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Die Regenbogenfahne weht während des Umzugs zum Christopher Street Day (CSD) vor der Siegessäule in Berlin.

© Wolfgang Kumm/dpa

Die Regenbogenhauptstadt: Wie der Senat Berlin zum Hort der Vielfalt machen will

Die Zahl homophober Angriffe in Berlin steigt: 2017 wurden fast 400 bekannt. Rot-Rot-Grün geht mit einem 59-seitigen Maßnahmenpaket dagegen vor.

Der jüngste Fall ereignete sich am vergangenen Montag mitten in Neukölln: Zufällig trafen dort zwei Frauen auf zwei in diesem Moment einen An- und Verkaufsladen verlassende Männer, von denen einer die Inhaberin des Geschäfts fremdenfeindlich beleidigte. Als der andere Mann die beiden Frauen erblickte, soll er diese unvermittelt als „Scheiß-Lesben“ beleidigt haben, denen der Kopf eingeschlagen gehöre. Anschließend seien die beiden Männer auf ihre Fahrräder gestiegen und unerkannt entkommen. Der Polizeiliche Staatsschutz des Landeskriminalamtes übernahm die Ermittlungen.

Zur Wahrheit der scheinbar grenzenlosen, individuellen und nicht zuletzt auch sexuellen Vielfalt Berlins gehört: Fälle wie diese sind trauriger Alltag. In seinem jüngsten Jahresbericht kam das „Schwule Anti-Gewalt-Projekt Maneo“ allein im vergangenen Jahr auf 382 Fälle, die „deutliche und einfache Hinweise auf einen homophoben oder transphoben Hintergrund“ aufwiesen – 50 mehr als im Vorjahr. 286 Fälle richteten sich dabei gegen Schwule oder männliche Bisexuelle, 27 gegen Lesben oder weibliche Bisexuelle und 50 gegen Transsexuelle.

Darüber hinaus muss davon ausgegangen werden, dass längst nicht alle Fälle der Öffentlichkeit bekannt werden. Denn auch wenn sich die Zusammenarbeit mit der Polizei laut Maneo in den vergangenen Jahren verbessert habe – inzwischen gebe es auf fast allen Direktionen spezialisierte Ansprechpersonen – sehen längst nicht alle Betroffenen die Polizei als Helfer.

In der Vergangenheit waren homophobe Straftaten wiederholt nicht als solche eingestuft worden. Und auch den Streit innerhalb der Polizei um das Hissen der Regenbogenfahne vor Dienstgebäuden anlässlich der am vergangenen Wochenende gestarteten Pride Week der Homosexuellen dürfte deren Zutrauen in die Sicherheitsbehörden nicht gesteigert haben. Mitglieder der Personalvertretung „Unabhängige in der Polizei“ wähnten hinter der via Twitter verbreiteten Aktion einen „klaren Verstoß gegen das Neutralitätsgebot“ und wurden dafür scharf kritisiert.

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Umso wichtiger war es Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) am Mittwoch, auf den tags zuvor gefällten Beschluss des rot-rot-grünen Senats hinzuweisen. Der hatte die Initiative „Berlin tritt ein für Selbstbestimmung und Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt“ (IGSV) verabschiedet und damit laut Behrendt, zuständig für den Bereich Antidiskriminierung, einen wichtigen Schritt dahin gemacht, dem „selbst gestellten Anspruch der Regenbogenhauptstadt Berlin gerecht zu werden“. Tatsächlich hatte die Koalition diesem Vorhaben ein eigenes Kapitel im 2016 geschlossenen Koalitionsvertrag gewidmet.

Diversitätsbeauftragte in allen Bezirken

Auf der Ebene der Berliner Verwaltung legt die IGSV den Grundstein dafür. In der Präambel des 59 Seiten starken Maßnahmenpakets heißt es, Ziel sei die Ermöglichung von Selbstbestimmung und Teilhabe aller Menschen an der Gesellschaft, auch jener mit besonderen sexuellen Orientierungen und Identitäten. Um dieses Ziel zu erreichen, wurden in Zusammenarbeit von Abgeordnetenhausmitgliedern, Senatsverwaltungen, Bezirken und zivilgesellschaftlichen Akteuren neun Handlungsfelder identifiziert, von denen sich eines der Bekämpfung von Gewalt, Diskriminierung und „vorurteilsmotivierter Gewalt“ widmet.

Neu im Vergleich zum bereits vor zehn Jahren unter dem damals noch rot-roten Senat verabschiedeten Initiative sind die Handlungsfelder zum Umgang mit Geflüchteten und der Pflege von homo-, bi-, trans oder intersexuellen Menschen. Vorgesehen ist darüber hinaus die Schaffung eines Beauftragten für Vielfalt und Diversität in den Berliner Bezirken. Für die Umsetzung dieses Vorhabens sind – genau wie die beteiligten Senatsverwaltungen – die jeweiligen Einrichtungen selbst verantwortlich. Behrendt kündigte an, über die Umsetzung der Maßnahmen im Wahljahr 2021 einen Zwischenbericht abgeben zu wollen.

Lesben- und Schwulenverband fordert zügige Umsetzung

Während der Justizsenator das Maßnahmenpaket und die Zusammenarbeit der verschiedenen Behörden auf dem Weg dorthin lobte, übte Jörg Steinert, Geschäftsführer des Lesben- und Schwulenverbandes Berlin-Brandenburg, vorsichtige Kritik. Viele der Maßnahmen seien bereits im Koalitionsvertrag abgebildet, erklärte Steinert, der nun auf ihre tatsächliche Umsetzung hofft. Zwar weise die von Steinert als „sehr wichtiges Maßnahmepaket“ bezeichnete Initiative die „richtige Stoßrichtung“ auf und dringe in bislang unbeachtete Bereiche vor, abzuwarten bleibe aber, inwiefern die Maßnahmen auch im zeitnah zur Abstimmung stehenden Entwurf für den Doppelhaushalt 2020/2021 abgebildet würden.

Als Beispiel nannte Steinert die in der IGSV enthaltene Ankündigung zur Übernahme der Verantwortung für die Instandhaltung des Magnus-Hirschfeld-Denkmals in Moabit. Dieses werde immer wieder zum Ziel von Vandalismus. Mit dem Auslaufen der Lottomittel zur Beseitigung der Schäden sieht Steinert die Fortsetzung dieser Aufgabe ab dem kommenden Jahr durch das Land Berlin gefährdet. „Im Haushaltsentwurf konnten wir weder Etatmittel noch eine Verwaltungszuständigkeit dafür finden“, erklärte Steinert im Gespräch mit dem Tagesspiegel.

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