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Marko Mihailović, 28, organisiert den EuroPride.

© Miloš Nadaždin

Europäische Pride Parade in Belgrad: „Wir rufen die queer Communities aus ganz Europa zur Solidarität auf“

Der EuroPride findet in diesem Jahr in Belgrad statt. Zu den Organisatoren gehört Marko Mihailović von der Belgrad Pride Society, die ein Infozentrum in der serbischen Hauptstadt betreibt. Ein Gespräch über Paraden, Pinkwashing und rechtsradikale Graffitis.

Marko Mihailović, wir sitzen im Prajd Info Centar von Belgrad, dessen Schaufenster gerade von Schmierereien gereinigt wurde. Zu sehen waren unter anderem gesprühte Porträts des in Den Haag zu lebenslanger Haft verurteilten Ex-Generals Ratko Mladić. Kommen solche Übergriffe häufiger vor?
Es ist der zwölfte Vorfall seit 2018. Zum Glück ist bisher nie jemand verletzt worden, aber unser Schaufenster wurde immer wieder attackiert. Diesmal waren es zum ersten Mal Graffitis.

Sie haben eine Videoaufnahme der Prajd Info Centar-Sicherheitskamera ins Netz gestellt, auf der man sieht, wie eine Gruppe von sieben Personen vor dem Laden auftaucht, um dann mit Schablonen und Spraydosen loszulegen.

Was mich sehr wundert: Wir sind hier in unmittelbarer Nähe mehrerer Regierungsgebäude, das Präsidentschaftsgebäude ist schräg gegenüber. Die Aktion hat fünfeinhalb Minuten gedauert und die ganze Zeit hat niemand reagiert. Wir haben die Aufnahmen wie immer der Polizei gegeben, haben das angezeigt und so weiter. Bei den vorherigen Attacken ist nie jemand verhaftet oder angeklagt worden. Sie sagen jedes Mal, dass sie sich drum kümmern, aber wir hören dann nichts mehr. Von offizieller Seite gab es übrigens keine Verurteilung des aktuellen Anschlags.

Bitter.
Das auch deshalb enttäuschend, weil der Vorfall in einer Linie steht mit der schon Monate andauernden Auseinandersetzung um ein großes Mural für eben diesen Kriegsverbrecher, das sich auf einer Häuserwand nicht weit von hier befindet. Zwei Aktivistinnen, die Eier dagegen geworfen hatten, sind sehr brutal verhaftet worden, wogegen wir und andere NGOs dann zusammen mit ein paar hundert Bürger*innen protestiert haben. Daraufhin hat der Polizeiminister das Viertel von ein paar hundert Polizeikräften absperren lassen.

Haben Sie eine Ahnung, wer hinter diesen Mladić-Darstellungen steckt?
Das ist kein Geheimnis, denn auf dem Mural steht ja Partizan Belgrad, man sieht sogar, welche Fangruppe des Clubs das war. Diese Leute sind bekannt. Es ist also kein großes Rätsel, das einzige Rätsel ist, warum nichts passiert. Dass ein verurteilter ausländischer Verbrecher im öffentlichen Raum verherrlicht werden kann, ist für mich ein Zeichen für den Zusammenbruch der hiesigen Rechtsstaatlichkeit. Es ist eine große Schande für dieses Land.

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Ein großer Glanz für dieses Land soll der EuroPride im September werden. Es ist seit 1992 erst das dritte Mal, dass das Event in einem osteuropäischen Land stattfindet. In Serbien gibt es erst seit 2015 halbwegs ungestörte Paraden. Was planen Sie?
Wir wollen die Aufmerksamkeit Europas und der Welt darauf lenken, dass die LGBTIQ*-Communities auf dem gesamten West-Balkan mehr oder weniger mit denselben Problemen kämpft. Das sind zum einen fehlende Rechte und zum anderen fehlender Respekt. In unserer Gesellschaft gibt es weiterhin viele Vorurteile gegen queere Menschen und ebenfalls gegen die Pride Parade selbst. Wir wollen unseren Mitbürger*innen bei dieser Gelegenheit zeigen, dass wir Menschen wie andere auch sind. Sie sollen uns sehen und verstehen, dass es keinen Grund gibt, Angst zu haben.

