt, was sie besser machen sollten, statt bei sich selbst anzufangen, kommen wir nicht drumherum, uns auch bei uns in Deutschland weiter für echte Gleichberechtigung einzusetzen. Denn da sind wir noch lange nicht. Fünf Jahre nach der Öffnung der Ehe sollte unsere Trunkenheit der Freude langsam verflogen sein und uns wieder klarer sehen lassen.

Die Würde des Menschen ist unantastbar – das ist der Leitsatz unserer Demokratie.

Der Autor: Alfonso Pantisano.
Der Autor: Alfonso Pantisano.

© Fionn Grosse

Wir sind stolz auf diesen Wertekompass, doch wir haben keinen Grund dazu es zu sein. Jedenfalls so lange nicht, bis queere Menschen, die ein Recht haben sollten als solche auch sichtbar zu sein, bei uns frei und in Sicherheit leben können. Denn Sichtbarkeit bedeutet für uns, für uns nicht-binäre, trans* und intergeschlechtliche Menschen, für uns Bisexuelle, Lesben und Schwulen auch immer Diskriminierung und Gewalt.

Viele Übergriffe

Allein im letzten Coronajahr gab es bundesweit über 1.000 gemeldete Übergriffe auf uns. Das macht statistisch jeden Tag drei Angriffe irgendwo in unserem Land. Dreimal am Tag werden die Freund*innen, Nachbar*innen, Kolleg*innen, Partner*innen, Eltern und Kinder von irgendjemanden beleidigt, angespuckt, geschlagen und verletzt. Viele von uns werden dabei krankenhausreif geschlagen, ohne hier die seelischen Wunden aufzählen zu wollen. Dafür würde nämlich der Platz in diesem Text nicht reichen.

Das Dunkelfeld liegt bei fast Prozent, weil die meisten Polizeien der Bundesländer Angriffe auf uns noch nicht als das erfassen, was sie eigentlich sind: Hasskriminalität gegen queere Menschen. Das soll sich ändern. Irgendwann. So viel zum Thema Würde.

Trans* Menschen dürfen noch immer kein würdevolles Leben führen

Wir sagen Artikel 1 des Grundgesetzes wie ein Mantra immer wieder auf, doch welche Bedeutung hat es, wenn trans* Menschen bei uns immer noch nicht ein würdevolles, selbstbestimmtes Leben leben dürfen? 

Die gute Nachricht ist: Die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FPD wird dieses unsägliche, menschenverachtende Transsexuellengesetz mit einem würdevollen Selbstbestimmungsrecht ersetzen. Das steht fest! Und ganz grundsätzlich: Unser Grundgesetz, geleitet von seinem 1. Artikel, ist es den trans* Menschen in unserem Land schuldig.

Doch wir müssen ehrlich zu uns sein – gerade wir, gerade wir Lesben und Schwulen: In jedem unserer Kämpfe für Gleichberechtigung standen trans* Männer und trans* Frauen immer an unserer Seite.

Trans* Communities brauchen uns mehr denn je

Ob es damals in New York in der Christopher Street war, vor der kleinen Bar Stonewall, als gerade unter Beteiligung der schwarzen trans* Frauen die Aufstände gegen die Polizeigewalt stattfanden – oder bei der Bekämpfung des Paragrafen 175 hier bei uns in der Bundesrepublik, oder bei der Bewältigung der AIDS-Krise, als gefühlt jeder auf Abstand zu uns ging, oder bei der Einführung eines Lebenspartnerschaftsgesetzes, oder ob es eben zuletzt bei der Öffnung der Ehe war – wir konnten uns immer auf unsere trans* Community verlassen. Immer! Und jetzt brauchen sie uns! Sie brauchen uns jetzt mehr denn je!

Doch anstatt sie zu unterstützen, an ihrer Seite zu stehen, anstatt uns solidarisch und beschützend vor und hinter sie zu stellen, gibt es immer wieder Schwulen und Lesben, die sich entscheiden wegzuschauen oder sich sogar gegen trans* Menschen stellen. Das ist unserer queeren Geschichte unwürdig.

Ein Schlüssel der Freiheit

Für andere einzustehen, ist das politischste, was man tun kann. Zu anderen zu stehen, ist der Schlüssel zur Freiheit.

Der Kampf gegen diese Freiheit, gegen ein selbstbestimmtes Leben ist im vollen Gange – radikale Konservative, radikale Klerikale und radikale nationalistische Kräfte verabscheuen Veränderung, sie verabscheuen Vielfalt und Gleichberechtigung. Sie verabscheuen queeres Leben. Wir sollten uns daher gut überlegen, wo wir herkommen und wo wir hinwollen – und vor allem, auf welcher Seite wir stehen wollen.

Die Ehe für Alle mag viele von uns an ihr Ziel geführt haben, doch es gibt keine Freiheit, keine Gleichstellung, keine Selbstbestimmung, wenn sie nicht für alle gilt. Gerade in den letzten Jahren sind wir Menschen nicht dafür bekannt gewesen, eine hohe Aufmerksamkeitsspanne für Themen gehabt zu haben.

Wir müssen da dringend wieder besser werden, denn wir alle gemeinsam brauchen bei diesen Themen einen langen Atem. Doch es lohnt sich, denn wir können damit die Welt verändern. Für die, die nach uns kommen. Für die, die ihre Stimmen nicht erheben dürfen. Für die Freiheit.

Alfonso Pantisano

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