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Freiheit von Orbán - gefordert hier auf einem Pride in Budapest.

© Janos Kummer/Getty Images

Geflüchtet vor dem Orbán-Regime: Als ungarische trans Frau bin ich dankbar auf Deutschland - und wütend

Aus Ungarn musste unsere Autorin fliehen. In Berlin merkte sie, dass sie trans ist. Hier schreibt sie, was sie Deutschland verdankt und warum sie dennoch hadert.

Ich bin dankbar – und ich bin genauso wütend. Und zwar auf Deutschland. Dankbar und wütend als eine ungarische trans Frau, die seit sieben Jahren in Deutschland wohnt.

Dankbar und wütend, das scheint sich zunächst zu widersprechen. Ich kann erklären, warum das so ist.

Als ich noch in Ungarn lebte, war ich sehr intensiv in die Politik involviert. Seit 2002 arbeitete ich in der grün-zivilen Bewegung, ich organisierte Hausbesetzungen mit Obdachlosen, ich war Sprecher und Kommunikations-Manager bei Greenpeace, ich gründete mit vier Kumpels die Grüne Partei, die schon lang im Parlament sitzt.

Mit der Amtsübernahme von Viktor Orbán im Jahr wurde vieles anders. Es gab mehr Frustration, Ungeduld und Hass. Der Kreis meiner Freundinnen und Freunde konnte mich nicht mehr auffangen. Ich bekam ein Burnout. Ich fühlte mich wie ein Zuckerwürfel, auf dessen Oberfläche man ein wenig Espresso tropfen lässt: Die Dunkelheit nimmt den ganzen weißen Körper ein.

Wollte ich mich schützen, musste ich Ungarn verlassen

Für mich wurde klar: Wollte ich mich selbst schützen, musste ich meine Heimat verlassen. Andere haben diesen Punkt später erreicht, ich früher.

So landete ich in Berlin. Irgendetwas scheint hier im Leitungswasser zu sein: Denn anderthalb Jahre später musste ich vor mir selber zugeben, dass ich transsexuell bin. Das wusste ich eigentlich schon seit meiner Kindheit, wollte das aber nie wahrhaben. Ich dachte nicht, dass ich frei genug sei, das auch leben zu können.

Die ersten Jahren Berlin - eine existenzielle Erfahrung

Die ersten drei Jahren in Berlin waren eine im wahrsten Sinne des Wortes existenzielle Erfahrung. Ich habe anderthalb Jahre lang als Fahrradkurier bei Foodora gearbeitet. Als mir trotz meiner überdurchschnittlichen Leistung gekündigt wurde, war ich arbeitslos. Für weitere anderthalb Jahre.

Aber auch das ist Deutschland: Als frisch gebackene trans Frau habe ich erfahren, dass Deutschland mir helfen will, selbst wenn es ein sehr chaotisches, umständliches System ist. Es gibt Abläufe und Vorschriften, die ich nutzen kann, meine Krankenkasse ist gezwungen, teure, aber für mich lebenswichtige Maßnahmen zu bezahlen. Ich kann Ärzte finden, die mir helfen. Meine Mitbürger in meinem Plattenbau und auf der Straße gingen völlig gelassen mit meinem - seien wir ehrlich - damals ziemlich komischen Aussehen um. Ich war verblüfft, tief berührt und sehr dankbar.

Angst beim teuren Antrag

Als Arbeitssuchende war es ähnlich. Ich erhielt 670 Euro Arbeitslosengeld, was ziemlich knapp war - aber immer noch viel höher als mein Lohn, den ich bekommen hätte, wenn ich nach meinem Abschluss an der Pädagogischen Hochschule als Lehrer in Ungarn arbeiten würde.

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Meine Ansprechpartnerin am Arbeitsamt hat mich gefragt, was ich brauche, um wieder in meinem Beruf arbeiten zu können. Ich brauchte dringend ein C2-Deutschprüfung. Die gab es auf der Liste der Arbeitsagentur nicht, weil in der Regel die darunter liegende Stufe C1 schon für fast alle Berufsfelder reicht.

Aber ich arbeitete für Kampagnen und im Kommunikationsbereich, dort ist mehr gefordert. So bin ich mit einem Angebot von Berlitz für C2 zurückgekommen: drei Monate lang, täglich sechs Stunden, nur ich und ein Lehrer. Kostenpunkt: 7200 Euro. Ich hatte Angst, als ich den teuren Antrag einreichte - war das nicht etwas zu frech von mir? Aber meine Ansprechpartnerin hat das direkt genehmigt.

Der deutsche Staat war klug

Ich weinte, nach so viel Ablehnung und Enttäuschung schien ich zum ersten Mal nach langer Zeit wieder Boden unter den Füßen zu bekommen.

Der deutsche Staat war nicht nur lieb zu mir, sondern auch klug. Ich habe mit der Zeit einen besseren Job gefunden, und alles schön zurückgezahlt. Zu sehen, dass in mich „investiert“ wurde, motiviert mich übrigens auch als Steuerzahlerin.

