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Ulle Schauws ist Grünen-Politikerin und Bundestagsabgeordnete.

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Grünen-Politikerin Ulle Schauws über den Koalitionsvertrag: "Das Transsexuellengesetz wird bald in die Geschichte gehen"

Die Ampelkoalition will einen queerpolitischen Aufbruch. Ulle Schauws von den Grünen erklärt, wie der konkret aussehen soll.

Ulle Schauws ist bislang queerpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion der Grünen. Die Fragen wurden schriftlich beantwortet.

Ulle Schauws, die Koalitionsverhandlungen sind abgeschlossen und auf queerpolitischer Ebene wurden bereits nach der Bundestagswahl große Veränderungen angekündigt. Wird jetzt ein Selbstbestimmungsgesetz das sogenannte "Transsexuellengesetz" ablösen?
Ja. Die seit Jahren missachteten Rechte von trans- und intergeschlechtlichen sowie nichtbinäre Menschen stärken wir, indem wir ein modernes Selbstbestimmungsgesetz verabschieden. Das Transsexuellengesetz, das sehr viel Leid gebracht hat und dessen Teile mehrmals als verfassungswidrig erklärt wurden, wird bald in die Geschichte gehen.

Wie soll das konkret aussehen?
Wir haben uns auf ein Verfahren beim Standesamt geeinigt. Die Änderungen des Geschlechtseintrags im Personenstand sollen grundsätzlich per Selbstauskunft möglich sein. Und, was uns Grünen besonders wichtig war, das Offenbarungsverbot wird erweitert, Verstoße dagegen sanktioniert und Kosten geschlechtsangleichender Behandlungen von der GKV vollständig übernommen.

Schließlich werden wir auch die Aufklärungs- und Beratungsangebote stärken. Zudem werden wir Lücken beim Verbot von Behandlungen an intergeschlechtlichen Kindern schließen. Was mich besonders stolz macht, ist der vereinbarte Entschädigungsfonds für trans- und intergeschlechtliche Personen, die aufgrund früherer Gesetzgebung von Körperverletzungen oder Zwangsscheidungen betroffen sind. Damit soll das erlittene Unrecht von staatlicher Seite entschädigt und ein Teil der menschenrechtswidrigen Praktiken wiedergutgemacht werden.

Im Artikel 3 des Grundgesetzes fehlt ein Diskriminierungsschutz für queere Personen. Wird dieser ergänzt?

Wir haben uns im Koalitionsvertrag auf keine konkrete Formulierung geeinigt (dies gilt übrigens auch bei der Ersetzung des Begriffs „Rasse“). Damit wollen wir die Chance erhöhen, in den Verhandlungen einen Kompromiss mit der Union zu finden.

Deshalb sind wir zuversichtlich, dass die letzte durch die Nationalsozialisten verfolgte Gruppe, nämlich queere Menschen, endlich in den Gleichbehandlungsartikel des Grundgesetzes aufgenommen wird. Unser erklärtes Ziel ist, dass wir für alle queeren Menschen eine Lösung finden, die den grundrechtlichen Schutz sowohl für Lesben, Schwule und Bisexuelle als auch für trans- und intergeschlechtliche sowie nichtbinäre Menschen gewährleisten wird.

Im Schulterschluss mit der Community gilt es jetzt, sehr geschlossen einzustehen für die Grundgesetzänderung, bei der für eine Zwei-Drittel Mehrheit die Union zustimmen muss.

Im Koalitionsvertrag steht aber nur der Begriff Sexuelle Identität, der im Grundgesetz ergänzt werden soll, Geschlechtliche Identität wird nicht erwähnt. Ist das nicht eine Vorfestlegung?
Die Vereinbarung ist, dass wir in die Verhandlungen mit der Union ohne konkreten Formulierungsvorschlag reingehen werden, um die Erfolgschancen zu erhöhen. Das wurde übereinstimmend zwischen allen drei Parteien vereinbart. Sonst würde die Formulierung in Einführungszeichen stehen. Konsens war auch, dass wir allen queeren Menschen den Diskriminierungsschutz gewährleisten werden. Welcher Weg dies am Ende sein wird, kann man jetzt noch nicht sagen.

Die Ampelkoalition will queerpolitisch einiges ändern.
Die Ampelkoalition will queerpolitisch einiges ändern.

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Zu Beginn der Koalitionsverhandlungen sagten Sie, dass eine Reform des Abstammungsrechts bereits im kommenden Jahr in Kraft treten könnte. Wie konkret werden das Abstammungsrecht und das Familienrecht geändert?

