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Doppelleben. Der 24-jährige Syrer Husein in Istanbul.

© Bradley Secker

Doku „Mr. Gay Syria“: Eines Tages wird meine Maske fallen

Ayşe Topraks bewegende Dokumentation „Mr. Gay Syria“ zeigt das Schicksal einer Gruppe schwuler Geflüchteter in Istanbul. Und ihren Weg in die Freiheit.

Husein redet auf einen leeren Stuhl ein. Er stellt sich vor, dass dort seine Mutter sitzt und er ihr endlich sagt, was ihm schon lange auf dem Herzen liegt: „Ich bin schwul. Bleib stolz auf mich“, sagt er, legt den Kopf auf die Sitzfläche und verstummt. Applaus. Tränen. Der Saal ist bewegt vom Monolog des 24-Jährigen, der in grauen Jeans und im grauem Sweatshirt auf der Bühne steht.

Er ist einer von fünf Teilnehmern des Wettbewerbs um den Titel „Mr. Gay Syria“, der in Istanbul ausgetragen wird. Die anderen jungen Männer aus Syrien zeigen Tänze, manche in erotischen Outfits und High Heels. Doch am Ende gewinnt der aus Afrin stammende Husein mit seiner emotionalen Performance. Wie er umringt von seinen Konkurrenten die Siegertrophäe bekommt, ist schon nach einer halben Stunde in Ayşe Topraks bewegender Dokumentation „Mr. Gay Syria“ zu sehen. Denn entgegen der üblichen Dramaturgie geht es hier nicht in erster Linie ums Gewinnen. Husein und die mit ihm befreundeten anderen Teilnehmer haben wichtigere Probleme.

Das Ziel ist "Mr. Gay World" auf Malta

Sie alle mussten vor dem Krieg in ihrer Heimat fliehen und möchten nach Europa weiterreisen. Jetzt hängen sie in der türkischen Hauptstadt fest, wo sie manchmal Besuch von ihrem Landsmann Mahmoud Hassino bekommen. Der schwule Aktivist hat Asyl in Deutschland bekommen und arbeitet bei der Berliner Schwulenberatung.

Hassino ist der zweite Protagonist des Films, er hat sich 2016 den „Mr. Gay Syria“-Wettbewerb für die Exil-Syrer ausgedacht und organisiert die Veranstaltung. Sein Plan: Der Gewinner soll zum internationalen Schönheitswettbewerb „Mr. Gay World“ fahren – und damit auch einen Weg aus der Türkei finden. Eine sehr optimistische, fast utopische Idee, die jedoch viele positive Auswirkungen auf den Istanbuler Alltag der Teilnehmer hat. So machen sie sich freudig an die Vorbereitungen, kaufen Kostüme, studieren ihre Showbeiträge ein. Was sie ein wenig von ihrer schwierigen Lage ablenkt und ihnen zu mehr Selbstbewusstsein verhilft.

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Eindrucksvoll gelingt es Regisseurin Toprak, die aus Istanbul stammt und in Brüssel wohnt, in ihrer ersten Dokumentation, den Druck zu verdeutlichen, unter dem die Syrer nicht nur als Flüchtlinge, sondern vor allem als Homosexuelle stehen. Husein etwa führt ein Doppelleben. In der Woche arbeitet er in Istanbul als Friseur, am Wochenende ist er bei seiner Frau und seiner zweijährigen Tochter. Auch seine Eltern wohnen bei ihnen. Er trage seit seiner Geburt eine Maske, sagt Husein, dessen Augen viel von der Traurigkeit spiegeln, die das für sein Leben bedeutet: „Ich wollte ein guter Mensch sein und ein guter Mensch kann nicht schwul sein.“

Eine Logik des Selbsthasses, die nicht nur in der arabischen Welt verbreitet ist. Um so wichtiger sind die Solidarität und die Gemeinschaft der Homosexuellen. Beides spürt Husein in dem Jahr das „Mr. Gay Syria“ dokumentiert. Dass er schließlich die Kraft finden, sich bei seinen Eltern zu offenbaren, dürfte ganz wesentlich damit zu tun haben. Die Konsequenzen sind hart, doch für Huseins Freiheit ist das Outing ein ebenso bedeutender Sieg wie der Titel Mr. Gay Syria.

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