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Zi Faámelu ist die Flucht aus der Ukraine gelungen, sie hat es nach Magdeburg geschafft.

© privat

Die Flucht der ukrainischen trans Frau Zi Faámelu: „Meine einzige Chance war, durch die Donau zu schwimmen“

Weil Zi Faámelu trans ist, durfte sie die Ukraine nicht verlassen und musste fliehen. In Deutschland will sie ihre Stimme nutzen, um der Community zu helfen.

Es begann mit einem Knall. Zi Faámelu lag gerade in ihrem Bett in Kiew, als ein ohrenbetäubender Lärm sie mitten in der Nacht aus dem Schlaf riss. Erst dachte sie, dass es sich um ein Feuerwerk handelte. Auf die Idee, dass der Krieg in diesem Moment die ukrainische Hauptstadt erreicht haben könnte, kam Faámelu nicht. „Wir dachten, das wären nur Gerüchte. Ich war verwirrt“, erzählt sie.

Doch als sie aus dem Fenster blickte, wurde ihr klar, dass es kein Feuerwerk war. Der gesamte Himmel leuchtete orange; wenige Sekunden später ertönten weitere Einschläge. „In diesem Moment wusste ich: Das ist der Lärm einer Bombe.“

„Ich hatte große Angst"

Also rief Faámelu eine Freundin an und überlegte, was zu tun war. Den nächstgelegenen Bunker aufsuchen? Oder bereits die wichtigsten Sachen zusammenpacken? Sie habe Panik gehabt, sagt Faámelu, alles sei sehr hektisch gewesen. Als dann auch noch ein Gebäude unmittelbar in ihrer Nähe zerstört wurde, entschied sie sich zu fliehen; zu groß war die Angst, dass es ihr Haus als nächstes treffen könnte.

Ein Freund warnte sie außerdem, dass in Kiew Gruppen umherzögen, die queere Personen festnahmen. „Ich hatte große Angst - vor der russischen Invasion, aber auch vor transfeindlichen Menschen in meinem eigenen Land.“

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Im Finale von The Voice of Ukraine

Denn in ihrem Heimatland ist Faámelu keine Unbekanntheit. Erst vor wenigen Jahren stand die ukrainische Sängerin im Finale des Gesangswettbewerbs The Voice of Ukraine und war schon auf Tour in China. Seit der russischen Invasion ist ihr die Berühmtheit allerdings zum Verhängnis geworden, denn vor einigen Jahren outete Faámelu sich als trans. Damit gehört sie zu den Personen, die seit Beginn des russischen Angriffskrieges nicht das Land verlassen dürfen.

So hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj eine allgemeine Mobilmachung angeordnet, die sich auf Männer über 18 Jahren bezieht - aber auch auf Faámelu, in deren Pass noch das männliche Geschlecht eingetragen ist und ihr alter Name, der im Land noch sehr viel bekannter ist.

Deshalb entschied Faámelu sich zu fliehen. Sie packte ihre wichtigsten Sachen zusammen und verließ mit einem Freund per Auto die Stadt. Doch die Fahrt gestaltete sich schwierig, immer wieder wurden sie angehalten, mussten ihre Ausweise vorzeigen. „Die Beamten waren verwirrt, weil ich ein weibliches Foto habe, aber mein alter Name im Pass steht.“ Mehrmals gab Faámelu vor, zu schlafen, in der Hoffnung keine Fragen gestellt zu bekommen. „Es war psychisch extrem herausfordernd.“

Als Kiew angegriffen wurde, musste Faámelu fliehen.
Als Kiew angegriffen wurde, musste Faámelu fliehen.

© IMAGO/ZUMA Wire

Irgendwann erreichten sie dann den ukrainisch-rumänischen Grenzübergang. Ab diesem Zeitpunkt war Faámelu auf sich allein gestellt. Sie berichtet von einer dramatischen Flucht, die Grenzbehörden mit ihrer Geschichte zu konfrontieren, ist nicht möglich.

Am Checkpoint wurde sie sofort erkannt und von einem Grenzbeamten transfeindlich beleidigt, der ihr außerdem den Pass wegnahm.