Der Community wollen wir die Möglichkeit geben, auf die Straße zu gehen. Es ist wichtig, dass wir unsere Freiheit feiern, auch wenn wir sie nicht haben. Unser Slogan ist „We celebrate, we demonstrate“. Bis wir gleichberechtigt sind, wird Pride immer ein Protest sein. Es ist sehr entmutigend, dass es 20 Jahre nach der ersten Parade in Belgrad noch immer keine konkreten rechtlichen Fortschritte gibt.

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In Sachen Eingetragenen Partnerschaften gab es im vergangenen Jahr immerhin mal einen Gesetzesvorschlag.
Ja, aber Präsident Aleksandar Vučić hat einen Vorschlag für ein Gesetz zu gleichgeschlechtlichen Partnerschaften im Mai für nicht verfassungsgemäß erklärt hat, was faktisch nicht der Fall ist. Dabei war das noch nicht mal der Vorschlag, den wir ausgearbeitet hatten. Jetzt liegt dieses schon lange versprochene Vorhaben auf Eis und wir hören widersprüchliche Signale aus Regierungskreisen. Uns ist klar, dass vor den Regional,- Parlaments- und Präsidentschaftswahlen im April wohl nichts mehr geschehen wird. Das ist schon bizarr, denn wir haben mit Ana Brnabić eine offen lesbische Premierministerin, die mit ihrer Partnerin ein Kind großzieht. Rechtlich sind die beiden für sie Niemand.

War in dem Gesetzesvorschlag, der seitens queerer Organisationen gemacht wurde, ein Adoptionsrecht vorgesehen.
Nein, leider nicht. Weder die Gesellschaft noch die Regierung sind für diese Debatte bereit. Das ist eine rote Linie, über die sie nicht gehen wollen.

Hoffen Sie für den EuroPride auf viele Besucher*innen aus dem Ausland?
Ja, wir wünschen uns, dass wir den EuroPride mit dem Tourismus verbinden können. Es wäre schön, wenn queere Leute aus ganz Europa kommen und die Stadt ein bisschen bunter machen. Wir rufen die queer Communities in ganz Europa zur Solidarität auf. Wir müssen uns umeinander kümmern, dürfen die Probleme der anderen nicht vergessen. Nirgends auf der Welt sind Trans- und Homophobie verschwunden. Und wir auf dem Balkan haben noch einen weiten Weg vor uns. Das Stigma ist immer noch groß und die Vorurteile noch größer. Pride ist nur ein Tag im Jahr, an dem der Kampf dagegen sichtbar wird, aber wir haben mit diesen Problemen 365 Tage zu tun.

Wie viele Besucher*innen hatten sie im vergangenen Jahr beim Belgrad Pride?
Ein paar Tausend, das waren mehr als je zuvor. 2019 haben wir während der Pride Week und zur Parade über 80 Events veranstaltet. 2020 und 2021 sollten eigentlich Probeläufe für den EuroPride sein, was dann wegen der Pandemie nicht ging. Immerhin haben wir 2021 noch 40 Events auf die Beine gestellt. Für dieses Jahr hoffen wir für die Parade auf mindestens 10.000 und im besten Fall auf 50.000 Besucher*innen. Ein Vorteil von Belgrad ist, dass der Termin am 17. September nicht mit anderen großen Prides kollidiert. Außerdem ist das Wetter im September immer noch sehr schön in Serbien.

Das Prajd Info Centar in Belgrad.
Das Prajd Info Centar in Belgrad.

© Nadine Lange

Was ist für die Pride Week geplant, die vom 12. bis 18. September sattfinden soll?
Es wird eine mehrtägige Menschenrechtkonferenz geben. Dazu ein großes Kulturprogramm mit einem zweitägigen Musik-Event, Ausstellungen, Vorträgen, Diskussionen. Wir werden uns auch ein bisschen um die Kommerzialisierung kümmern müssen, denn bisher finanzieren wir uns ausschließlich aus Fördermitteln. Diese stammen unter anderem von der holländischen und der deutschen Botschaft, den Open Society Foundations und vielen anderen Organisationen - es ist ein komplexes Gebilde. Doch die Geldgeber ziehen sich langsam zurück und wir müssen einen Weg finden, autark zu werden. Wenn wir mit einigen Pride-Bereichen wie etwa den Partys Profit generieren könnten, würde uns das ermöglichen, unsere Arbeit fortzusetzen.

