zum Hauptinhalt
Pat besucht in "Uferfrauen" ihre alte Wohnung.

© déjà-vu film

Doku „Uferfrauen“ über Lesben in der DDR: Die Widerständigen

Mit ihrem Dokumentarfilm „Uferfrauen - Lesbisches L(i)eben in der DDR“ beleuchtet Barbara Wallbraun auf eindringliche Weise ein bisher wenig beachtetes Kapitel queerer Zeitgeschichte.

Ein langer Schrei hallt durch die leere Dachgeschosswohnung. Ausgestoßen hat ihn Pat, die hier vor vielen Jahren ihre erste Liebesnacht mit einer Frau erlebte. Auf das Glücksgefühl folgte Horror: Die Wohnungstür wurde eingetreten und die damals 24-jährige Pat kam wegen Verführung einer Minderjährigen vor Gericht – obwohl keinerlei Verführung vorlag.

Die Geliebten waren schon länger heimlich ein Paar. Allerdings gehörte Pats 17-jährige Freundin zu den Jugendlichen, die sie auf einem Jugendwerkhof in Mecklenburg-Vorpommern betreute. Das Schutzalter für Heterosexuelle lag bei 14 Jahren, für Homosexuelle galten schärfere Gesetze.

Aufklärung mit Papas Pornos

Nach ihrem kathartischen Schrei schaut Pat aus den schrägen Dachfenstern und sagt „Ihr könnt mich alle mal.“ Es ist eine der emotionalsten Szenen von Barbara Wallbrauns Dokumentarfilm „Uferfrauen - Lesbisches L(i)eben in der DDR“, der auf äußerst eindrückliche Weise sechs ostdeutsche Frauen über 50 porträtiert und einen bisher wenig beachteten Teil der deutschen Queer-Historie beleuchtet.

Die vorgestellten Frauen stammen aus verschiedenen DDR-Landesteilen und haben mal früher mal später das lesbische Leben für sich entdeckt. Für Elke aus Sachsen-Anhalt war schon im Kindesalter klar, dass sie auf Frauen steht. Aufgeklärt hat sie sich selbst mit Hilfe der umfangreichen Pornoliteratur-Sammlung ihres Vaters, in der auch gleichgeschlechtlicher Sex vorkam – zwar nicht unbedingt positiv konnotiert, aber immerhin war klar: Das gibt es auch. „Ich habe nie empfunden, dass ich unnormal bin“, sagt Elke, die ihrer erste Liebe als Medizinstudentin in einem Krankenhaus begegnete.

[Wer mehr über queere Themen erfahren will, kann den Queerspiegel Newsletter abonnieren, der immer am dritten Donnerstag erscheint. Hier kostenlos anmelden: queer.tagesspiegel.de]

Barbara Wallbraun, 1983 im thüringischen Eichsfeld geboren, hat lange nach den Protagonistinnen ihres ersten Langfilms gesucht. Rund 600 Frauen kontaktierte sie, hört viele spannende Lebensgeschichten, doch oftmals fehlte die Bereitschaft auch vor die Kamera zu treten.

Denn obschon Homosexualität in der DDR nicht verboten war - den berüchtigten Anti-Schwulen Paragraf 175 gab es dort schon seit 1968 nicht mehr – war sie doch weitgehend tabuisiert. Deshalb ist es für Menschen, die die in dieser Atmosphäre sozialisiert worden sind, mitunter bis heute schwierig, über die Vergangenheit zu sprechen. Das zeigt sich auch an einigen Stellen von „Uferfrauen“, wobei der Stolz und die Widerständigkeit bei den Porträtierten überwiegen.

Empfohlener redaktioneller Inhalt

An dieser Stelle finden Sie einen von unseren Redakteuren ausgewählten, externen Inhalt, der den Artikel für Sie mit zusätzlichen Informationen anreichert. Sie können sich hier den externen Inhalt mit einem Klick anzeigen lassen oder wieder ausblenden.

Ich bin damit einverstanden, dass mir der externe Inhalt angezeigt wird. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu erhalten Sie in den Datenschutz-Einstellungen. Diese finden Sie ganz unten auf unserer Seite im Footer, sodass Sie Ihre Einstellungen jederzeit verwalten oder widerrufen können.

Auszuhalten hatten sie einiges in der DDR. Die Dresdnerin Carola wurde als Jugendliche von ihren eigenen Eltern wie eine Aussätzige behandelt und versuchte, sich das Leben zu nehmen. Die Ost-Berlinerin Christiane, die immer wieder Treffpunkte für die schwul-lesbische Szene organisierte, wurde von der Stasi so oft verhört und drangsaliert, dass sie eine schwere Depression bekam.

Doch weder sie noch Pat oder Carola wirken heute bitter – im Gegenteil: Sie strahlen eine Tatkraft und Selbstgewissheit aus, die man selbst bei deutlich Jüngeren selten antrifft.

Regisseurin Wallbraun lässt die Frauen in langen Interviews zu Worten kommen, die mal bei ihnen zu Hause und mal an für sie bedeutsamen Orten geführt wurden. In einem stimmigen Rhythmus geschnitten entstehen so lebendige Zeitzeuginnenberichte, die von einigen Schwarz-Weiß-Fotografien und sparsamen Animationen ergänzt werden. Sowohl Politik als auch Kinder sind dabei immer wieder ein selbstverständlicher Teil der Erzählungen.

Berlin als Paradies auf Erden

Sabine und Gisela etwa - das einzige Paar in „Uferfrauen“ - verliebten sich 1974. Gisela war damals verheiratet und hatte einen sechsjährigen Sohn. Nachdem sie sich von ihrem Mann getrennt hatte, sagte sie zu dem Jungen: „Das ist Sabine, die wohnt jetzt bei uns.“ Es lief gut, die beiden bauten ein Haus und waren irgendwann auch bei der ersten Montagsdemo ihrer Heimatstadt Aschersleben dabei.

Berlin spielt in „Uferfrauen“ eine wichtige Rolle. Sowohl als Ort der Entfaltung - „Paradies auf Erden“ nennt Carola die Stadt einmal – als auch der politischen Vernetzung etwa in der Gethsemanekirche. Nach dem Mauerfall stritt Pat unter anderem dafür, dass Frauen am Runden Tisch vertreten waren. Noch heute erzürnt es sie, wie mühsam das war.

Am Ende fragt die Regisseurin sie aus dem Off, was junge Lesben von den älteren lernen könnten: „Zu kämpfen“, sagt Pat. „Ich glaube, das ist bald wieder dran.“ Kann gut sein, dass sie selber nochmal mitmischt – als sie in die Kamera schaut, blitzt das alte Feuer in ihren Augen.
In den Berliner Kinos Filmrauschpalast, Krokodil, Sputnik, Tilsiter

Zur Startseite