Faámelu kontaktierte daraufhin mithilfe einiger deutscher Freund*innen einen rumänischen Fahrer, der ihr bei der Ausreise helfen sollte, doch auch beim zweiten Checkpoint verlief es nicht besser: Erneut wurde sie erkannt, ihr die Ausreise verweigert. „Die Grenzbeamten vom ersten Checkpoint hatten ihnen bereits Fotos von mir geschickt", berichtet Faámelu, die sich verfolgt fühlte.

Die einzige Chance bestand darin, durch die Donau zu schwimmen

Sie musste sich daraufhin mehreren medizinischen Untersuchungen unterziehen, die alle zu dem gleichen Schluss kamen, sagt Faámelu: Für den Wehrdienst geeignet – obwohl sie das eigentlich gar nicht war. Die Ärzt*innen machten sich über sie lustig, beleidigten sie transfeindlich, sagt sie. Als es ihr schließlich gelang, zum Auto zurück zu kehren, wurde ihr klar, dass sie einen anderen Weg finden musste, das Land zu verlassen. Der rumänische Fahrer fragte, ob sie schwimmen könne. „Ich wusste erst überhaupt nicht, worauf er hinauswill“, sagt Faámelu, „bis mir klar wurde, dass meine einzige Chance darin bestand, durch die Donau zu schwimmen.“

Sie habe große Angst gehabt – vor der eisigen Kälte, der Dunkelheit und vor den Soldaten an der Grenze. „Ich wollte das nicht tun. Ich wollte nicht akzeptieren, dass das gerade wirklich geschah. Es war furchtbar, wie in einem Horrorfilm.“

Gemeinsam mit dem rumänischen Fahrer fuhr sie zu einer geeigneten Stelle und verstaute all ihre Dokumente in eine Plastiktüte. Als erneut Soldaten auftauchten, die ihre Waffen auf sie richteten, rannte Faámelu los, so schnell sie konnte. „Das war mein Überlebensinstinkt. Ich bin einfach gesprungen in die Dunkelheit.“ Sie kämpfte sich durch einen Sumpf und durch Dickicht, das ihr das Gesicht zerkratze, bis sie schließlich den Fluss erreichte.

Faámelu musste all ihre Kräfte mobilisieren, um gegen die starke Strömung der Donau anzukommen. Sie schluckte viel Wasser, drohte mehrmals unterzugehen, aber schließlich erreichte sie das rumänische Ufer „Ich habe mich wie eine Kriminelle gefühlt, aber tatsächlich war ich ein Flüchtling.“

Als rumänische Polizisten sie entdeckten, brachte Faámelu keine zusammenhängenden Sätze heraus. „Mein Kopf tat so weh. Ich habe nur Wörter herausgeschrien: Trans. Gefahr. Töten. Hilfe.“ Aber die Polizisten verstanden und brachten sie auf die Wache. Dort konnte Faámelu ihre Freund*innen in Deutschland kontaktieren, die sie wenige Tage später abholten.

Faámelu kam bei einer Familie in Magdeburg unter

Nun, Wochen nach ihrer Flucht, befindet Faámelu sich in Magdeburg. Weil die Unterkünfte für trans Personen in Berlin bereits belegt waren, reiste sie weiter nach Sachsen-Anhalt zu einer Familie, die sie aufnahm „Sie hat mir Schutz gegeben und ist unglaublich liebevoll“, sagt Faámelu. Gleich am ersten Morgen wurde ihr ein Tablett vor die Tür gestellt mit Brötchen, Kaffee und einem kleinen Strauß Blumen. „Das ist der perfekte Ort, um mich zu erholen – psychisch und körperlich. Hier fühle ich mich sicher.“

Zi Faámelu ist bei einer Familie in Magdeburg untergekommen, wo sie sich sicher fühlt.
Zi Faámelu ist bei einer Familie in Magdeburg untergekommen, wo sie sich sicher fühlt.