In Ihr Zentrum kommen viele junge Leute, es ist ein Safe Space mitten in der Stadt.
Ja, wir liegen in der Nähe einiger Schulen und die Schüler*innen kommen nach Unterrichtsschluss vorbei. Derzeit arbeiten wir zudem am Aufbau unseres Zufluchtsprojektes, denn immer wieder melden sich Leute, die nach ihrem Coming-Out zu Hause rausgeworfen wurden. Es ist verheerend, dass wir ihnen bisher nicht helfen konnten. Wir hoffen nun, dass wir den Schutzort bis Mai eröffnen können.

Sie haben eben gesagt, dass es rechtlich gesehen seit 20 Jahren keine Fortschritte für die LGBTIQ-Community. Gesellschaftlich tut sich aber schon einiges. Dass es inzwischen das Prajd Info Centar gibt, ist ja ein deutliches Zeichen. Sehen sie noch weitere?
Einige. Beim ersten Pride in Belgrad waren nur ein paar hundert Leute, die größtenteils zivilgesellschaftlich engagiert waren oder aus diplomatischen Kreisen stammten. Heute sieht man dort sehr viele junge Leute. Auch in den Sozialen Medien sprechen sie ohne Angst oder Scham über ihre Identität. Als ich in den zehner Jahren begann, an queeren Orten auszugehen, kam es noch regelmäßig vor, dass Hooligans nach Partys auf uns warteten oder in einen Club reinkamen und Tränengas warfen. Das gibt es inzwischen eigentlich nicht mehr, was auf jeden Fall ein Zeichen des Wandels ist.

In den Medien ist die dämonisierende, skandalisierende Berichterstattung zurückgegangen, jetzt dominiert ein neutralerer Ton. Und man muss auch sagen, dass die offen lesbische Premierministerin viel für die Sichtbarkeit getan hat, vor allem in ländlichen Gegenden, die wir als Aktivist*innen kaum erreichen.

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Serbien strebt offiziell weiter eine EU-Mitgliedschaft an und bekommt bereits Fördermittel von der Union. Hängt der etwas gewachsene Spielraum für den Pride und für Queers auch damit zusammen, dass die Regierung diese Gelder nicht riskieren will.
Wir sind uns bewusst, dass sie uns in gewissem Maße für Pinkwashing benutzen. Der EU wird die Botschaft geschickt, dass der Pride sicher ist. Auf der anderen Seite müssen wir aber auch sehen, dass immer mehr Polizeikräfte im Einsatz sind. Jedes Jahr haben Menschen deshalb Probleme überhaupt zur Parade zu kommen, weil sie nicht durch die Absperrungen kommen – obwohl wir vorab genau besprochen haben, wo die Zugangspunkte sind.

Rund 400 Leute haben sich vergangenes Jahr allein über die Sozialen Medien bei uns gemeldet, weil sie von Polizist*innen am Eingang nicht durchgelassen wurden. Wir bitten jedes Mal wieder um weniger Polizeipräsenz oder zumindest um die Information, vor wem sie uns beschützen beziehungsweise, warum diese gefährlichen Leute nicht ohnehin schon verhaftet wurden.

Solche Polizeikordons wären für westliche Besucher*innen sehr irritierend. Sie sind es gewohnt, einfach zu auf eine Parade zu kommen.
Ja, die Regierung muss sich wirklich darum kümmern, wenn sie sich Tourismus und pink money aus Europa wünscht. Aber auch wenn sie ein gewisses Verantwortungsgefühl gegenüber uns als Bürger*innen zeigen möchte.

Was gibt Ihnen persönlich Kraft für den Kampf um mehr LGBTIQ-Rechte und Anerkennung?
Ich bin ziemlich privilegiert, weil ich mich schon früh geoutet habe und keine Probleme mit mir selbst oder in der Familie hatte. Diese Position wollte ich nutzen, um etwas beizutragen für meine Community, für diese Stadt und dieses Land. Ich weiß, dass wir auf der richtigen Seite der Geschichte stehen, dass wir für gute Dinge kämpfen und unser Beitrag letztendlich ein patriotischer ist. Wir werden anderes wahrgenommen, was eine große Ungerechtigkeit ist. Da möchte ich nicht passiv danebenstehen, sondern mich aktiv einbringen.

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