Ich habe also sehr, sehr viel von Deutschland bekommen. Es ist meine neue Heimat geworden.

Und die brauche ich tatsächlich, weil meine alte Heimat, Ungarn, immer tiefer den Bach hinuntergeht. Leider hat auch das einiges mit Deutschland zu tun. Das ist der Grund, warum ich auf Deutschland auch wütend bin. Dafür drei Beispiele.

Die Autorin Blanka Vay.
Die Autorin Blanka Vay.

© Juli Halász/privat

Erstens: In Ungarn haben die großen deutschen Autokonzerne viele Fabriken. BMW, VW, Mercedes erhalten sehr, sehr viel finanzielle Unterstützung vom ungarischen Staat. 45.000 Euro Fördergeld pro Arbeitsplatz ist kein Einzelfall. Soviel “Schutzgeld” bezahlt man aus einem guten Grund. Es dürfte auch an der unternehmerfreundlichen Politik Ungarns liegen, dass Viktor Orbán so lange von Angela Merkel und von den deutschen konservativen Mitgliedern im Europäischen Parlament unterstützt wurde.

Niemand soll sich mit Orbán anlegen

Zweites Beispiel: Als Audi vor zehn Jahren eine neue Fabrik in einem Naturschutzgebiet bauen wollte, protestierten dagegen viele grüne Organisationen. Der Koordinator der Proteste, Ferenc Zsák, ein bekannter, sehr guter Umweltaktivist, verklagte Audi. Doch wer in Haft landete, war Zsák: Er wurde vom ungarischen Geheimdienst, der sich in die Sache einschaltete und Zsák abhörte, hinters Licht geführt. Das Zeichen sollte klar sein: Keine NGO sollte sich mit einem für Orbán wichtigem Konzern anlegen. „Einschüchterung als Standortvorteil?“, fragte damals der „Spiegel“. Zsák litt schwer unter der Haft, er war während einer Hitzewelle in einer überfüllten Zelle, eingesperrt mit einem Mörder.

Und das dritte Beispiel: Die Deutsche Telekom. Zu ihrer ungarischen Tochterfirma gehörte Origo, das größte und meistgelesene Online-Portal in Ungarn. Origo veröffentlichte im Jahr 2014 zwei investigative Artikel über János Lázár, einen Getreuen Orbáns. Es ging unter anderem um aus der Staatskasse bezahlte Aufenthalte in Luxushotels. Die Folge: Der Chefredakteur Origos wurde gefeuert, offenbar auch, damit die ungarische Telekom-Tochter ihre Mobiltelefon-Konzessionen behalten konnte – auch wenn politischer Druck damals vonseiten der Telekom immer bestritten wurde.

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Die Geschichte ging weiter: Kurz danach verkaufte die Telekom dieses lukrative Portal an einen bis dahin unbekannten Strohmann der Regierung. Dieser baute Origo schamlos schnell um. Seitdem veröffentlicht es Hasspropaganda gegen die Opposition und vor allem gegen PoC und LSBT-Menschen.

Unglaubliche Hetze

Ich habe einmal die Titel dieser neuen Origo für deutsche FreundInnen übersetzt. Sie zweifelten an meiner Übersetzung, weil es einfach zu unglaublich hetzerisch klang. Diese Veränderung war bestimmt keine Überraschung für die Telekom. Sie muss sich die Frage gefallen lassen, warum sie dennoch das bis dahin größte unabhängige Nachrichtenportal de facto an das Orbán-Regime verkaufte.

Worauf ich damit hinauswill: Wenn ich „Fluchtursachen bekämpfen“ lese, denke ich immer daran, dass es manchmal schon genug wäre „Fluchtursachen nicht zu verstärken“ oder „Fluchtursachen nicht zu verteidigen, bitteschön“ – und zwar innerhalb Europas.

Aus Berlin im demokratischen Widerstand

Ich bin aus Berlin heraus weiterhin im demokratischen Widerstand, und viele meiner Freunde auch. Wir könnten die Demokratie und den Rechtsstaat in Ungarn vielleicht wieder neu aufbauen, wenn Orbán nicht regelmäßig von Deutschland Unterstützung erhalten würde. Dieser Virus des Rechtspopulismus gefährdet ganz Europa.

Aber die Autoindustrie, die ist wieder wichtiger.

Ja, die Mehrheit der Gründe, warum sich innerhalb der EU ein “könnte-schlimmer-sein”-faschistisches Regime etabliert haben konnte, liegt zuhause: in der Gleichgültigkeit und Dummheit der Ungarn. Wenn ich dort ein Mikrofon habe, rede ich darüber. Aber hier wollte ich einmal die Gründe darlegen, die Deutschland betreffen.

Ich bin sehr, sehr froh mit meinem unperfekten, schon weiblichen Körper, aber der Verlust meiner Heimat, der ungarischen Demokratie und des Rechtsstaats habe ich bestimmt nicht mit meiner von den Hormonen schön weich gewordener Haut und mit meinen hübschen Brüsten bezahlt. 

Blanka Vay

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