© privat

Die vergangenen Wochen hat Faámelu viel geschlafen und kleine Spaziergänge gemacht. Sie fühle sich verloren und verwirrt. „Es gab eigentlich keine Zeit der Ruhe und Stille, denn ich habe alles verloren. Alles, was ich noch habe, ist meine Stimme.“

Und diese will Faámelu nutzen – damit die ganze Welt erfährt, was trans Frauen in der Ukraine droht. „In meinem Heimatland denken viele ich sei eine Verräterin, ein Feigling, weil ich meine Geschichte teile. Sie wollen mich zum Schweigen bringen“, erzählt Faámelu. „Die Welt steht zusammen mit der Ukraine und ich rede das schlecht. Aber das stimmt nicht. Ich liebe mein Land, aber eben nicht diesen Aspekt, deshalb muss ich die Wahrheit erzählen, um meiner Community zu helfen.“

Die Bedingungen für trans Frauen werden immer schlimmer

Während ihrer Flucht lernte Faámelu Lisette Rosenkranz kennen, die ehrenamtlich bei der Deutschen Gesellschaft für Transidentität und Intersexualität (dgti) arbeitet. Sie wurde über ein Video in den Sozialen Medien auf Faámelu aufmerksam und blieb mit ihr über Instagram in Kontakt, bis Faámelu Deutschland erreicht hatte. Gemeinsam mit Faámelu und der dgti möchte sie weiteren trans Frauen in der Ukraine helfen, denn: „In den letzten Tagen wurden die Bedingungen für die noch in der Ukraine verbliebenen trans*Frauen immer schlimmer: Zum einen durch die vorrückenden russischen Truppen, zum anderen ist es aufgrund der Kriegssituation immer schwerer für die Frauen in der Ukraine die nötigen Unterlagen zu bekommen, um als nicht kampftauglich eingestuft zu werden.“

Viele würden sich verstecken, was angesichts des Kriegszustandes „womöglich eine lebensgefährliche Entscheidung“ sei. Faámelu hofft nun auf die Unterstützung der Vereinten Nationen.

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Auch der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann, hat die besondere Gefährdung von queeren Personen in der Ukraine gegenüber den Auswärtigem Amt thematisiert. "Die russischen Anti-Homosexuellen-Gesetze, die brutale Unterdrückung von transgeschlechtlichen Menschen und die massive Schikane von LGBTIQ in Russland müssen uns eine Warnung sein."

Der Wille und die Bereitschaft der Bundesregierung sei groß, meint Lehmann. „Das Problem ist leider, dass die ukrainische Regierung keine Ausreise gestattet.“

Rosenkranz betont außerdem, dass die Gefahr für trans Frauen an der Grenze nicht gebannt sei. „Wenn es die Frauen dann endlich auf die ‚„sichere‘ Seite der EU geschafft haben, sind diese leider schon in der nächsten Gefahr: An den Grenzen warten Zuhälter, die Frauen, also auch trans*Frauen, versuchen abzufangen und in die Sexarbeit zu zwingen.“

Faámelu spricht beim Transgender Day of Visibility

Gemeinsam mit der dgti und weiteren Vereinen hat Rosenkranz in den vergangenen Wochen eine Facebook-Seite für geflüchtete trans Personen aufgebaut. Schon zahlreiche Menschen haben ihre Wohnungen angeboten und Patenschaften übernommen. „Uns ist es wichtig, dass die trans*Flüchtenden hier nicht allein gelassen und Sammelunterkünften zugeführt werden, wo womöglich erneut Gefahr durch Diskriminierung oder Zuhälterei lauert. Unsere Community hält zusammen.“ Denn jeder könne die Ängste von trans Personen in der Ukraine leider zu gut nachvollziehen.

Am Donnerstag werden Rosenkranz und Faámelu sich zum ersten Mal in echt sehen, nämlich beim Transgender Day of Visibility in Berlin. Vor dem Bundestag wollen sie auf die Situation von trans Personen in der Ukraine aufmerksam machen; Faámelu wird von ihrer Flucht berichten und Rosenkranz wird übersetzen. Aber auch die Bedeutung eines Selbstbestimmungsgesetzes, das das diskriminierende Transsexuellengesetz ersetzt, soll im Zentrum stehen.

„Am Beispiel der trans*Menschen in der Ukraine sieht man, wie wichtig es ist auch in Deutschland endlich ein modernes Selbstbestimmungsgesetz zu erhalten, denn auch wir trans*Menschen in Deutschland erleben durch die unnötige Komplexität oft unnötige Diskriminierungen und Verkomplizierungen“, sagt Rosenkranz. Eine Vereinfachung der rechtlichen Rahmenbedingungen würde den Menschen helfen, damit sie endlich sie selbst sein können und zwar überall auf der Welt.

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