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Jared (Lucas Hedges) will die Liebe seiner strenggläubigen Familie nicht verlieren.

© Kyle Kaplan/Unerased Films/UIP

Film "Der verlorene Sohn": Wenn Christen einen jungen Schwulen umerziehen wollen

Joel Edgerton erzählt in seinem Familiendrama „Der verlorene Sohn“ von einem jungen Schwulen, der in einem christlichen Lager von seiner Homosexualität "geheilt" werden soll.

Vor knapp einem Monat trat im US-Bundesstaat New York ein Gesetz in Kraft, das Therapieangebote verbietet, deren Ziel es ist, minderjährige Homosexuelle in Heterosexuelle zu verwandeln. Damit ist New York der 15. Staat der USA, der diese sogenannten Konversionstherapien untersagt. Eine gute Nachricht.

Besonders gefreut haben dürfte sich darüber der New Yorker Autor und Aktivist Garrard Conley, der als Jugendlicher ein christliches Umerziehungcamp besuchen musste und über dieses traumatische Erlebnis das Buch „Boy Erased“ geschrieben hat. Dass es jetzt in Starbesetzung verfilmt wurde, bringt dem Thema einen Aufmerksamkeitsschub, den es gut gebrauchen kann.

Hunderttausende Opfer von "Homo-Heilungen"

Denn rund 700.000 Menschen sind in den USA Opfer ähnlicher „Homo-Heilungen“ geworden und in der Mehrzahl der Bundesstaaten ist es weiter legal, solche „Therapien“ anzubieten. Und das, obwohl die Weltgesundheitsorganisation Homosexualität seit 1992 – spät genug – nicht mehr als Krankheit führt.

Viele Kirchen sehen Schwule und Lesben weiterhin als kranke Sünder. Für sie ist Homosexualität die Entscheidung für einen Lebensstil. „Ihr seid so geboren? Nein!“, ruft der selbst ernannte Therapeut Viktor Sykes (Joel Edgerton) in der Romanverfilmung, die unter dem widersinnigen Titel „Der verlorene Sohn“ in die deutschen Kinos kommt.

Sykes leitet ein Umerziehungscamp namens „Love in Action“. Der 19-jährige Jared (Lucas Hedges) nimmt aufgrund eines Ultimatums seines strenggläubigen Vaters (Russell Crowe) Mitte der nuller Jahre daran teil. Er wohnt mit seiner Mutter (Nicole Kidman) in einem nahe gelegenen Hotel und checkt jeden Tag in der Einrichtung ein, wo seine persönlichen Gegenstände konfisziert werden, alle weiße Hemden tragen und auch sonst eine gefängnisartige Atmosphäre herrscht.

"Durch Schein zum Sein" lautet das irrwitzige Motto

Eine Lesbe und rund ein Dutzend Schwuler sollen durch den Lehrgang zurück auf den christlichen Pfad gebracht werden – „pray the gay away “, wie man in den USA sagt. Bei „Love in Action“ müssen die Teilnehmenden Listen mit den Sünden ihrer Familien aufstellen, wozu neben Alkohol- und Spielsucht auch Pornokonsum und Homosexualität zählen. Sie werden gezwungen, Sport zu treiben, um unter dem Motto „Durch Schein zum Sein“ zu „richtigen Männern“ zu werden (die Frau wird einfach ausgeblendet).

Jared macht das alles zunächst mit, er will die Liebe seiner Familie nicht verlieren und ist auch sonst kein rebellischer Typ. Rückblenden zeigen seine Collegezeit und das Ereignis, das zu seiner Entsendung in das Camp führte. Joel Edgerton, der den ehemals schwulen Therapeuten Sykes spielt, ist auch Regisseur und Drehbuchautor. Selbst heterosexuell, sagt der Australier, dass seine Rolle im Rassismusdrama „Loving“ seinen Sinn für Geschichten über Ungerechtigkeiten geschärft und ihn Conleys Buch in Rage versetzt habe.

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Edgerton hat es respektvoll und massenkompatibel auf die Leinwand gebracht. Mit großer Empathie schaut er auf seinen innerlich zerrissenen Helden – aber auch auf dessen Eltern. Denn bei allem Horror, den sie ihrem Sohn antun, werden sie nicht als gefühllose Monster dargestellt. Sehr wohl aber als vom Glauben in die Irre Geleitete.

Wie virulent das Thema Konversionstherapie derzeit ist, zeigen neben „Der verlorene Sohn“ weitere Spielfilme aus jüngster Zeit: Desiree Akhavans Indie-Drama „The Miseducation of Cameron Post“ spiegelt die lesbische Sicht auf ein christliches US-Umerziehungslager der neunziger Jahre. Und in Jayro Bustamantes „Temblores“, der gerade auf der Berlinale seine Weltpremiere hatte, begibt sich ein guatemaltekischer Vater in die Hände einer evangelikalen Sektenführerin, um von seinem schwulen Begehren loszukommen. Alle drei Filme lassen keinen Zweifel daran, dass in solchen vermeintlichen Heilungslehrgängen seelische Grausamkeiten und mitunter auch körperliche Übergriffe stattfinden.

Schläge mit der Bibel

Eine der härtesten Sequenzen von „Der verlorene Sohn“ zeigt eine Art Exorzismus: Cameron (Britton Sear), ein großer sanfter Campteilnehmer, muss vor einem Altar voller entzündeter Kerzen knien und wird mit einer Bibel geschlagen. Dass dies keineswegs seinen „Dämon“ austreibt, sondern ihm seinen Lebenswillen nimmt, ist eine der schrecklichen Konsequenzen, die solche Lager tatsächlich haben können. Für Jared läuft es anders, was auch an seiner Mutter liegt. Deren Sinneswandel bringt Nicole Kidman in einer tränenreichen Dinner- Szene zum Ausdruck, die durch ihr botoxstarres Gesicht einen seltsamen Verfremdungseffekt erhält.

„Der verlorene Sohn“ besitzt auch hierzulande gesellschaftliche Relevanz. Denn der überkommene Glaube daran, dass Homosexualität eine Sünde oder eine Krankheit sei, hat in Deutschland ebenfalls noch einige Anhänger.

So schlug Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, der letzte Woche ein Verbot der Konversionstherapien in Deutschland ankündigte, seitens des evangelikalen Bibelbundes umgehend Kritik entgegen. Dort sieht man die Seelsorge für Homosexuellen in Gefahr, die Probleme mit ihrer sexuellen Orientierung haben. Dass man ihnen auch helfen kann, ohne zu versuchen, ihnen ihr Begehren auszutreiben, könnten Bibelbündler in „Der verlorene Sohn“ lernen.

In 14 Berliner Kinos. OmU: Central, Bundesplatz-Kino, Delphi LUX, Filmkunst 66, Kulturbrauerei, Rollberg, Xenon, OV: Cinestar Sony Center

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