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„Für Eure und unsere Freiheit“ – schon bei der ersten East-Pride-Demo im vergangenen Jahr solidarisierten sich die Veranstalter:innen mit queeren Menschen in Ost- und Mitteleuropa.

© Jana Demnitz/Tsp

East-Pride-Demo im Zeichen des Krieges in der Ukraine: „Auch wir empfinden diesen Krieg als existenzbedrohend"

Vor der East-Pride-Demo am Sonnabend haben wir mit Anette Detering und Wolfgang Beyer über Putins Menschenfeindlichkeit, selbstbewusste Ukrainer:innen und die verstorbene trans Frau Ella Nik Bayan gesprochen.

Einen Monat vor dem Berliner CSD wird am 25. Juni die zweite East-Pride-Demonstration unter dem Motto: „Für Eure und unsere Freiheit“ durch Ost-Berlin ziehen. Der Osten scheint Sie nicht loszulassen.
Wolfgang Beyer: Die Frage nach der postkommunistischen und postsozialistischen Sozialisierung und Identität hat sich im letzten Jahr für uns gestellt und mit dem russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine stellt sie sich für uns noch viel mehr. Unser Thema ist dieses Jahr der Krieg, der von russischen Kräften gegen die demokratische Welt geführt wird. Es geht in diesem Krieg ja nicht nur um Territorium oder um Bodenschätze, sondern es geht um unsere offene und freie Gesellschaftsform. Das hat Putin in seinen Reden sehr deutlich klargemacht.

Anette Detering: Gegen die queere Community wurde auch vom russische Patriarch Kyrill I. gehetzt. So würden die Gay-Paraden in Kiew den Krieg rechtfertigen. Von der russischen Führung und der russisch-orthodoxen Kirche wird Lesben, Schwulen, Bisexuellen, trans und nicht binären Personen das Lebensrecht abgesprochen. Die jährlichen Paraden der LGBTIQ-Community sind ein Maßstab von Demokratien. Wenn eine Parade nicht mehr stattfinden kann, fährt der Zug mit rasender Geschwindigkeit in die andere Richtung, wie wir jetzt sehen. Auch wir empfinden diesen Krieg als existenzbedrohend. 

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Wolfgang Beyer: Wir kritisieren in diesem Zusammenhang auch die deutsche Politik, wie sie mit dem 2013 erlassenen Gesetz gegen „Homosexuellen-Propaganda“ in Russland umgegangen ist, das menschen- und homofeindfeindlich ist. In Russland werden Bürgerrechtsgruppen und LGBTIQ-Aktivist:innen seitdem stigmatisiert, verfolgt und bedroht. Gegen einen Teil der russischen Bevölkerung wird seit fast zehn Jahren ein Bürgerkrieg im eigenen Land geführt. Schon damals hätte man erkennen können, worum es eigentlich geht. Der Krieg in der Ukraine ist nur die konsequente Fortsetzung von Putins menschenfeindlicher Politik.

Anette Detering: Seit 2013 wird die russische Gesellschaft systematisch verändert und unterdrückt, um diesen Krieg, oder um beim russischen Propagandabegriff zu bleiben, eine „Spezialoperation“ durchzuführen. Bisher gibt es keine großen wahrnehmbaren Proteste oder Gegenwehr aus der russischen Bevölkerung heraus. Man kann sich nun fragen, warum das so ist. Hier in Berlin waren auf den großen Antikriegsdemonstrationen vereinzelt Regenbogenfahnen und Plakate mit LGBTIQ-Bezug zu sehen, aber außer vom Verein Quarteera gab es unseres Wissens vonseiten der queeren Community aber auch hier in der Stadt leider keine größeren Demonstrationen gegen diesen Krieg.

Wie erklären Sie sich, dass sich scheinbar nicht allzu viele queere Menschen hier in der Stadt von dem Angriffskrieg bedroht fühlen und nicht auf die Straße gehen?
Wolfgang Beyer: Die Analogie besteht darin, dass die Ukraine für viele Menschen, auch für queere Personen, genauso weit weg ist, wie die Homosexuellen insgesamt für viele Menschen in unserer Gesellschaft scheinbar weit weg sind. Peter Rausch, der Gründer der HIB, hat aber immer gesagt: „Homosexualität ist für alle da.“ Und darum müsste es eigentlich gehen.

[Die East-Pride-Demo startet am 25. Juni um 15 Uhr an der Gethsemanekirche in Prenzlauer Berg. Zuvor findet dort um 14 Uhr ein Gottesdienst statt.]

Es sollte nicht Homosexuelle und Heterosexuelle geben, sondern eine Gesellschaft, in der alle Menschen ihre Sexualität frei ausprobieren, experimentieren und ausleben können. Diese ständige zwanghafte Zuschreibung und Abwertung, die damit auch verbunden ist, sind Formen von Gewalt, die auch in Krieg münden. Auch homosexuelle Menschen selbst begreifen das häufig nicht, weil viele mit ihrer Homosexualität und mit ihrer verinnerlichten Ablehnung kämpfen.

