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Jamila Woods im Frannz Club in Berlin.

© Martin Müller/Imago

Jamila Woods live in Berlin: Das außerirdische Gefühl

Mit einem famosen Funk-Soul-Konzert stellte Jamila Woods ihr Album „Legacy! Legacy!”. In ihrer Musik steckt afroamerikanische Selbstermächtigung.

Von Andreas Busche

Einer der prägendsten Sätze der Ära Barack Obamas stammt nicht vom amerikanischen Präsidenten, sondern von der First Lady: „When they go low, we go high.” Michelle Obamas Replik auf die politische Kultur der Diskriminierung und des Hasses, mit der der damalige Präsidentschaftskandidat Donald Trump seinen Wahlkampf garnierte, ist längst als geflügeltes Wort in den amerikanischen Sprachgebrauch eingegangen.

Wenn sich die Gegner in ihrem Niveau unterbieten, müssen wir nach Höherem streben. Im Alltag vieler Afroamerikaner ist dieses politische Mantra allerdings eine traurige Selbstverständlichkeit, als Schwarzer steht man in Amerika unter besonderer Beobachtung. Immer muss der Auftritt würdig, konziliant, zivilisiert sein, um sich einen Platz in der Gesellschaft zu verdienen, egal wie schmutzig die Tricks der Kontrahenten sind. Der Satz hat auch Barack Obamas Biografie geprägt.

„They wanna see me angry”, singt Jamila Woods in dem Stück „Basquiat” von ihrem zweiten Album „Legacy! Legacy!” (Jagjaguwar). Es fällt schwer, die Contenance zu bewahren. „Ich lächle in Dein Gesicht, aber innerlich bin ich am Kochen.” Bist Du wütend? „Yes, I am fucking mad!”, antwortet Woods am Mittwochabend auf der Bühne des Frannz Clubs mit einem entwaffnenden Lächeln.

Wie die Obamas ist die 29-Jährige auf der South Side von Chicago aufgewachsen, in der überwiegend Afroamerikaner leben. Und wie das „First Couple” wuchs sie – anders als viele Schwarze in Amerika – privilegiert auf. Das Stigma jedoch blieb. Das Klischee der „wütenden schwarzen Frau” etwa. Oder das Gefühl, sich manchmal wie eine Außerirdische zu fühlen, erzählt sie in Berlin. Darum hat sie auch dem kosmischen Jazzer und großen Saturn-Reisenden Sun Ra, noch so ein Chicago-Original, einen Song gewidmet.

Lange Ahnenreihe  

Die Stücke auf „Legacy! Legacy!” tragen Titel wie „Miles”, „Muddy”, „Octavia”, „Giovanni” und eben „Sun Ra”. Einen Song namens „Obama” sucht man allerdings vergeblich, obwohl seine legacy, sein Vermächtnis, für Jamila Woods vermutlich prägender ist als alle Werke von Miles Davis, Muddy Waters oder der afrofuturistischen Schriftstellerin Octavia Butler zusammen.

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Obama hatte erstmals Hip-Hop-Künstler ins Weiße Haus eingeladen, ihren Freund Chance the Rapper zum Beispiel, mit dem Jamila Woods auch schon gearbeitet hat. Doch das alles fühlt sich jetzt schon wieder wie aus einer fernen Vergangenheit an.

Geschmeidige Eleganz

Gut, dass die Popmusik ein eigenes historisches Bewusstsein formiert, aus dem eine junge Künstlerin schöpfen kann. „Legacy” Legacy” knüpft an eine Vielzahl afroamerikanischer Biografien an, aus denen Jamila Woods ihre sehr persönlich gefärbte Selbstbestimmung als schwarze Frau destilliert.

Solche pädagogischen Geschichtslektionen haben der amerikanischen Popmusik in den vergangenen Jahren eine Menge großartiger Alben beschert, von Kendrick Lamar über die Knowles-Schwestern Beyoncé und Solange bis hin zu Kamasi Washington und besagtem Chance the Rapper. Aber Woods, die an der South Side tatsächlich Schreibworkshops für Jugendliche organisiert hat, ist vor allem eine begnadete Songwriterin und Performerin, die sich mit geschmeidiger Eleganz über die Bühne bewegt.

Keine Spur von Wut

Die zaghaften Hip-Hop-Anklänge ihres Debüts sind auf dem zweiten Album einem klassischem Soul-Bewusstsein gewichen. Dazu spielt ihre Band einen kraftvollen, leicht verspulten Funkrock, der an die Fusion-Phase von Miles Davis in den Siebzigern erinnert - die Keyboarderin wiederum hätte auch George Clintons psychedelischem Mothership entsprungen sein können.

Von Wut ist an diesem Abend nichts zu spüren. Dass Jamila Woods ihre Locken inzwischen kurzgeschoren trägt, wie die Wakanda-Kriegerinnen in „Black Panther”, darf man aber durchaus als Kampfansage verstehen. „I am not your typical girl”, singt sie in „Betty”, ihrer Hommage an die exzessive Soulsängerin Betty Davis, die immer im Schatten ihres Mannes Miles Davis stand. Und wieder strahlt sie dabei, als könne sie kein Wässerchen trüben.

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