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Tamta Melaschwili, geboren 1979 in Ambrolauri, Georgien.

© Nato Sopromadse / Wieser Verlag

Erzählungen von Tamta Melaschwili: Unterdrückte Frauen in Georgien

Die Schriftstellerin Tamta Melaschwili erzählt in "Marines Engel", wie Frauen und die LGBTI-Community in Georgien unterdrückt werden.

Man weiß nicht so genau, warum der Band „Marines Engel“ auf dem Umschlag als „Erzählung“ firmiert, im Inneren aber die Bezeichnung „Erzählungen“ im Plural trägt. Doch unabhängig davon, auf wessen Verschulden dies zurückgeht, irgendwie stimmt beides. Die 1979 im Norden Georgiens, in Ambrolauri geborene und heute in Tiflis Gender Studies lehrende Tamta Melaschwili, vereint das Erzählthema, die drei großen „U“, und die oft nur auf wenigen Seiten aufspringenden Momentaufnahmen alltäglichen Lebens in ihrem Land. Sie ist, wie es in der Ankündigung heißt, eine Stimmensammlerin, die von „Ungerechtigkeit, Ungleichheit und Unterdrückung“ berichtet.

Es geht um Lesben, die in Georgien nur im Verborgenen leben können, „Du musst vorsichtig sein. Vorsichtig mit ihr und mit allen anderen. Wenn man von deiner Neigung erfährt, kriegst du zusätzlichen Scheißschmerz“, lautet ein weiblicher Ratschlag in „Das andere Grau“. Ein andermal geht es um einen schwulen Jungen, der gerade in die Armeereserve beordert wurde und sich seiner Mutter offenbart. Die läuft davon, panisch und voller Schuldgefühle.

Die Doppelmoral der griechisch-orthodoxen Kirche Georgiens lässt es zu, schwangere Frauen zwar zu hofieren („Du gebierst deiner Heimat Georgien einen jungen Löwen“). Gleichzeitig werden sie aus dem Job geworfen, wenn sie nicht mehr arbeiten können, und häusliche Gewalt ist der Normalfall. Dem Priester teure Schuhe kaufend, glaubt die junge Frau für ihre abgetriebenen Zwillingsmädchen einen Platz im Himmel zu erwerben: „Kauf dir diese Ruhe, diese Sicherheit. Kauf sie dir mit schwarzledernen Schuhen.“

Erfahrung als Jugendbuchautorin

Melaschwilis Erfahrung als Jugendbuchautorin ist auch in „Marines Engel“ unverkennbar. Für den 2013 im Schweizer Unionsverlag erschienenen Roman „Abzählen“ wurde die Heinrich-Böll-Stipendiatin mit dem Deutschen Jugendbuchpreis ausgezeichnet. Am deutlichsten leuchtet ihr Sensorium für die Kinderperspektive in „Mein Vater ist eine Taube“ auf, einer Erzählung, in der sich auf wenigen Seiten und in knappen Sätzen ein sozialer Kosmos auftut und in der einfühlsamen und genauen Übersetzung von Tamar Kotrikadze erfahrbar wird.

„Ein Brief an Lia“ fängt die Situation älterer Frauen ein, die, „als Dienerinnen geboren“, zu Hause entweder für ihre Familien schuften oder sich, wie viele mittellose Georgierinnen, in Griechenland als Dienstbotinnen verdingen, den Kontakt zu ihrer Heimat verlieren und darüber krank werden.

Korruption, Verbrechen und Missbrauch

Diese strukturelle Gewalt ist gepaart mit der unmittelbar brachialen Gewalt in einem Land, in dem Korruption, Verbrechen und Missbrauch vielfach den Alltag bestimmen. Davon erzählt die Titelgeschichte „Marines Engel“, eine der neueren Erzählungen der Autorin.

Welchen literarischen Weg sie hinter sich gebracht hat, zeigt der Vergleich mit der in Georgien prämierten Eingangserzählung „Eins und zwei“ aus dem Jahre 2006, einer sichtlich postmodern inspirierten, mit Identitäten spielende Geschichte. Sie mutet ein bisschen romantisch an, in dem sie vom Doppeltsein im Einssein erzählt, ist aber auch ein wenig verrätselte Seminarkost. Es zeugt vom Mut des Wieser Verlags, sie an den Anfang des Bandes zu setzen, und dem Verdienst, diesem erst schmalen Werk der jungen Autorin ein Forum in deutscher Sprache zu geben.

Tamta Melaschwili: Marines Engel. Erzählungen. Aus dem Georgischen von Tamar Kotrikadze. Wieser Verlag, Klagenfurt 2018. 120 Seiten, 16,90 €.

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