Die bestehende Diskriminierung von Zwei-Mütter-Familien und deren Kinder wird beendet. Die Änderung der entsprechenden abstammungsrechtlichen Regelungen im BGB wird selbstverständlich für alle gelten unabhängig vom Geschlecht, d.h. auch für Personen mit Geschlechtseintrag „divers“ und ohne einen Eintrag.

Wir haben vor, einen riesigen Schritt zur Modernisierung des Familienrechts zu machen. Damit soll Deutschland der Vielfalt von Familienformen gerecht werden. Beim Thema Mehrelternschaft haben wir uns auf Ausweitung des „kleinen Sorgerechts“ für soziale Eltern und dessen Weiterentwicklung zu einem eigenen Rechtsinstitut geeint, das im Einvernehmen mit den rechtlichen Eltern auf bis zu zwei weitere Erwachsene übertragen werden kann.

Das bedeutet einen Paradigmenwechsel im Familienrecht, wo bisher soziale Eltern nicht anerkannt werden dürfen. Zudem werden wir mit einer Elternschaftsvereinbarung vor der Empfängnis und Elternschaftsanerkennung für Personen jeden Geschlechts weitere Erleichterungen für Regenbogenfamilien schaffen.

Darüber hinaus werden wir ein neues Institut der Verantwortungsgemeinschaft einführen. Danach sollten zwei oder mehr volljähriger Personen jenseits von Liebesbeziehungen oder der Ehe Verantwortung füreinander übernehmen dürfen.

Wird es mit der neuen Bundesregierung auch einen Nationalen Aktionsplan gegen Homo- und Transphobie geben?

Einer der größten Erfolge ist der lang ersehnte bundesweite Aktionsplan. Das was in 15 Bundesländern (außer Bayern) sowie in der Europäischen Union Realität ist, kommt endlich im Bund: ein ressortübergreifender Nationaler Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt.

Die Koalitionsverhandlungen sind abgeschlossen.
Die Koalitionsverhandlungen sind abgeschlossen.

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Dafür haben wir 70 Millionen Euro pro Jahr vorgesehen. Darin unterstützen wir u.a. die Länder bei der Aufklärung an Schulen und in der Jugendarbeit, fördern Angebote für ältere LSBTI und bringen in der Arbeitswelt das Diversity Management voran, insbesondere im Mittelstand und im öffentlichen Dienst.

Inwiefern werden die Arbeit queerer Einrichtungen und zivilgesellschaftlicher Akteur*innen zukünftig gestärkt?

Die oben erwähnten 70 Millionen wollen wir in erster Linie an die Zivilgesellschaft weitergeben, die am besten wissen, wo das Geld am vernünftigsten ausgegeben werden kann. Zusätzlich werden wir die in Kooperation mit den Ländern ein Netzwerk zivilgesellschaftlicher Beratungsstellen gegen Diskriminierung flächendeckend ausbauen und nachhaltig finanzieren.

Im Gespräch waren dafür 20 Millionen Euro pro Jahr. Außerdem werden wir mit einem Demokratiefördergesetz die bestehenden zivilgesellschaftlichen Strukturen stärken und weiterentwickeln, vermehrt mehrjährige Zuwendungen ermöglichen und die Fördermodalitäten vereinfachen. Und dafür werden wir 200 Millionen Euro pro Jahr im Haushalt dauerhaft sichern.

In welchem Zeitrahmen sollen die Projekte umgesetzt werden?

Über die konkreten Zeitpläne wurde nicht gesprochen. Mir wäre aber wichtig, dass in erster Linie Diskriminierung von Regenbogenfamilien beendet und das Selbstbestimmungsgesetz das Transsexuellengesetz ersetzt. Beim bundesweiten Aktionsplan für Akzeptanz und Schutz sexueller und geschlechtlicher Vielfalt wollen wir zivilgesellschaftliche Organisationen beim dessen Erarbeitung beteiligen. Daher wird der Prozess ein bisschen länger dauern müssen.

Wird die Antidiskriminierungsstelle des Bundes aufgewertet?

Ja. Wir werden die Antidiskriminierungsstelle des Bundes als die zentrale Institution zur Bekämpfung bestehender Benachteiligungen stärken und unabhängiger machen – mit mehr Budget und Kompetenzen. Ihre Leitung soll vom Bundestag gewählt werden, was ihre politische Schlagkraft im institutionellen Gefüge auf jeden Fall erhöhen wird

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