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Proteste der Warschauer LGBT-Community im August.

© AFP/Wojtek Radwanski

Homophobie in Polen: „Queere Menschen werden auf offener Straße attackiert“

Mehr Angst, mehr Suizide, mehr Übergriffe: Die Situation der LGBT-Community in Polen verschärft sich. Ulle Schauws und Sven Lehmann von den Grünen waren dort.

Frau Schauws, Herr Lehmann. Sie sind Ende September für drei Tage nach Polen gereist. Was war der Anlass ihrer Reise?
Ulle Schauws: In den vergangenen Monaten ist die Situation für viele queere Menschen in Polen immer schwieriger geworden, auch mit dem Ausrufen der sogenannten LGBT-Ideologie-freien Zonen. Wir wollten als Abgeordnete jetzt endlich direkt vor Ort Gespräche führen aus einem Verständnis der Freundschaft zu diesem Land heraus. Sowohl mit den Aktivist*innen und Betroffenen als auch mit denen, die den politischen Kurs befürworten.

Was waren die Stationen?
Lehmann: Uns war sehr wichtig, dass wir nicht als Deutsche mit erhobenem Zeigefinger kommen. Auch in Deutschland gab und gibt es schließlich viel Diskriminierung. Wir wollten als Europäer*innen kommen, deswegen haben wir die Reise mit einem Besuch in Auschwitz gestartet. Dort haben wir allen Opfern des Holocaust gedacht, auch der homosexuellen. Wir haben dann den Stadtpräsidenten und den Gleichstellungsrat von Krakau getroffen, mit Aktivist*innen und dem Generalkonsul gesprochen. Wir wollten uns auch mit Jan Duda treffen, dem Präsidenten des Regionalparlaments von Klein-Polen, einer konservativen Region um Krakau herum. Er hat uns leider am Tag unserer Anreise abgesagt.

Mit welcher Begründung?
Lehmann: In einem offiziellen Schreiben wurde uns versichert, dass es keine Diskriminierung gegenüber LSBTIQ gäbe. Da gibt es offenbar aber keine Dialogbereitschaft. In einer Freundschaft kann es immer mal knirschen. Aber das Fundament ist, dass man im Gespräch bleibt. Das war von Duda scheinbar nicht gewollt. So abgespeist zu werden ist sehr bedauerlich. Dass es keine Diskriminierung gibt widerspricht nämlich allem, was uns die Menschen, die dort leben, erzählt haben.

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Ulle Schwaus, Sprecherin der Grünen für Frauen- und Queerpolitik.
Ulle Schwaus, Sprecherin der Grünen für Frauen- und Queerpolitik.

© Grüne Bundestagsfraktion/ St Kaminski

Wie sieht die Situation vor Ort aus Sicht der queeren Menschen aus?
Schauws: Krakau ist eine sehr offene Stadt. Trotzdem haben uns Aktivist*innen auch dort berichtet, dass viele Angst haben. Es gibt Übergriffe und Anfeindungen. Für viele queere Menschen wird es immer schwieriger, dort offen zu leben. Gerade jüngere Menschen leiden besonders darunter, weil sie nicht die Option haben, ihr Dorf oder ihre Stadt zu verlassen. Die Suizide nehmen zu, die Angst nimmt zu, die Hasskriminalität nimmt zu. Das wurde uns deutlich gesagt.

Warum hat sich die Lage derartig verschärft?
Lehmann: Es gibt ein unheilvolles Bündnis zwischen Teilen der katholischen Kirche und der regierenden PiS-Partei. Katholische Bischöfe sprechen im Zusammenhang mit Homosexualität von einer Seuche. Da wird ein gesellschaftliches Klima geschaffen, das zu Angst, Ausgrenzung und körperlichen Übergriffen führt, aber auch zu einem Staat, der bestimmte Menschen nicht schützt. Etwa, wenn queere Menschen auf offener Straße attackiert werden oder die Suizid-Rate steigt. Wer in Polen eine Pride-Parade organisieren will, muss mit behördlichen Schikanen rechnen. Übergriffe und Schikanen werden durch das offizielle Ausrufen von LGBT-Ideologie-freien Zonen staatlich legitimiert.

Schauws: Der Generalkonsul hat uns erzählt, mit welcher Geschwindigkeit sich die Gesellschaft in den letzten Jahren verändert hat. Es gibt große Unterschiede etwa zwischen dem ländlichen Raum und den Städten. Die Kirche hat einen extrem starken Einfluss, das kennen wir kaum in einem anderen europäischen Land. Für eine „normale“, heteronormative Familie ist kaum möglich, Distanz zu den Botschaften von PiS-Partei und Kirche zu finden.

Sven Lehmann, Sprecher der Grünen für Queer- und Sozialpolitik.
Sven Lehmann, Sprecher der Grünen für Queer- und Sozialpolitik.

