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Gay Pride in Istanbul 2018 - trotz Verbots gingen Tausende auf die Straße.

© Emrah Gurel/AP/dpa

Istanbul Pride: Sexuelle Minderheiten - ideale Sündenböcke in der Türkei

CSDs sind in der Türkei verboten, Minderheiten ideale Sündenböcke. Trotzdem demonstrieren Tausende - die Bundesregierung muss das unterstützen. Ein Gastbeitrag.

Im März betrat ich einen unscheinbaren Wohnblock in Diyarbakir nahe der Türkisch-Syrischen Grenze. Unser Mittelsmann hatte ein Treffen mit einer kurdischen Organisation für die Rechte von sexuellen Minderheiten ausgemacht. Aus Angst vor Staat und Gesellschaft besitzen sie kein Büro und erst Recht kein Klingelschild. Mir war etwas mulmig zu Mute, als er uns zu den acht LGBT-Aktivist*innen ins Hinterzimmer führte. „Wie es ihnen geht?“, fragte ich. „Uns sieht hier fast keiner als Menschen“, antwortete einer.

Die Lage für sexuelle Minderheiten in der Türkei ist dramatisch. Die unaufgeklärten Morde wie an der Transsexuellen Hande Kader, die Gewalt durch islamistische Schlägertrupps auf den Straßen und der fehlende Schutz durch die Polizei führen zu existenziellen Problemen. Jede deutsche Debatte über Unisextoiletten und queere Jugendzentren scheint auf einem so hohen Niveau, wenn man spürt, wie sehr schwul, lesbisch, bisexuell oder trans* sein das Überleben in der Türkei  direkt bedroht. Und weit weg von den europäisch geprägten Großstädten ist die Lage noch dramatischer.

Sexuelle Minderheiten sind der ideale Sündenbock der türkischen Gesellschaft. Sie haben keine Lobby in der Öffentlichkeit und sie sind ein Angriff auf beide großen gesellschaftlichen Lager. Dem islamistischen Familienbild passen sie nicht, weil ihr Leben vermeintlich die Fortpflanzung der islamischen Gemeinschaft gefährdet. Und das nationalistisch-säkulare Lage sieht in ihrem Leben einen Angriff auf die Fortpflanzung der Türken.

Seit 2015 sind CSDs in Istanbul immer verboten worden

Kein Wunder also, dass Erdoğan  seit der verlorenen Parlamentswahl 2015 die Repressionen gegen sie verstärkt hat, um seine Mehrheit zu sichern. Seit 2015 sind die CSDs in Istanbul immer durch seine Gouverneure verboten worden und der Protest war brutaler Polizeigewalt ausgesetzt. Die regimetreuen Medien versuchen währenddessen Oppositionspolitiker wahlweise als „Schwuchteln“ oder „Freuende von Transen“ darzustellen.

Doch in der progressiven Opposition führt das nicht zum kämpferischen Einsatz für die Rechte von sexuellen Minderheiten: Die Partei des neuen Bürgermeisters von Istanbul, CHP, hat die einzige offen homosexuelle Politikerin der Türkei geopfert, um eine konservative Kampagne zur Bürgermeisterwahl zu  fahren: Sedef Çakmak saß für die CHP im letzten Stadtrat von Istanbul - als offen lesbische Frau. Sie kämpfte gegen die Wohnungs- und Arbeitslosigkeit von LGBT, gegen die gesellschaftliche Stigmatisierung, organisierte mit dem schon länger abgesetzten Bezirksbürgermeister von Beşiktaş  den ersten städtischen Regenbogenempfang im Jahr 2015, doch „da waren diesmal wohl andere Prioritäten“, sagte mir die abgesägte Politikerin, als ich sie sichtlich geschafft einen Tag nach der Kommunalwahl in einem Café über dem Istanbuler Goethe-Institut traf.

Die einzige LGBT-freundliche Partei kommt öffentlich kaum vor

Und während die Regierung auf LGBT einprügelt als wären sie keine Menschen, sich die größte Oppositionspartei wegduckt, kommt die einzige LGBT-freundliche Partei der Türkei, die HDP, in der Öffentlichkeit kaum vor und wo sie vorkommt, thematisiert sie nicht deren Anliegen.

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Wenn in diesen Wochen die größten deutschen CSDs in Berlin, München und Köln starten, soll auch der größte CSD in der Türkei stattfinden. Die Demonstration ist für Sonntag geplant und wieder verboten. Beim diesjährigen CSD in Izmir wurden 23 Menschen festgenommen, die immer noch in Haft sind. Und es ist zu erwarten, dass auch Istanbul brutal zusammengeschlagen wird, wieder Menschen weggesperrt und entrechtet werden. Dem Regenbogen-Posterboy der Bundesregierung, Außenminister Heiko Maas, täte es nicht schlecht auch für ihre Rechte in Izmir, Istanbul und Ankara einzutreten, das Engagement der Deutschen Auslandsvertretungen zu verstärken und hinzuschauen. Wahrscheinlich belässt er es - aber wie jedes Jahr - bei ein paar Selfies auf dem CSD in Saarbrücken. Eine menschenrechtsorientierte Außenpolitik muss auch endlich die Menschenrechte von Schwulen, Lesben, Bisexuellen, Transsexuellen bei Deutschlands engsten Handelspartnern ansprechen - sonst ist sie ihren Namen nicht wert.

- Der Autor ist seit Oktober 2017 Sprecher der Grünen Jugend, der Jugendorganisation der Grünen.

Max Lucks

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