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Die diesjährige East-Pride-Demo ist für Sie also viel mehr als ein Solidaritätsbekenntnis an die Ukraine?
Anette Detering: Die Demo soll vor allem eine Aufforderung sein, aktiv zu werden.

Wolfgang Beyer: Wir haben ganz bewusst in diesem Jahr keine ausformulierten politische Forderungen gestellt, sondern wir haben das grundsätzliche Anliegen, dass wir, wir queere Menschen, uns jeden Tag thematisieren, dass wir uns bewegen und auf die Straße gehen. Und dass wir uns nicht auf ein Datum und einen Tag im Jahr reduzieren lassen, sondern dass wir das permanent tun müssen.

[Mehr Neuigkeiten aus der queeren Welt gibt es im Queerspiegel-Newsletter des Tagesspiegel, der zweimal im Monat erscheint - hier geht es zur Anmeldung.]

Dazu heißt es in Ihrem Aufruf auch: „Wir brauchen Queerness nicht als Feigenblatt für Politik und Wirtschaft“. Was genau meinen Sie damit?
Wolfgang Beyer: Wir beobachten die Entwicklung, dass in allen gesellschaftlichen Bereichen ganz schnell Anpassungsprozesse ablaufen. Das heißt, dass irgendwelche Queerbeauftragte oder Gleichstellungsbeauftragte zur Hand sind, die dann alles richten sollen. Wir sind nicht gegen diese politischen Aktivist:innen, aber ich habe den Eindruck, dass es abseits dieser Personen oft keine sonderlich große politische Bereitschaft gibt, die Freiheit und damit auch die queeren Menschen wirklich zu verteidigen. 

Auch viele queere Menschen ruhen sich auf diesen institutionalisierten Formen aus. Und ich sehe ein sehr fundamentales Phänomen: Staatliche Gleichstellungsbeauftragte fungieren in gewisser Weise im Sinne einer Heteronormisierung queerer Lebensinteressen. Wir werden sozusagen über diese Institutionalisierungen integriert in die Gesellschaft.

Wie hätten Sie es gerne?
Mein Verständnis von Demokratie ist, dass Menschen selbst gestalten, dass es in einer Gesellschaft nicht von oben nach unten geht, sondern es muss von unten nach oben gehen. Queere Menschen sollten darüber nachdenken, welche Konsequenzen Schwulsein, Lesbischsein, Transsein für eine Gesellschaft haben, welche Konsequenzen das für die Politik hat und welche anderen Lebensformen sich daraus ergeben könnten. Wir müssten darüber nachdenken, wo wir denn anders leben als heterosexuelle Menschen. Und das passiert mir zu wenig.

Anette Detering: Queere Menschen sollten sich bewusst darüber werden, dass sie nach wie vor selbst für ihre Belange auf die Straße gehen müssen. Und das bedeutet zum Beispiel auch, auf Demos mit eigenen Plakaten aufzukreuzen. Im letzten Jahr mussten wir die zum größten Teil selbst mitbringen. 

2021 fand die erste East Pride in Berlin statt. Die Demo soll auch an die Emanzipationsgeschichte von Homosexuellen in der DDR erinnern.
2021 fand die erste East Pride in Berlin statt. Die Demo soll auch an die Emanzipationsgeschichte von Homosexuellen in der DDR erinnern.

© Jana Demnitz/Tsp

Haben Sie Kontakt zu queeren Menschen aus der Ukraine?
Wolfgang Beyer: Wir stehen vor allen mit den Menschen in Verbindung, die vor zwei Jahren die erste Marzahn Pride organisiert haben und kürzlich habe ich die ukrainische trans Frau Zi Faámelu kennengelernt. Sie ist in der Ukraine eine sehr bekannte Sängerin. Vor wenigen Jahren stand sie im Finale von The Voice of Ukraine. Unter sehr schwierigen Bedingungen ist sie nach Deutschland geflohen und lebt jetzt in Magdeburg.

Wir hatten sie ursprünglich als Rednerin auf unserer Demo angefragt, was nun leider doch nicht möglich sein wird. Zi Faámelu wird an diesem Wochenende nicht in Deutschland sein können. Das finde ich sehr schade, da sie mit ihrem Leben und ihrem Kampf uns allen vor Augen führt, wie komplex und wie existenziell die Situation für die Menschen in der Ukraine ist.

Sie haben als Redner auch den ukrainischen Botschafter Andrij Melnyk angefragt. Als Unterstützer der queeren Community ist er bisher nicht sonderlich aufgefallen.
Wolfgang Beyer: Wenn er auf der Demonstration sprechen sollte, wird er in irgendeiner Form über Freiheits- und Menschenrechte von queeren Personen sprechen. An diesen Aussagen wird er sich später messen lassen müssen. Wir nehmen ihn in die Verantwortung und das werden später dann auch andere tun können. Seinen Worten müssen Taten folgen. Unabhängig davon gefällt uns, dass er sich nicht den Mund verbieten lässt und selbstbewusst als Vertreter seines Landes gegenüber deutschen Politiker:innen auftritt.

