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Ayfer Schultz macht Projektkoordination im MILES-Projekt des LSVD.

© Evin Sari

Hilfe für queere Geflüchtete in Berlin: „Es melden sich auch Queers, die ursprünglich in die Ukraine geflüchtet sind“

Das MILES-Projekt des Lesben- und Schwulenverbandes kümmert sich um LSBTIQ*-Menschen mit Migrationsgeschichte. Ein Gespräch mit Ayfer Schultz von der Projektkoordination.

Welche Unterstützung bietet Ihr Projekt derzeit für queere Geflüchtete aus der Ukraine an?
Wir bieten Beratung im Asyl- und Aufenthaltsrecht durch Fachanwält*innen an sowie eine kostenlose und auf Wunsch anonyme psychosoziale Beratung. Bisher haben wir aber noch nicht viele Anfragen bekommen.

Und bei denen, die wir bekommen haben, ging es in erster Linie um Unterkunftsmöglichkeiten. Die werden immer noch dringend gesucht! Wir arbeiten zudem viel mit anderen Organisationen zusammen, z.B. mit Quarteera oder der Schwulenberatung. 

Helfen dabei Erfahrungen, die Sie seit 2015 gemacht habt? 
Natürlich. Diese Zeit hat uns sehr geprägt und wir haben viel gelernt. MILES wurde vor 23 Jahren innerhalb des Lesben- und Schwulenverbands Berlin-Brandenburg gegründet, mit dem Ziel, queere Migrant*innen, also Lesben und Schwule mit Migrationsgeschichte zu unterstützen. Erst 2015 hat sich die Zielgruppe von Menschen mit Migrationshintergrund auf Geflüchtete erweitert. Und natürlich sind wir heute nicht nur für Schwule und Lesben da, sondern für alle LSBTIQ*.

Und mit welchen Problemen kommen LSBTIQ*-Geflüchtete seitdem zu MILES? 
Zum Beispiel wenn sie Probleme in ihrer Unterkunft haben. Das Leben in den Unterkünften ist für alle schwierig, insbesondere aber für queere Geflüchtete: Beleidigungen, Belästigungen oder sogar körperliche Gewalt sind keine Seltenheit.

Eigentlich gilt in Berlin die Regel, dass queere Personen in einem Einzelzimmer oder einer LSBTIQ*-Unterkunft untergebracht werden. Aber dafür müssen sie sich erst einmal outen und das kann insbesondere für noch nicht anerkannte Personen gefährlich sein: Viele haben Angst davor, was passiert, wenn sie doch abgeschoben werden und ihre Familie dann über ihre Sexualität Bescheid weiß?

[Dieses Interview ist eine Leseprobe aus dem Tagesspiegel-Newsletter Queerspiegel, der 14-täglich, immer am ersten und dritten Donnerstag erscheint. Hier kostenlos anmelden]

In manchen Herkunftsländern droht nicht nur Diskriminierung, sondern auch Bestrafung, eventuell sogar mit Gefängnis oder dem Tod. Daneben mussten queere Geflüchtete bei den Behörden oft auch ziemlich unangenehme Fragen beantworten. Oder behördliche Sprachmittler*innen haben Sachen falsch übersetzt, ihnen z.B. gesagt, dass sie abgeschoben werden, wenn sie sich outen. In solchen Fällen unterstützen wir die Menschen.

Inwiefern unterscheidet sich die Arbeit von 2015?
 Es gibt große Unterschiede. Auch damals sind viele Menschen vor dem Krieg geflüchtet, aber auch geschlechtsspezifische oder LSBTIQ*-Verfolgung spielte eine Rolle. Letzteres gab es in der Ukraine auch, aber über die Jahre eher vereinzelt. Und so melden sich bei uns jetzt auch LSBTIQ*, die aufgrund von Verfolgung ursprünglich in die Ukraine geflüchtet sind, etwa aus Russland oder Tschetschenien.

Anders ist auch, dass sich jetzt nicht nur Menschen bei uns melden, die bereits in Berlin sind, sondern auch welche, die noch unterwegs sind oder sich gerade erst auf den Weg machen wollen. Viele queere Ukrainer*innen hatten zudem schon vor dem Krieg Kontakte nach Berlin. Und Europa öffnet gerade alle Türen für ukrainische Geflüchtete. Insgesamt gibt es einfach viel mehr Unterstützung als 2015.

Anders ist natürlich auch, dass jetzt vor allem Frauen und Kinder kommen, weil Menschen mit einem männlichen Passeintrag das Land nicht verlassen dürfen. Für schwule und bisexuelle Männer sowie trans* Frauen und intergeschlechtliche Frauen mit einem männlichen Geschlechtseintrag ist das ein großes Problem.

…bekannt ist z.B. der Fall der ukrainischen Sängerin Zi Faámelu, die trans ist und das Land zunächst nicht verlassen durfte. 
Genau. LSBTIQ* sind bei Gefangennahme, aber auch im militärischen Alltag besonders vulnerabel. Und auch in Polen, Ungarn oder Rumänien, wohin große Fluchtbewegungen gehen, erfahren queere Menschen Diskriminierung.

Wie können Berliner*innen queere Geflüchtete aus der Ukraine unterstützen? 
Es gibt die Möglichkeit, sich bei Quarteera zu melden, z.B. um eine Unterkunft anzubieten. Wir bei MILES haben außerdem ein Mentor*innen-Programm. Das ist eine Eins-zu-eins-Pat*innenschaft, bei der Menschen, die schon länger in Berlin leben ehrenamtlich queere Geflüchtete unterstützen. Mentor*in und Mentee verbringen gemeinsam Zeit und können diese so gestalten, wie sie wollen. Dabei ist vieles möglich: Deutsch lernen, eine Begleitung zu Behörden oder Ärzt*innen oder einfach zusammen ein Eis essen gehen.

Vanessa Fischer

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