© Cornelis Gollhardt

Warum steht die LGBT-Community derart im Fokus der PiS-Partei?
Schauws: Die PiS ist eine sehr konservative Partei, die den Fokus auf Sozialpolitik legt. Sie versucht, mit einem sehr traditionellen Bild der Familie zu punkten. Ähnliches sehen wir auch in Ungarn oder Russland. In Deutschland propagiert die AfD dieses Familienbild. Das Profil der PiS ist es, zu sagen, dass sie „Familie“ schützt – und meint nur „Vater, Mutter, Kind(er). Regenbogenfamilien und LGBTIQ gehören nicht dazu. Sie werden verunglimpft als „Ideologie“.

Lehmann: Die PiS macht in Polen eine Politik, die in Teilen der der AfD ähnelt, mit der die aber in Deutschland zum Glück nicht an die Regierung kommt. In vielen Gesellschaften werden sogenannte Verlierer von Modernisierungsprozessen gegen Minderheiten aufgestellt. Sei es gegen Geflüchtete oder eben gegen die LSBTIQ. Die PiS-Partei hat das perfektioniert. In Deutschland wäre es glaube ich heutzutage undenkbar, dass ein Bischof ungestraft von Homosexualität als Seuche spricht. Da würden Massen aus der Kirche austreten.

Was sind Erwartungen der queeren Aktivist*innen an Deutschland und Europa?
Schauws: Sie erwarten, dass wir sie im Blick haben. Europa muss klar und unmissverständlich Kante zeigen gegen die polnische Politik. In einer Europäischen Union sollten Rechte wie Freiheit und Gleichheit für alle Europäer*innen gelten. Auch wir als Nachbarland müssen handeln. Die EU-Ratspräsidentschaft gibt uns dazu die Möglichkeit. Die Aktivist*innen haben den Wunsch und die große Hoffnung, dass wir uns kümmern. Sie benötigen Solidarität.

Protestes der LGBT-Community gegen Andrzej Duda im Juni.
Protestes der LGBT-Community gegen Andrzej Duda im Juni.

© REUTERS/Jakub Orzechowski/Agencja Gazeta

Welche konkreten Maßnahmen fordern Sie?
Lehmann: Die EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat in ihrer Rede zur Lage der EU deutliche Worte gefunden und die LGBT-freien Zonen verurteilt. Die Frage ist, was jetzt daraus folgt. Finanzielle Sanktionen sind denkbar. Polen hat stark profitiert von Europa. Sollten Mittel der EU nicht nur an die Regionen gehen, die europäische Rechte achten? Auch die Städtepartnerschaften sind ein Druckmittel, einige wurden ja bereits aufgekündigt. Aus Paderborn fährt demnächst eine Delegation auch mit Vertreter*innen des „Pader-Pride“ in die Partnerstadt nach Südpolen, um dort die Vielfalt der Stadt sichtbar zu machen. Solche kleinen Signale sind wichtig. Vor allem aber müssen Angela Merkel und Heiko Maas endlich ihr Schweigen beenden.

Treffen finanzielle Sanktionen nicht die Falschen?
Lehmann: Am wichtigsten ist natürlich, dass die Menschen vor Ort sich gegen diese Diskriminierung wehren. Das tun sie ja auch. Wir haben viel Entschlossenheit und auch Wut erlebt. Wir können das durch Besuche stärken und ein Bewusstsein in ganz Europa schaffen. Öffentlichkeit ist wichtig, Europa darf nicht wegschauen. Maßnahmen wie kürzlich der Appell von 50 Botschafter*innen wirken richtig gut. Die Aktivist*innen fühlen sich dadurch erstarkt, weiter zu kämpfen. 

Schauws: Durch von der Leyens Rede und den Appell der Botschafter*innen ist das Thema im Gespräch. Das ist auch ein Machtkampf. Kaczyński und andere Politiker wollen keine Einmischung der EU und Deutschland in ihre Politik. Aber natürlich spielt es eine Rolle, ob sie Geld aus Europa kriegen. Wenn das nicht passiert, dann tut es weh.

Was nehmen Sie persönlich aus Polen mit?
Schauws: Für uns war die Reise sehr wertvoll und emotional. Wir können viele Dinge nur erfahren und erleben, wenn wir vor Ort sind. Die Aktivist*innen vor Ort gehen jeden Tag ihrer Arbeit nach und stellen trotzdem so viel auf die Beine, um zum Beispiel einen Pride möglich zu machen. Sie wissen, wie wichtig sie als Anlaufstellen für Jugendliche sind. Das alles zu bewältigen, in dieser feindlichen Atmosphäre, ist sehr beeindruckend. Solidarität besteht nicht nur theoretisch. Wenn man sich persönlich trifft, ist das etwas anderes.

Lehmann: Man kann queere Politik nur international machen. Menschenrechte sind rein national gar nicht denkbar. Das ist durch die Reise noch einmal deutlich geworden.

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