Anette Detering: Dieses Selbstbewusstsein nehmen wir auch bei anderen jungen Menschen aus der Ukraine wahr, die jetzt hierhergekommen sind. Sie treten laut und entschieden gegen das Westplaing von deutschen Intellektuellen auf, die ihnen erzählen wollen, dass sie besser Bescheid über die ukrainische Geschichte, Kultur und Gesellschaft wüssten als sie selbst. Diesen Ukrainerinnen merkt man an, dass die zwei demokratischen Revolutionen in der jüngsten Geschichte ihres Landes etwas Positives mit ihnen gemacht haben. 

Viele von ihnen haben ein klares Bewusstsein: Wenn die Ukraine verliert, dann ist alles, was sich die ukrainische Gesellschaft an Demokratisierung und Freiheitsrechten erkämpft hat, für eine sehr lange Zeit wieder weg. Und das wissen auch die Homosexuellen in der Ukraine, sonst hätte sich auch keine eigene Gruppe von queeren Soldaten und Soldatinnen innerhalb des ukrainischen Militärs gegründet.

Wie im vergangenen Jahr wird die East-Pride-Demo mit einem Gottesdienst in der Gethsemanekirche beginnen.
Wie im vergangenen Jahr wird die East-Pride-Demo mit einem Gottesdienst in der Gethsemanekirche beginnen.

© Jana Demnitz/Tsp

Noch einmal zur Demo. Der Start wird erneut in Prenzlauer Berg an der Gethsemanekirche sein.
Anette Detering: Ja, vorab haben wir wieder ein Banner aufgehängt. Dieses Mal mit der Aufschrift „Aus Homophobie folgt Krieg“. Unmittelbar vor der Demo wird es mit der GayChurch auch wieder einen gemeinsamen Gottesdienst geben. Mit der Gemeinde ist eine gute Zusammenarbeit entstanden. Für uns ist die Gethsemanekirche ein wichtiger Quell-Ort der unabhängigen Lesben- und Schwulenbewegung in der DDR. 

Wolfgang Beyer: In diesem Kontext hoffen wir, wird auch die Dauerausstellung in der Kirche, die verschiedene Aspekte der Revolutionsgeschichte der Gethsemanekirche erzählt, ergänzt. Eine Tafel über den „Arbeitskreis Homosexuelle Selbsthilfe – Lesben in der Kirche“, der sich in den 1980er-Jahren dort getroffen hat, fehlt bisher. 

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Am Alexanderplatz wollen Sie an Ella Nik Bayan erinnern, eine trans Frau, die sich im vergangenen Jahr dort angezündet hat und an ihren Verletzungen gestorben ist.
Anette Detering: Wir werden mit einer Schweigeminute an Ella erinnern. Unserer Meinung nach wird dieses schreckliche Ereignis nicht ausreichend reflektiert. Viele wissen von dieser Verzweiflungstat gar nichts. Wir wollen Ella wieder in das Bewusstsein der Menschen zurückholen. 

Wolfgang Beyer: Ellas Tat war die radikalste Form eines Kommunikationsversuches. Sie hat ihr Leben dafür gegeben, um Menschen direkt anzusprechen und zu sagen: Ich bin da und mir geht es richtig schlecht. Ich brauche Hilfe, ich brauche Liebe und Gemeinschaft. Und dass sie das alles als trans Person nicht bekommen hat, ist auch ein strukturelles Problem in unserer Gesellschaft. 

Anette Detering: Dass Ella als trans Frau nicht im kollektiven Gedächtnis verankert ist, ist auch ein Zeichen für mangelnde Empathie und Emanzipation. In anderen Zusammenhängen hat es ein Erinnern und Gedenken viel selbstverständlicher gegeben. 1992 wurde zum Beispiel Silvio Meier in Friedrichshain von Neonazis ermordet. An ihn erinnern heute die Silvio-Meier-Straße und eine Gedenktafel am U-Bahnhof Samariterstraße. Diese Mechanismen fehlen mir. Es gibt kein richtiges Gedenken, kein Symbol der Erinnerung oder Ähnliches. 

Wie sieht der weitere Demonstrationsverlauf aus?
Anette Detering: Wir haben 1000 Personen angemeldet. Von der Gethsemanekirche führt die Route unter anderem über die Schönhauser Allee und dem Alexanderplatz – zur russischen und ukrainischen Botschaft, wo auch die Abschlusskundgebung stattfinden wird. Wir wollen neben Menschen aus der Ukraine, auch Menschen aus Polen, Ungarn, Belarus und Russland zu Wort kommen lassen. Am Tag der East-Pride-Demo, dem 25. Juni, finden gleichzeitig auch die Warschau und die Kiew Pride zusammen in der polnischen Hauptstadt statt. Wir sehen uns als Teil dieses mittel- und osteuropäischen Kampfes von LGBTIQ für das Grundrecht aller Menschen auf selbstbestimmtes Leben und Glück.

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