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Parvis (Benjamin Radjaipour, links) freundet sich im Heim mit Banafshe (Banafshe Hourmazdi) und Amon (Eidin Jalali) an.

© Salzgeber

"Futur Drei" von Faraz Shariat: Die Welt gehört uns

In seinem mitreißenden Regiedebüt "Futur Drei" erzählt Faraz Shariat eine postmigrantische, queere Kleinstadtgeschichte.

Die Ohrringe müssen raus. Hektisch friemelt Parvis (Benjamin Radjaipour) daran herum, während er eine Führung durch die Flüchtlingsunterkunft bekommt.

Es ist sein erster Tag in der ehemaligen Schule, in der er wegen eines Diebstahls Sozialarbeit leisten muss. Parvis will nicht gleich auffallen. Mit seinen blondierten Haaren und seiner völlig unmackerhaften Art tut es der junge Schwule aber eben doch.

„Ich glaub, ich bin viele Dinge“

Als er in der Turnhalle ein Tornetz anbringt, beobachtet ihn eine Gruppe iranischer Männer, sie lästern drauflos. Nur Amon (Eidin Jalali) schaut mit zurückgelehntem Kopf still herüber. Ihm gefällt dieser Typ, sehr sogar..

Kurz darauf freunden sich Parvis, Amon und dessen Schwester Banafshe (Banafshe Hourmazdi) miteinander an, gehen feiern, torkeln betrunken und lachend durchs niedersächsische Hildesheim – Parvis’ Heimatstadt. Er wuchs als Sohn iranischer Geflüchteter auf, die sich mit knochenharter Schufterei einen Supermarkt, ein Haus und eine Familie aufgebaut haben.

Die große Freiheit, die ihr Sohn genießt, ist weitestgehend ihr Verdienst. Wobei Parvis dafür kein Bewusstsein hat, er genießt sie einfach, geht tanzen, verabredet sich online zum schnellen Sex. Und wenn er mal wieder rassistisch beleidigt wird, weiß er sich schlagfertig zu wehren. „Ich glaub, ich bin viele Dinge“, sagt er einmal, worauf Amon entgegnet: „Wie gut, dass du dich nicht entscheiden musst.“

Denn Amon und Banafshe, die gemeinsam aus dem Iran geflohen sind, haben keinerlei Wahlmöglichkeiten. Sie sind auf die Geflüchteten-Rolle festgelegt, ihr Spielraum ist minimal, ihre Verletzlichkeit maximal. Deshalb will Amon auch nicht, dass Parvis im Heim mit ihm spricht. Die dortige Homofeindlichkeit ist für ihn bedrohlicher als für Parvis. Die Liebesbeziehung, die die beiden beginnen, muss geheim bleiben.

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Identität, Heimat, Freiheit – es stecken viele große Themen in Faraz Shariats Debüt „Futur Drei“, das jedoch keine Sekunde wie ein sozialrealistischer Problemfilm daherkommt. Die sommerlichen Bilder bersten nur so vor Lebensfreude, scheinen das fast quadratische 5:4-Format immer wieder zu sprengen.

Shariat und sein Jüngling-Kollektiv haben sie mit einer vibrierenden Energie aufgeladen und offensichtlich ihr gesamtes Herzblut in dieses Projekt gelegt. Völlig ohne die Unterstützung einer Filmschule ist ihnen dabei einer der besten deutschen Coming-of-Age-Filme der letzten Zeit gelungen – und sicherlich der stärkste deutsche Queer-Film seit Langem.

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Einen Teil seines Charmes verdankt dieses „aktivistischen Popcornkino“ (Faraz Shariat) einem schwungvollen Mix aus Stilen, der die Hybridität der Figuren spiegelt und auch viel Persönliches enthält. Gleich zu Beginn sind alte Videoaufnahmen des 1994 in Köln geborenen Shariat zu sehen, der als Kind in einem Sailor-Moon-Kostüm singend vor der Kamera herumhüpft.

Die Begeisterung für die Mangafigur hat der Regisseur an Parvis vererbt, der einmal verkleidet als die „Kämpferin für Liebe und Gerechtigkeit“ auf eine Party geht. Mit Blondhaarperücke und Rock sitzt er an der Bar, wo ein junger Mann – die beiden kennen sich offensichtlich – zu ihm sagt: „CSD ist doch erst in vier Wochen.“ – „Dann hast du ja noch genug Zeit für dein Coming Out“, antwortet Parvis.

Stilistische Überhöhung gegen die bittere Realität

Sein eigenes Coming Out wird in „Futur Drei“ überhaupt nicht thematisiert, was an seinem liebevoll-liberalen Elternhaus liegen dürfte. Faraz Shariat hat seine Mutter und seinen Vater als Parvis’ Eltern besetzt. Die Dialoge zwischen Mutter und Sohn gehören zu den anrührendsten Momenten des Films, der ein Publikums- und Kritikerliebling der vergangen Berlinale war.

Im letzten Drittel wird die Bildsprache abstrakter. Faraz Shariat, der stark von Musikvideos geprägt wurde, setzt sein Figurentrio nun in Tableaux vivants und Plansequenzen in Szene: Parvis, Amon und Banafshe vor einem türkisen Haus, in einer verdörrten Gräserlandschaft, mit dem Himmel verschmelzend.

[In acht Berliner Kinos]

Diese Überhöhung geschieht in dem Moment, in dem das Gleichgewicht zwischen den drei aus der Balance gerät. Der bitteren Realität werden poetische Bilder und sphärische Klängen entgegengehalten. Damit bleibt „Futur Drei“ konsequent bei dem Prinzip, seine Hauptfiguren nicht als Opfer zu zeigen. Mögen sie noch sehr bedrängt oder belästigt werden – sie behalten ihre Würde, Individualität und Schönheit.

Gegen Ende schreit die von der Abschiebung bedrohte Banafshe in ein Tal hinab: „Uns gehört die Welt.“ Das gilt nicht nur im Film, sondern auch die Menschen, die ihn geschaffen haben.

Wer das Team im Februar auf der Teddy Gala in der Volksbühne erlebt hat, wo es den Preis für den besten queeren Spielfilm bekam, konnte es sehen: Eine neue Generation ist am Start. Die Zukunft ist bunt.

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