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Aufklärung hilft. Doch fehlt in dem Band etwa eine Auseinandersetzung mit religiösen Argumenten.

© imago/7aktuell

Gender: Sexualität und Identität in der Schule

Eine Broschüre soll Lehrkräften helfen, LGBTI-Themen zu behandeln. Doch für die Wortwahl erntet die Bundeszentrale für politische Bildung auch Kritik.

Gerade in der Teenagerzeit ist es grundsätzlich schwierig, anders zu sein – sei es in Bezug auf Religionszugehörigkeit, das Einkommen der Eltern oder die sexuelle Orientierung. Dementsprechend ist Diskriminierung an Schulen ein verbreitetes Problem. Eine Berliner Studie des Psychologen Ulrich Klocke hat ergeben, dass 83 Prozent aller männlichen befragten Schüler in der 6. Klasse schon einmal mitbekommen haben, wie „schwul“ oder „Schwuchtel“ als Schimpfwort genutzt wird. Diese Vorurteile können unter anderem damit bekämpft werden, dass das Thema LGBTI fächerübergreifend thematisiert und so nach und nach normalisiert wird.

Die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) hat jetzt im Rahmen ihrer „Themen und Materialien“-Reihe eine Informationsbroschüre zu „Sexualitäten, Geschlechter und Identitäten“ herausgebracht. Die Publikation richtet sich an Unterrichtende und bietet Methoden und vielfältige Materialien, mit denen queere Lebensweisen im Unterricht behandelt werden können. Es gehe darum, die politische Mündigkeit der Kinder und Jugendlichen zu fördern, erklärt Susanne Offen, wissenschaftliche Leiterin und Herausgeberin des Bandes, anlässlich der Präsentation am Montag bei einem Fachgespräch. Mit dabei sind auch Vertreterinnen der Antidiskriminierungsstelle des Bundes und der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft, ein Berliner Lehrer sowie der Präsident der Bundeszentrale, Thomas Krüger. Letzterer betont, man wolle hinsichtlich der LGBTI-Thematik „keine Weltrevolution entfachen“, sondern schlicht gesellschaftlichen und pädagogischen Herausforderungen die Stirn bieten.

Die Geschichte des CSDs und das Verbot von Vergewaltigung in der Ehe

Der Band ist aufgeteilt in acht Bausteine, in denen es etwa um das politische Engagement von queeren Gruppen, um Geschlechterstereotype in Sport und in der Mode oder um die Situation von LGBTI international geht. Zu jedem Baustein gehören Vorschläge, wie die Inhalte im Unterricht vermittelt werden könnten. So sollen Schülerinnen und Schüler für den Baustein „Wandel der Zeiten“ geschichtliche Ereignisse wie die Christopher-Street-Day-Proteste oder das Verbot von Vergewaltigung in der Ehe chronologisch ordnen. Im Baustein zur Darstellung von Geschlecht und Sexualität in Musik, Film und Kunst gibt es Unterrichtsmaterial zur feministischen Punk-Band Bikini Kill oder zu der Comic-Zeichnerin Alice Bechdel.

Auch die Kontroversen um das Thema LGBTI im Unterricht spiegeln sich in dem Band wider. Ein Baustein mit der Überschrift „Geschlechterverhältnisse im Bildungswesen“ beschäftigt sich mit der geringen Sichtbarkeit von LGBTI in Schulbüchern und mit den Protesten gegen die angebliche „Frühsexualisierung“ von Kindern, die 2013 mit dem Bildungsplan in Baden-Württemberg ihren Anfang nahmen. Unter dem Namen „Demo für alle“ versammeln sich seitdem Konservative, Katholiken und Rechtspopulisten, um gegen LGBTI-Inhalte an deutschen Schulen zu kämpfen. Der „Demo für alle“-Bus machte am Montag auch in Berlin halt. Vorrednerin des Aktionsbündnisses ist die erzkatholische Aktivistin Hedwig von Beverfoerde.

Religion kommt in der Broschüre nicht vor

Religion wird immer wieder als Argument genutzt, um gegen LGBTI mobil zu machen. Verwunderlich ist es deshalb, dass das Thema in der bpb-Broschüre kaum vorkommt. Überraschend die Begründung von Susanne Offen: Religion sei einfach nicht ihr Fachgebiet, außerdem hätte das Thema den Rahmen der Broschüre gesprengt. Kritisiert wird auch die teilweise diskriminierende Sprache im Band. So ist dort von „Geschlechtsumwandlung“ statt geschlechtsangleichender Operation und von „Homo-Ehe“ statt Öffnung der Ehe oder Ehe für alle die Rede. Hier kann Offen nur erwidern, man habe den Autorinnen und Autoren der einzelnen Bausteine die Wortwahl überlassen. „Das hätte man anders entscheiden sollen“, gibt sie schließlich zu.

Trotz dieser Kritikpunkte wird die Publikation beim Fachgespräch als wichtiges und nötiges Unterstützungsangebot für Lehrkräfte, die LGBTI-Themen im Unterricht durchnehmen wollen, gesehen. Ob das tatsächlich geschieht, hängt oft vom privaten Engagement der Lehrkräfte ab. Deshalb betont Charlotte Kastner von der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, dass das Thema sexuelle Vielfalt fest in allen Lehrplänen verankert werden müsse – nicht nur im Politik- oder Sozialkundeunterricht. Wenn auch in einer Mathe-Textaufgabe ganz selbstverständlich von einem gleichgeschlechtlichen Paar die Rede ist, werden künftig vielleicht weniger Kinder „schwul“ als Schimpfwort verwenden.

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